Heimspiel: Hula-Hoop-Artistin Marina Skulditskaya Foto: LG/Leif Piechowski

Es ist eine Reise in die eigene Vergangenheit. Die Zwanziger Jahre waren die Blütezeit der Varietés, und der Friedrichsbau galt als eines der führenden Theater Deutschlands. Dort trat Josephine Baker auf, anderswo galt ihre Show als zu gewagt. Nun ist wieder „Swing Time“ in Stuttgart.

Stuttgart - Eigentlich sind sie zu früh dran im Friedrichsbau Varieté. In gut drei Jahren erst wird das Erinnern in voller Wucht über uns hereinbrechen. Dann werden die Wilden Zwanziger, die Roaring Twenties, und wie man sie sonst noch nennt, uns überrollen, der Bubikopf modern sein und die Hipster Charleston tanzen. So gesehen ist jetzt doch die richtige Zeit, um zu swingen; bevor es alle tun und man einer unter vielen ist.

Der Swing hat es Regisseur Ralph Sun angetan, insbesondere die moderne Variante, der Elektroswing. „Diese Musik bewegt die Leute“, sagt er, „wer das hört, bleibt nicht still sitzen, er wippt zumindest mit.“ Also wollte er mal probieren, eine Show zum Swing zu entwerfen. Weil der Swing nicht nur der Sound der Zwanziger war, sondern auch die kommenden Jahrzehnte prägte, gestattet er sich auch Anleihen aus den Dreißiger und Vierziger Jahren.

Eine Band spielt live

Die Musik ist wichtig, deshalb muss sie live gespielt werden. Bei den letzten Produktionen hatte man die Musik vom Band gespielt, es ist billiger so. Doch für diese Show wollte Sun Musiker auf der Bühne haben. Er wusste auch wen. Die Holländer Tonny Ector, Leon Steuns und Eric van de Lest. Einzeln viel beschäftigt als Studiomusiker und Produzenten, widmen sie sich gemeinsam als The Slampampers dem Swing. Eigentlich treten sie nur auf Festivals auf. „Zwei Tage, mehr geht eigentlich nicht“, sagt Sun. Er hat es trotzdem probiert. Und sie überzeugt. Nun sind sie dreieinhalb Monate in Stuttgart. Ein Coup.

The Slampampers sind das Rückgrat der Show. Mit Kontrabass, Percussions und Saxophon strukturieren sie die Nummern. geben ihnen ein Gerüst. Klar, dass Erotik nicht fehlen darf. Rita Lynch hüllt sich in Fächer und Schleier. Nicht in Bananen wie anno dazumals Josephine Baker. In vielen Städten Deutschlands ließ man sie nicht auf die Bühne, in Stuttgart war nackig sein kein Problem. Die Stadt war liberal geprägt, Waldorfschulen und die Bruderschaft der Vagabunden fanden hier ihren Platz; sie war Avantgarde in den Zwanziger Jahren, das triadische Ballett von Oskar Schlemmer verblüffte, die Weißenhofsiedlung entstand. Im Excelsior an der Büchsenstraße sang Lale Anderesen, trat Joachim Ringelnatz auf und schlug die Geburtsstunde von Häberle und Pfleiderer. Nebenan im Friedrichsbau standen Josephine Baker auf der Bühne, Clown Grock, und der Jongleur schlechthin, Enrico Rastelli.

Dmytro Kharlov ist ein Wahnsinniger

Fast 100 Jahre später ist es immer noch so, dass die meisten Jongleure Männer sind. Eine der wenigen Frauen in der Branche ist die Tschechin Lena Smaha. Viele Jahre tourte sie mit ihren Geschwistern und einer Artistentruppe durch die USA, nun tritt sie alleine auf. Und bringt mit ihren LED-Keulen den Saal zum Leuchten. Der Zauberer Raúl Alegria zählt zum Ensemble, ebenso das Trio Batut, das an der Wand klebt wie sonst nur Spiderman. Anissa Elakel ist Akrobatin und steht zumeist auf den Händen. Marina Skulditskaya lässt Reifen kreisen, um die Hüfte, Arme, Beine und sogar ihren Dutt. Die Ukrainerin ist vielfach preisgekrönt und lebt mittlerweile in Stuttgart.

Dmytro Kharlov ist ein Wahnsinniger. Anders kann man das nicht sagen. Er stapelt mehrere Metallröhren aufeinander, ein wackliges Konstrukt wie sonst nur der Finanzplan von Stuttgart 21. Auf diesem turnt und hüpft er herum. Ohne, dass das Menjoubärtchen verrutscht oder die Frisur aus der Façon gerät. Aber klar, er hat viel Pomade im Haar. Es sind ja die Zwanziger!

Show läuft bis 11. Februar

Die Show
Swing Time“ im Friedrichsbau-Varieté, Siemensstraße 15, 4. November bis 11. Februar. Vorstellungen Montag bis Samstag, 20 Uhr, sonntags 18 Uhr. Karten kosten zwischen 19 und 58 Euro.