Bruce Springsteens hat das Album „High Hopes“ veröffentlicht. Foto: Sony

Was vom Tag übrig bleibt: Auf „High Hopes“ versammelt Bruce Springsteen Neuinterpretationen älterer Songs, ungewöhnliche Coverversionen und Nummern, die es bisher nicht auf seine Alben geschafft haben. Nach Resterampe klingt die Platte trotzdem nicht.

Was vom Tag übrig bleibt: Auf „High Hopes“ versammelt Bruce Springsteen Neuinterpretationen älterer Songs, ungewöhnliche Coverversionen und Nummern, die es bisher nicht auf seine Alben geschafft haben. Nach Resterampe klingt die Platte trotzdem nicht.

Stuttgart - Da huscht er wieder durchs Bild – der Geist des Farmersohns Tom Joad. Der tragische Held aus John Steinbecks Roman „Früchte des Zorn“, der zum Totschläger wird, als er sich in der Zeit der großen Depression gegen die Großgrundbesitzer stellt, die die Farmer von ihrem Land vertrieben haben, verfolgt Bruce Springsteen schon lange. Und das nicht erst seit 1995, als er den Song „The Ghost Of Tom Joad“ erstmals auf dem gleichnamigen Album veröffentlichte. Denn eigentlich ist Springsteens Gesamtwerk voller poetischer Spiegelungen dieser prototypischen Geschichte der kapitalistischen und seelischen Ausbeutung des kleinen Mannes.

Vor 18 Jahren war das Lied noch ein karg inszenierter sachter Folksong. Jetzt dröhnen schwergewichtige E-Gitarren durch das Klagelied, verdunkeln es, als ob sich über ihm ein Gewitter zusammengebraut hätte. „Welcome to the new world order / Families sleepin’ in their cars in the southwest / No home, no job, no peace, no rest!“ Es sind zwar dieselben Worte, die Springsteen benutzt, wenn er von der neuen Weltordnung erzählt, in der Familien in ihren Autos leben müssen, keine Heimat, keinen Job, keinen Frieden, keine Ruhe finden. Doch diesmal ist die Hoffnungslosigkeit erdrückend.

Dunkel eingefärbtes Spätwerk

Es ist leicht, sich über Bruce Springsteen lustig zu machen. Über diese Posen des einfachen, hart arbeitenden Mannes, diese Rohheit, die schon das Cover des neuen Albums „High Hopes“ plakativ inszeniert: Bruce Springsteen in Jeansjacke, die Gitarre umgehängt, breitbeinig und mit wild entschlossenem Blick. Es ist verführerisch, diese Selbstinszenierung als Held der Arbeiterklasse amüsant zu finden, bei einem, der wie Springsteen Millionen verdient. Mann kann seine Hemdsärmlichkeit, seine Durchhalteparolen, seine Hymen auf die Menschen, die vom besseren Leben träumen, seine sozialpolitische Naivität belächeln, kann behaupten, dass er nur ein paar Gitarrenakkorde von Jon Bon Jovi oder von Gunter Gabriels Mann mit dem Hammer in Hand entfernt ist. Doch es sind Rock’n’Roll-Kunstwerke wie der Song „The Ghost Of Tom Joad“, die solche Lästereien verstummen lassen sollten.

Der Mann aus New Jersey macht seit 40 Jahren großartige Platten, die mal vom amerikanischen Traum erzählen, mal dessen Niedergang musikalisch umsetzen. „High Hopes“ ist wieder so eine Platte. Auch wenn sie nicht wirklich neues Material enthält. Springsteen interpretiert mit dem Gitarristen Tom Morello ältere Nummern wie „The Ghost Of Tom Joad“ neu – ließ sich dabei auch von der Version inspirieren, die Morello einst mit seiner Band Rage Against The Machine aufnahm. Springsteen versucht sich zudem an Coverversionen weitgehend unbekannter Stücke – Highlight ist eine somnambule Version des Songs „Dream Baby Dream“ der Protopunkband Suicide. Und er versammelt Songs, die es in den letzten Jahren nie auf ein Springsteen-Album geschafft haben, aber viel zu schade wären, um sie wegzuschmeißen. So ist es zum Beispiel möglich, dass in dem in Dissonanzen und Sirenen endenden Nachtstück „Harry’s Place“ noch einmal das Tenorsaxofon von Clarence Clemons zu hören ist, der 2011 starb. Oder in „Down In The Hole“, einer empfindlich-schönen Impression, die sich langsam anschleicht und Folk und Pop vermengt, Danny Federici an der Orgel zu hören ist, der seit 2008 tot ist.

„High Hopes“ ist ein dunkel eingefärbtes Spätwerk, das noch einmal eindrücklich vorführt, wie unverzichtbar ein Mann wie Bruce Springsteen in Zeiten wie diesen ist.