Am Schwanenplatztunnel ist der Verkehr überlicherweise dichter als irgendwo sonst in Stuttgart. Gerade diesen Bereich möchten manche Regionalräte durch neue Straßenprojekte entlasten. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Geld zusagen wollte bisher zwar niemand für den Bau großer neuer Entlastungsstraßen für Stuttgart. Doch eine Mehrheit der Regionalräte setzt auf einen Nordostring für Stuttgart und auf eine Filderauffahrt.

Stuttgart - Umstrittene Richtungsentscheidung in der Verkehrspolitik: Eine Mehrheit der Regionalräte hält große und teure Straßenbauten für notwendig, um die Verkehrsprobleme der Region zu lösen. Am Mittwoch hat der Verkehrsausschuss des Verbandes der Region Stuttgart (VRS) mit 19 gegen 13 Stimmen auch einen Stuttgarter Nordostring zwischen der B 27 bei Kornwestheim und der B 14 bei Waiblingen sowie eine Filderauffahrt zwischen der B10/14 beim Großmarkt und der B 27 bei Degerloch für höchst dringlich erklärt.

Der Entwurf soll ein Handlungsprogramm für die Zeit bis 2025 sein. Er enthält fast 300 Vorhaben im Schienen- und im Straßensektor. Vom Ausschuss wurde er jetzt freigegeben für die öffentliche Auslegung und für die Befragung von Kommunen, Behörden und Verbänden. Die letzte Version soll im Sommer oder Herbst 2017 als neuer Regionalverkehrsplan beschlossen werden – 16 Jahre nach dem Vorgängerplan.

Grüne halten nichts von neuen Straßen

Am Entwurf schieden sich die Geister. Die Grünen wollten alle Varianten eines Nordostrings – ob nun mit zwei oder mit vier Spuren – wie die das Projekt Filderauffahrt mit dem Vermerk „nicht weiterverfolgen“ versehen. Das empfahlen sie aus ökologischen Überlegungen heraus. Zudem habe sich im Zuge des Dieselskandals gezeigt, dass Fahrzeugtechnik sowie preis- und ordnungspolitische Maßnahmen viel mehr Einfluss haben werden als neue Straßen. Zumal die Finanzierung von Nordostring und Filderauffahrt bei Kosten von rund 600 Millionen Euro nicht gegeben sei. An Jahrzehnte alten Straßenbauträumen festzuhalten, bringe nichts.

Die Linke und der Pirat Ingo Mörl lehnten die Straßenbauprojekte ebenfalls vehement ab und zerpflückten vor allem das „Zombie-Projekt“ Nordostring. Fahrgäste von Bussen und Bahnen würden zum Umsteigen aufs Auto animiert. Anstelle der Baukosten könne man über 50 Jahre einen Busverkehr im 15-Minuten-Takt zwischen Ludwigsburg und Waiblingen finanzieren, schrieben sie in einer Pressemitteilung.

Dagegen meinten die Freien Wähler um Bernhard Maier, man brauche auch im Straßennetz Verbindungen an Stuttgarts Zentrum vorbei oder unten durch. Amin Serwani von der FDP sagte: „Nur weil wir es bisher nicht schafften, einige Umgehungsstraßen zu bauen, erstickt Stuttgart im Feinstaub.“

Rainer Ganske (CDU) sieht in Nordostring und Filderauffahrt „notwendige Entlastungsstraßen“. Die Phase nach der deutschen Wiedervereinigung mit Zuschussengpässen für Westländer sei vorbei, am Geld würden diese Projekte nicht scheitern, wenn man sie wirklich wolle, meinten Matthias Pröfrock und Joachim Pfeiffer (CDU). Die Befürworter halten viele Anstrengungen für nötig, um den zunehmenden Verkehr durch mehr Einwohner und Arbeitsplätze zu bewältigen. Sie erwarten sich durch flüssigeren Verkehr aber auch große Entlastung Stuttgarts von Feinstaub und Stickoxiden. Für diese Sichtweise hatte Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor der Verbandsverwaltung, jüngst noch im Stuttgarter Rathaus geworben, wo die Verwaltung und eine knappe Mehrheit der Stadträte wenig von den beiden Projekten halten. Anders Kiwitt: Die Kombination des rund 175 Millionen Euro teuren Nordostrings mit der rund 400 Millionen Euro teuren Filderauffahrt im Tunnel wäre ein Beitrag, Fahrverbote in Stuttgart zu vermeiden, glaubt er. Die Gegner der Projekte bestritten es. Straßenbaupolitik im alten Stil würde Fahrverbote noch wahrscheinlicher machen, warnte Eva Mannhardt (Grüne). Ihr Fraktionskollege André Reichel sagte, Fahrverbote seien in vier Jahren zu erwarten, die Straßenbauprojekte könnten aber noch lang nicht finanziert werden. Bis 2030 seien sie im Bundesverkehrswegeplan nicht vorgesehen, pflichtete Thomas Leipnitz (SPD) bei. Seine Fraktion setzt ebenfalls auf den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Sie glaubt, dass die beiden großen Straßenbauprojekte in der Schlussversion des Regionalverkehrsplans keine Rolle mehr spielen werden.

CDU ist mit dem Entwurf wunschlos glücklich

Der VRS hat beim eigentlichen Straßenbau – anders als beim S-Bahn-Verkehr – keine Kompetenzen. Er fungiert als Koordinator zwischen den staatlichen Planungen und der Gemeindeebene. Er kann nur für Straßen werben und Trassen freihalten.

Der Verkehrsclub Deutschland monierte schon, dass der konsequente Ausbau des öffentlichen Verkehrs im Entwurf nicht vorgesehen sei. „Eine nachhaltige Verkehrspolitik sieht anders aus“, sagte der Landesvorsitzende Matthias Lieb. Die Arbeitsgemeinschaft Nord-Ost wandte ein, nicht der Nordostring hätte eine entlastende Wirkung bei Stuttgarts Feinstaubproblem, sondern allenfalls die Filderauffahrt. Dabei werde aber eine Abluftreinigung mit Filtern unterstellt, die so nirgends funktioniere. Die Gutachten, die die Region einholte, seien „fehlerhaft“.