Mit der neuen Technologie von ZF sollen schwere Auffahrunfälle vermieden werden. Der Lkw weicht am Stauende automatisch aus. Foto: ZF

Der Zulieferer zeigt im Vorfeld der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover, wie Sicherheitstechnik in Lastwagen aussehen kann. Die Friedrichshafener haben sich ein hohes Ziel gesteckt: Sie wollen Markt- und Technologieführer werden.

Aachen - Mit 80 Kilometern pro Stunde rast der 30-Tonner auf der regennassen Straße auf das Hindernis zu. Unmittelbar vorher bremst das Fahrzeug massiv ab, die Zugmaschine weicht abrupt nach links auf die Nebenspur aus, das Fahrerhaus schüttelt sich kräftig – und der Lastwagen steht exakt in Fahrtrichtung. Das Besondere: Der Lkw hat das Ausweichmanöver automatisch gemacht, der Fahrer hat dem Lenkrad lediglich einen Impuls gegeben, in welche Richtung der Laster ausweichen soll. Mehr nicht. Selbst die Sicherheitsgurte haben die Gefahr erkannt – und die Insassen schon im Vorfeld enger in die Sitze gezogen. Gefahr erkennen, Abstand zur Gefahr berechnen, bremsen und ausweichen – all dies geschah ohne menschliches Zutun.

Der Lastwagen dreht seine Runden auf dem Testgelände in Aldenhoven bei Aachen. Der Friedrichshafener Zulieferer ZF hat die internationale Presse auf die angemietete Teststrecke eingeladen, um die technischen Möglichkeiten der Zukunft zu demonstrieren. Gemeinsam mit dem Münchner Zulieferer Wabco hat ZF den Lastwagen, der eigenständig einem Hindernis ausweicht, exklusiv entwickelt. Die Kooperationspartner wollen die Technik erstmals im September auf der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover einem breiteren Publikum vorstellen. Wann die neuartigen Lkws in Serie gehen, ist derzeit unklar. Die Technologie soll dazu beitragen, dass die Zahl der schweren Unfälle mit Lkw-Beteiligung etwa auf einer Autobahn sinkt. Für den Spediteur ist die Investition interessant. Dass der Fahrer dem Fahrzeug über eine Bewegung des Lenkrads zeigen muss, in welche Richtung es ausweichen soll, hat nicht zuletzt rechtliche Gründe. Die Wiener Konvention, in der unter anderem die Verantwortung des Fahrers geregelt ist, schreibt vor, dass dieser stets die Verantwortung für und die Kontrolle über das Fahrzeug haben muss.

Das Ausweichmanöver, das für Personenwagen bereits vorgestellt wurde, ist nur eine der Innovationen, die ZF vorführt – es sind anschauliche Beispiele dafür, wie sich das Angebot der Friedrichshafener seit der Übernahme des US-Konkurrenten TRW verändert hat. ZF-Chef Stefan Sommer, dessen Vertrag soeben bis Ende April 2022 verlängert wurde, drückt auf das Innovationstempo. Sein Ziel: der größte und technologisch führende Zulieferer weltweit zu werden. Damit hat er nicht zuletzt Bosch, der derzeitigen Nummer eins auf dem Weltmarkt, den Kampf angesagt. Derzeit gehöre ZF nicht bei allen Produkten zur Spitzengruppe. Bei Radaren etwa liege man weltweit nur unter den besten vier Unternehmen, ordnet Sommer die Bedeutung ein. In der Kameratechnologie stehe man weiter vorne. Aber ZF habe einen großen Vorteil, so Sommer: Es gebe weltweit keinen anderen Zulieferer, der so breit wie ZF aufgestellt sei. ZF bietet mittlerweile auch Airbags, Sicherheitsgurte oder Lenkräder an, die im Notfall wegklappen. Allerdings hat auch ZF kein umfassendes Produktangebot – diese Lücke soll mit weiteren Kooperationen geschlossen werden. Derzeit würden Gespräche mit potenziellen Partnern geführt; Namen nannte Sommer nicht.

Im Fokus der Friedrichshafener, die im vergangenen Jahr noch gut 90 Prozent des Umsatzes mit Mechanik erzielt haben, stehen die „Megatrends“ elektrisches und autonomes Fahren, Sicherheit und Effizienz. Zwar will der Anbieter von Antriebs-, Fahrwerks- und Sicherheitstechnik den Umsatzanteil, der in Forschung und Entwicklung investiert wird, bei fünf Prozent belassen, sagte der 53-Jährige. In absoluten Zahlen werde das Forschungsbudget dennoch steigen, nicht zuletzt, weil das Unternehmen jedes Jahr um überdurchschnittlich rund sechs Prozent wachsen will. Zudem kündigte Sommer Umschichtungen der Forschungsgelder an – künftig soll mehr Geld in die Zukunftsthemen fließen. Konkrete Zahlen wollte er aber nicht nennen. „Wir müssen die Entscheidungs- und die Entwicklungsprozesse beschleunigen“, kündigte er mit Blick auf neue Wettbewerber wie Google und Apple an, die ein höheres Tempo als die etablierte Autoindustrie vorlegten. Als Gefahr sieht er diese allerdings nicht, eher als Kunden.