Konsequenz helfe im Umgang mit schwierigen Angeklagten, zum Beispiel mit den sogenannten „Reichsbürgern“, sagt Michael Stauß. Foto: factum/Krieger

Der Direktor des Ludwigsburger Amtsgerichts, Michael Stauß, spricht im Interview über Rocker, Reichsbürger und renitente Fahrsünder.

Ludwigsburg - Seit knapp anderthalb Jahren leitet Michael Stauß das Ludwigsburger Amtsgerichts als Direktor. Im Interview erklärt er, warum es in seinem Haus trotz neuer Richter immer noch einen Personalengpass gibt – und warum ein neues Sicherheitskonzept nötig sei.

Herr Stauß, bei Ihrer Amtseinführung vor anderthalb Jahren sagte Ihr Vorgänger Christoph Hölscher: „Den Amtsrichtern steht das Wasser bis zum Hals.“ Er meinte damit die chronische personelle Unterbesetzung in Ihrem Haus. Hat sich denn seither etwas gebessert?
Die Arbeitsbelastung ist hoch, aber noch zu schaffen. Vor allem die jungen Kollegen stehen besonderen Herausforderungen gegenüber, weil sie sich einarbeiten müssen. Aber jeder bei uns arbeitet unter hohem Druck.
Ihr Amtsgericht gilt als das mit der höchsten Fallzahl in der Region. Ist die personelle Ausstattung dem angemessen?
Ich denke, wir sind gut ausgestattet. Wir haben in diesem Jahr eine Vollzeitstelle im Richterbereich dazubekommen, nachdem wir jahrelang eine starke Unterdeckung hatten. Somit haben auch wir am Amtsgericht Ludwigsburg von den 74 Richterstellen, die landesweit neu geschaffen wurden, profitiert. Ich bin froh, dass die Politik das Problem erkannt hat und der Justizminister im Laufe der Legislaturperiode weitere Richterstellen schaffen will. Denn wir sind in Ludwigsburg noch nicht bei 100 Prozent des Personalbedarfs.
Es fehlt nicht nur an Richtern.
Vor allem bei den Rechtspflegern und den Wachtmeistern ist die Situation problematisch, dort haben wir erhebliche Lücken.
Warum?
Bei den Rechtspflegern kam es zu Personalkürzungen zu Gunsten der Grundbuchämter, deren Personalsituation noch schlechter war. Hinsichtlich der Wachtmeister ergibt sich dies daraus, dass wir mehr Vorführungen aus der Haft und zudem inzwischen eine Vielzahl von problematischen Verfahren haben: Sei es im Zuge von Bandenkriminalität oder durch sogenannte „ Reichsbürger“. Wir sind deshalb dabei, ein neues Sicherheitskonzept am Amtsgericht Ludwigsburg umzusetzen.
Wie wird das konkret aussehen?
Es ist wichtig für uns, dass der öffentliche Bereich mit den Verhandlungssälen und die Büros getrennt werden. Früher war ein offenes und bürgernahes Gericht die Leitlinie – von dieser Idee ist man mittlerweile abgerückt. Es kommt mitunter vor, dass die Leute teilweise unverschämt und teils auch unberechenbar sind. Es ist geplant, dass es künftig eine Pforte gibt, an der wir Sichtkontrollen durchführen. Momentan könnten wir die Pforte aber gar nicht besetzen, weil wir das Personal nicht haben.
Sie haben das Stichwort „Reichsbürger“ genannt. Gemeinhin sind damit Menschen gemeint, die die Bundesrepublik Deutschland als Staat ablehnen und sich weigern, mit Behörden zusammenzuarbeiten bzw. deren Entscheidung zu akzeptieren. Gibt es die auch im Kreis Ludwigsburg?
Ja, auf jeden Fall. Dazu vielleicht drei Beispiele: Eine Kollegin konnte unlängst eine Zivilverhandlung nicht durchführen, weil ein Beteiligter den Sitzungssaal nicht betreten wollte. Und in einem Strafprozess wollte sich der Angeklagte partout nicht auf die Anklagebank setzen. Ein Gerichtsvollzieher wurde massiv beschimpft und beleidigt und konnte seinen Vollstreckungsauftrag nur unter Zuhilfenahme der Polizei erledigen.
Wie geht Ihr Gericht damit um?
Mit Konsequenz. Wir machen deutlich: Wir werden die Autorität des Staates durchziehen. In den genannten Fällen wurden die Wachtmeister gerufen und die Verhandlungen durchgeführt. Zudem stellen wir bei jeder Beleidigung, die wir zu hören oder zu lesen bekommen, eine Strafanzeige.
