SWR-Intendant Peter Boudgoust Foto: dapd

Grün-Rot in Stuttgart und Mainz arbeiten an neuem Staatsvertrag für SWR, die Unruhe im Sender wächst.

Stuttgart - Man kann Fan von „Deutschland sucht den Superstar“ bei RTL sein oder „Schlag den Raab“ bei Pro Sieben mögen und deshalb die Programme von ARD und ZDF auf der Fernbedienung ganz hinten programmiert haben. Aber ein Fall sorgte in den vergangenen Jahren weit über alle Sendergrenzen hinaus für Gesprächsstoff: Als 2009 die Union um den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) dafür sorgte, dass der Vertrag des unionskritischen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht mehr verlängert wurde. Quer durch die Medienszene tönte der Protestchor, Parteipolitik dürfe nicht über Personalien bei gebührenfinanzierten Sendern entscheiden.

So weit wie im Fall Brender ist man beim Südwestrundfunk (SWR), dem zweitgrößten ARD-Sender, derzeit (noch) nicht – auch wenn die neue grün-rote Landesregierung 2011 handstreichartig kurz vor der Intendantenwahl mal schnell die Vertreter der CDU durch ihre eigenen Leute austauschte. Hinter den Kulissen gibt es derzeit aber sehr wohl neue Diskussionen. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause wollen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz den neuen Staatsvertrag für den SWR vorlegen. Die jetzige Fassung stammt aus der Geburtsstunde des Senders von 1998 und gilt als überholt. Denn der SWR leistet sich in der Zwei-Länder-Anstalt noch immer viele teure Doppel- oder Dreifachstrukturen, die damals zur Beruhigung der Fusionsgemüter geschaffen wurden. Da existieren Unterhaltungs- und Kulturredaktionen an mehreren Standorten, da gibt es mehrere Chefredakteure, da muss täglich so viel abgesprochen werden, dass mancher im SWR verbittert meint: „Wir konferieren uns zu Tode.“

Der neue Staatsvertrag soll helfen, mehr Flexibilität bei Produktionen zu erreichen, schneller zu entscheiden, Sparpotenziale nutzen zu können und nicht mehr strikt zwischen Hörfunk, Fernsehen und Internet trennen zu müssen, wo die Medienformen doch längst zusammengewachsen sind. Und so viel scheint zwischen der grün-roten Regierung in Stuttgart und der rot-grünen Koalition in Mainz sicher: An den drei großen Standorten Stuttgart, Baden-Baden und Mainz soll nicht gerüttelt werden. „Da ist so viel in Beton gegossen, da können wir jetzt nicht einen neuen Sender auf der grünen Wiese bauen“, meint ein führender Grüner.

Wer wählt künftig die Direktoren?

An anderer Stelle soll sich aber sehr wohl manches ändern. So gibt es Überlegungen, die Direktoren des Senders – also zum Beispiel den für die Programme wichtigen Hörfunk- oder Fernsehdirektor – künftig nicht mehr vom 74-köpfigen Rundfunkrat wählen zu lassen, in dem Vertreter vieler gesellschaftlicher Gruppen sitzen, sondern vom Verwaltungsrat des SWR. Was auf den ersten Blick wie eine Petitesse erscheint, birgt Zündstoff. Denn in dem 15-köpfigen Verwaltungsrat stellen die Landtage und Landesregierungen beider Länder vorneweg sieben Mitglieder. Bei kniffligen Personal- und Sparentscheidungen kann es also leicht zur Machtprobe der Politik mit dem Intendanten kommen. „Es wäre für den Sender verheerend, wenn der Intendant geschwächt wird, weil seine Personalvorschläge oder Finanzpläne aus taktischen Gründen torpediert werden“, warnt ein Insider.

Noch deutlicher wird der schwelende Konflikt an anderer Stelle. Nach dem Willen von Grünen und SPD soll der SWR ein Redaktionsstatut erhalten – ein Regelwerk zur Mitbestimmung der Mitarbeiter, wie es vor allem von den Gewerkschaften gefordert wurde. „Wir haben doch einen Personalrat und sind schon bisher ein offenes, freies Haus gewesen“, sagt ein langjähriger SWR-Mitarbeiter und fragt: „Wozu brauchen wir da ein solches Redaktionsstatut?“

So sieht das offenbar auch Intendant Peter Boudgoust. Bisher habe der SWR bei Entscheidungen stets erfolgreich „mit Sachargumenten“ gearbeitet. Ein solches Statut könne aber bei notwendigen Reformen, anstehenden Sparrunden oder Personalentscheidungen „leicht als Blockadeinstrument missbraucht“ werden. „Das ist so, als ob man dem Intendanten für den 100-m-Lauf eine Bleiweste anlegt, ihm aber sagt, er muss die Strecke in 9,9 Sekunden laufen.“ Angesichts sinkender Gebühreneinnahmen hatte Boudgoust wiederholt angekündigt, der SWR müsse die nächsten Jahre eisern sparen; eine der diskutierten Ideen ist die Fusion mehrerer Orchester des Senders. Boudgoust: „Mitbestimmung ist bei uns selbstverständlich, aber daraus darf nicht Bestimmung werden. Wer trägt sonst die Verantwortung für den Sender, wenn es der Intendant nicht mehr kann?“

Gremienfrage bis Herbst vertagt

Vor diesem Hintergrund wirkt ein anderer umstrittener Punkt der Reform – die neue Zusammensetzung des Rundfunkrats – fast harmlos. Nicht nur, dass laut darüber nachgedacht wird, Gruppen wie die Vertriebenenverbände aus dem Gremium zu verbannen und stattdessen Vertretern von Umweltorganisationen oder Migrantenverbänden einen Sitz zu geben. Grüne und SPD drängen vor allem darauf, die Plätze in den Aufsichtsgremien zu quotieren. Nach einer bestimmten Amtszeit sollen sich Herren und Damen dann abwechseln. Doch die Frage der Gremienzusammensetzungen will man bis Herbst zurückstellen. Dann wird das Bundesverfassungsgericht über eine anhängige Klage urteilen, ob in den Aufsichtsgremien des ZDF zu viele Politiker sitzen.

Und ähnliche Probleme wie einst bei den Mainzelmännern will man sich beim SWR ersparen. Diskussionsbedarf für nächsten Donnerstag gibt es dennoch zuhauf. Dann treffen sich die Aufsichtsgremien des SWR zu einer vertraulichen Sitzung. Einziger Tagesordnungspunkt: der neue Staatsvertrag.