Foto: Entwurf: Milla und Partner

Johannes Milla, Kommunikationsgestalter, stellt seine Ideen für ein offenes Neues Schloss vor.

Stuttgart - Nie ist das Neue Schloss öffentlicher als in der Stunde Null: Die Bomben alliierter Kriegsflugzeuge haben in Stuttgart gewütet. Das Neue Schloss ist am Ende des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört. Der Prachtbau liegt ausgebrannt und bis auf wenige Teile der Fassade in Schutt und Asche – was für ein Tummelplatz für Kinder. Mancher Stuttgarter Großvater erzählt seinen Enkeln heute noch, wie er in den Trümmern des Neuen Schlosses die ersten Abenteuer seines Lebens bestanden hat.

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Das Neue Schloss wird zum Neuen Bürgerschloss auf einer größeren Karte anzeigen

Zugegeben, manch später Geborene reduziert jene von Leid und Entbehrungen geprägte Zeit auf eine solche verklärende Komponente: das Herz Stuttgarts, zerstört zwar, aber doch ein Ort für Kinderträume.

In gewisser Weise greift der Stuttgarter Kommunikationsgestalter Johannes Milla in seinem jetzt vorgelegten Konzept einer Öffnung des Neuen Schlosses auch diesen romantischen Gedanken auf. „Das Schloss ohne Kinder – niemals!“, lautet eines der Schlagworte des Konzepts. Die Agentur Milla & Partner sieht für einen Gebäudetrakt einen Schlosskindergarten vor. „Während die Eltern arbeiten, werden die Kinder des Landes zu Prinz und Prinzessin.“

Ein Bub hat die Idee Bau des Schlosses

Für Stuttgart, dessen Oberbürgermeister die Kinderfreundlichkeit zum politischen Ziel erklärt hat, könnte dieser Aspekt eine nicht zu unterschätzende Symbolik entwickeln. Denn ein Spielplatz war das Neue Schloss seit den Nachkriegsjahren nie mehr, und es war davor als ein solcher natürlich niemals gedacht – auch wenn gewissermaßen ein Bub die Idee zum Bau des Schlosses hatte.

16 Jahre alt ist Carl Eugen, Herzog von Württemberg, als er im Jahr 1744 beschließt, seine Residenz von Ludwigsburg nach Stuttgart zu verlegen. 1746, nach gut zwei Jahren, wird der Grundstein gelegt. Die Pläne stammen vom italienischen Baumeister Leopold Retti, der unter anderem in Ludwigsburg in herzoglichen Diensten stand. Retti stirbt fünf Jahre später und wird in Fellbach-Oeffingen beigesetzt. Erspart bleibt ihm eine nicht enden wollende, 60 Jahre währende Bauzeit.

Durch einen Brand im Jahr 1762 gerät das Projekt ins Stocken. Später verliert der Herzog zunehmend die Lust am Neuen Schloss und erlebt dessen Fertigstellung nicht. Im Auftrag des württembergischen Königs Friedrich I. vollendet der Architekt Nikolaus Friedrich von Thouret im Jahr 1807 den Innenausbau. Bis 1918, bis zur Abdankung von König Wilhelm II., nutzen Württembergs Monarchen das Neue Schloss.

Wenn schon ins Schloss, dann bitte brav geordnet

Wie damals hat auch heute das gemeine Volk darin nicht viel verloren. Wenn schon ins Schloss, dann bitte brav geordnet. Natürlich gibt es Führungen, und der Weiße Saal kann für Festivitäten angemietet werden. Auf dergleichen will sich die Agentur Milla & Partner aber nicht beschränken. Das Schloss soll Schaufenster für das Beste aus dem ganzen Land sein und ein Ort, an dem Bürger das Sagen und Politiker über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen haben.

Nach 1918 gibt es zahlreiche Anläufe, das Schloss öffentlich zu nutzen. Während der Weimarer Republik wird es zum Museum – als Ausweis württembergischer Monarchengeschichte. Mehr auf Baden-Württemberg und seine Verfassung gemünzte museale Elemente wie die gläserne Wahlurne beinhaltet das Millasche Konzept.

Nach dem Zweiten Weltkrieg scheint das Schicksal des Prachtbaus, oder das, was von ihm übrig ist, besiegelt. Als ein Symbol für obrigkeitsstaatliches Denken soll das Schloss gänzlich verschwinden, fordert eine starke „Partei der Niederreißer“, wie Zeitungen damals schreiben. Unterstützt von einer breiten Leserschaft machen sich die Stuttgarter Nachrichten erfolgreich für einen Wiederaufbau stark. Im März 1954 startet die Aktion „Bürgerspende Neues Schloss“. Innerhalb eines knappen Jahres kommen 56 000 Mark zusammen. Am 21. März 1964 wird das neu aufgebaute Neue Schloss feierlich eingeweiht. Bis heute dienen Prachträume wie der Marmorsaal zu Repräsentationszwecken der Landesregierung, in den Seitenflügeln befinden sich die Büros von Finanz- und Kultusministerium, der Ehrenhof ist Parkplatz. Bürgern bleibt der äußere Anblick.

Längere Debatte entzündet sich zuletzt 1997

Der Wunsch, diesen Zustand zu ändern, wird seitdem immer wieder laut. Eine längere Debatte um die Öffnung des Neuen Schlosses entzündet sich zuletzt 1997. Ausgangspunkt ist die Kunstsammlung des einstigen Musical-Königs Rolf Deyhle, der die Exponate nur dem Land überlassen will, so sie im Schloss gezeigt würden. Die Rede ist unbescheiden von einem „schwäbischen Louvre“.

Eine Flut von Leserbriefen schwappt in die Redaktion der Stuttgarter Nachrichten. In einer Umfrage unter dem Titel „Das Neue Schloss für alle?“ votieren 1098 von fast 1300 Lesern der StN dafür, das Schloss für alle zu öffnen. Prominenten Befürworten wie Günther Oettinger, CDU-Fraktionschef im Landtag, und Walter Döring (FDP), damals Wirtschaftsminister, stehen Skeptikern wie Gerhard Mayer-Vorfelder gegenüber. 300 Millionen Mark an Kosten sieht der damalige Finanzminister aufs Land zukommen.

„Beamte raus, Kunst rein“, wie Döring 1997 fordert, kommt bei Johannes Milla auch vor. Einen schwäbischen Louvre hat der Kommunikationsgestalter zwar nicht im Sinn, dafür ein baden-württembergisches Gesamtkunstwerk – das Neue Bürgerschloss.