Nun gibt es unter den „Reichsbürgern“ nicht nur harmlose Querulanten.
Meine Richter berichten stets, wenn ein Verfahren vorbereitet wird, an dem „Reichsbürger“ beteiligt sind. Ich frage dann zunächst ab, ob die Person legal eine Waffe besitzt. Viele aus diesem Milieu sind legale Waffenbesitzer. Wenn wir erfahren, dass ein Beteiligter eine Waffe hat, erhöhen wir die Sicherheitsmaßnahmen, die wir ohnehin eng mit der Polizei abstimmen, massiv. Das sind die Lehren aus dem Fall in Bayern, als ein Polizist ums Leben kam.
Über wie viele Fälle mit Beteiligung von „Reichsbürgern“ sprechen wir?
In einem Jahr sind das vielleicht 20 bis 30 Fälle, deutlich mehr noch mal im Schriftverkehr. Da sind es sicherlich 50 Vorgänge pro Jahr.
Schwierige Prozesse stehen für Ihr Gericht auch im Zusammenhang mit dem Konflikt von Rockerbanden an. Der Kreis Ludwigsburg ist ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung zwischen den kurdischen Bahoz und den nationaltürkischen Osmanen Germania.
Es ist für uns eine Herausforderung, bei diesen Verfahren die Sicherheit zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist sehr gut, t eilweise sind bis zu 60 Polizisten vor Ort. Klar ist aber: Für die Vorbereitung und Durchführung solcher Verfahren sind viel Zeit und Arbeitseinsatz nötig. Die Verhandlungen sind schwierig. Es gibt so gut wie keine Geständnisse, Zeugen äußern sich nicht, die Beweisaufnahme ist zäh. Das alles führt zu längeren Verfahren, die viel Zeit kosten. Festzuhalten ist im Übrigen eine enorme Brutalität der Taten.
Oft diskutiert worden ist in den vergangenen Monaten über die Kriminalität von Flüchtlingen. Welches Bild ergibt sich in dieser Hinsicht an Ihrem Gericht?
Generell kann man sagen: Es gibt mehr Verfahren mit Flüchtlingen als noch vor Jahren. Es gab zum Beispiel eine Phase, in der viele Drogendelikte abgeurteilt wurden, da kamen die Angeklagten häufig aus Gambia. Dafür hat man in den vergangenen beiden Jahren viele Flüchtlingsheime observiert, doch diese Welle ist nun vorbei. Generell kann man sagen, dass die Richter heute neben dem Fachwissen und Entscheidungsstärke vor allem eine hohe Sozialkompetenz mitbringen müssen.
Was meinen Sie damit?
Man muss mit Beteiligten unterschiedlichster Sozialisation umgehen können, zudem gibt es mehr schwierige Verfahrensbeteiligte. Bei Ordnungswidrigkeiten war es in der Vergangenheit üblich, dass die Strafe akzeptiert wurde, zum Beispiel bei Geschwindigkeitsüberschreitungen. Heute ist das viel seltener der Fall: Es wird häufig sowohl bestritten, dass man gefahren ist, als auch, dass das Messgerät richtig geeicht ist; insofern müssen Identitäts-Gutachten eingeholt und Zeugen vernommen werden. Es wird sehr viel weniger akzeptiert, gerade in einem Bereich, in dem die Strafen vergleichsweise gering sind. Das erfordert auch Belastbarkeit und Geduld bei den Richtern.
Geht es also um einen Autoritätsverlust der Staatsgewalt, ähnlich wie ihn die Polizei zuletzt häufig beklagt hat?
Wir beklagen uns nicht. Man muss damit umgehen, und die nötigen Instrumente hierzu haben wir. Um deutlich zu machen, was ich meine, vielleicht ein kurioses Beispiel: Eine Frau sollte ihren Führerschein nach einem rechtskräftigen Urteil abgeben. Sie kam zu uns in den zweiten Stock des Amtsgerichts und legte den Führerschein auf den Tisch. Die Beamtin hat sie belehrt, dass sie nun nicht mehr fahren darf. Und als dann meine Kollegin aus dem Fenster schaut, steigt die Frau vor dem Haus in ihr Auto – und fährt einfach weg. Das ist eigentlich nicht mehr zum Schmunzeln. Die Konsequenz eines solchen Verhaltens war, dass die Frau deutlich länger auf ihren Führerschein verzichten musste.