Schlaglöcher sind für Autofahrer leider ein alltägliches Ärgernis, Wissenschaftler versprechen Abhilfe Foto: dpa

Straßen und Brücken sind marode, für den Erhalt des Straßennetzes fehlen Milliarden. Mit neuen Technologien ließe sich der Verfall aufhalten – wenn sie rechtzeitig zum Einsatz kommen.

Aachen/Delft - Die schlechte Nachricht zuerst: Es bröckelt gewaltig. Mehr als ein Drittel aller deutschen Landstraßen befinden sich laut Bundesverkehrsministerium in schlechtem – 15,1 Prozent – oder sehr schlechtem Zustand: 19,6 Prozent. Nur vier Prozent aller Brücken erhalten die Note „sehr gut“. Lediglich auf den Autobahnen sieht es etwas besser aus.

Der größte Teil – 70,5 Prozent – befindet sich in sehr gutem Zustand; „nur“ acht Prozent werden als „sehr schlecht“ beurteilt. Wobei selbst das in absoluten Zahlen ein gigantischer Wert ist: Von 13 000 Kilometer Autobahn sind demnach über tausend Kilometer baufällig.

Um die angeschlagene Infrastruktur zu retten, hilft nur Geld – darin waren sich bisher die meisten Experten einig. Die von Bund und Ländern eingesetzte Daehre-Kommission stellte 2012 fest, dass dem Straßennetz jährlich 4,7 Milliarden Euro fehlen – und dem Schienennetz noch einmal zwei Milliarden. Bei solchen Summen fällt auch die vieldiskutierte Pkw-Maut kaum ins Gewicht. Selbst die wohlwollend gerechneten Schätzungen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) taxieren die Mehreinnahmen auf maximal 700 Millionen Euro pro Jahr – ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wissenschaftler und Baufirmen arbeiten an neuen Technologien

Jetzt die gute Nachricht: Noch ist nichts verloren. Wenn schon kein zusätzliches Geld zu holen ist, so lässt sich der Verfall womöglich auf anderen Wegen stoppen. Europaweit arbeiten Wissenschaftler und Baufirmen an neuen Technologien, mit denen Risse geflickt, Fahrbahnen repariert und Brücken saniert werden können, ohne dass die Bauwerke abgerissen werden müssen. Das allein spart Millionen. Und damit nicht genug. Sogar Schlagloch-Prognosen rücken in greifbare Nähe. Man stelle sich vor: Sanierungstrupps rücken aus, bevor ein Schlagloch überhaupt existiert – und verlängern die Lebensdauer einer Straße damit erheblich. Oder gleich eine Straße bauen, die fast ohne Baustellen auskommt?

Erik Schlangen, Professor an der Technische Uni Delft in den Niederlanden, arbeitet an genau dieser Vision. Seit neun Jahren forscht der Fahrbahnexperte an Straßen, die sich selbst reparieren. „Im Labor funktioniert’s perfekt“, sagt Schlagen und holt eine Kiste hervor. In ihr lagern Proben des Materials, das einmal die europäischen Autobahnen bedecken könnte.

„Wunderasphalt“ nennt eine niederländische Zeitung die Erfindung, weil der schwarze, grobporige Klumpen mit Stahlwolle gefüllt ist und dadurch fast doppelt so lange hält wie normaler Flüsterasphalt. Auch Jahre, nachdem der „Wunderasphalt“ verlegt wurde, kann ein Spezialfahrzeug darüber fahren und ihn per Induktion erhitzen, so wie eine Herdplatte. „Dadurch wird der Bitumen flüssig und verschließt winzige Risse“, sagt Schlangen.

Mit Mikroorganismen Betonbauwerke erhalten

Dass es auch außerhalb der Uni funktioniert, zeigt eine Teststrecke, die 2010 auf der A 58 bei Vlissingen gebaut wurde. „Wir haben die Induktionsmaschine eingesetzt, und die Fahrbahn ist noch immer in perfektem Zustand. Normalerweise hätten wir nach dieser Zeit schon mit Schlaglöchern zu kämpfen.“ Noch ambitioniertere Ziele hat er sich für Betonbauwerke gesetzt. Mit Hilfe von Mikroorganismen sollen diese künftig bis zu hundert Jahre halten.

„Die Bakterien schlummern in einem inaktiven Zustand. Erst wenn sie mit Wasser in Berührung kommen, das durch einen Riss im Material eindringt, wachen sie auf. Dann produzieren sie Kalk, der die Risse verschließt.“ In einer Tiefgarage habe sich das Verfahren bewährt. Der Nachteil: Das Material ist rund 15 Prozent teurer als konventioneller Beton. „Auf lange Sicht lassen sich damit allerdings riesige Beträge einsparen.“

In Deutschland, wo rund ein Viertel der Autobahnen aus Beton besteht, arbeitet die TU München an einem ähnlichen Verfahren. „Wir forschen an drei verschiedenen Heilungstechniken“, sagt Christian Große, der den Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung leitet. Er experimentiert mit Hydrogelen, die Wasser im Beton aufsaugen und sich dabei ausdehnen. „Das Prinzip ist das Gleiche wie bei Windeln.“ Der Unterschied: „Der Klebstoff erhöht zusätzlich die Festigkeit des Werkstoffs. Damit können wir Beton fast komplett heilen.“ Aber, da bleibt der Wissenschaftler realistisch, ganz ausgereift ist das Verfahren noch nicht. „Wir müssen verhindern, dass der Beton schon beim Zusammenmischen verklebt.“

Trotzdem geht er davon aus, dass die Mischung in drei bis vier Jahren marktreif ist. Immerhin ist seine Forschung ein Teil des EU-Projekts „Healcon“, das über ein Budget von 5,3 Millionen Euro verfügt und Hochschulen mit Baufirmen in ganz Europa zusammenbringt.

Kohlenstoff-Lamellen, Teppichvariante und App-Alarm

Selbst für rostende Stahlbrücken besteht Hoffnung. In den Labors der Hochschule Wismar entstehen Kohlenstoff-Lamellen, die in die hohlen Längsträger unter der Fahrbahn eingeführt werden können. „Das läuft per Inliner-Fahren, wie bei der Kanalreinigung“, sagt Kersten Latz. Der Brückenspezialist schätzt, dass die Sanierungskosten nur ein Fünftel dessen betragen, was ein Neubau kosten würde. Auch können Brücken bei laufendem Betrieb repariert werden. Zudem steigern die Lamellen die Tragfähigkeit um bis zu 25 Prozent. „Das ist besonders wichtig, weil der Schwerlastverkehr weiter zunimmt.“ Vermutlich noch 2015 werde er das Verfahren an einer Brücke in Norddeutschland testen.

Was aber tun, wenn eine Fahrbahn nicht mehr zu retten ist? Hier setzt Bernhard Steinauer an, emeritierter Professor an der Technischen Hochschule Aachen und leidenschaftlicher Verfechter einer Teppichvariante. Nach den Vorstellungen des Bauingenieurs soll künftig nur die oberste Schicht abgetragen und durch eine abrollbare Schicht ersetzt werden. „Abends noch fahren Sie über eine alte Straße, am nächsten Morgen ist alles neu. Damit gehören kilometerlange Dauerbaustellen endlich der Vergangenheit an.“

Je nach Beschaffenheit der Deckschicht könne die Straße sogar Strom produzieren, sagt Steinauer. Zudem soll sie nicht nur haltbarer, sondern auch leiser und mindestens genauso rutschfest sein wie Asphalt oder Beton. Doch genau da liegt das Problem: „Wir suchen weiterhin das passende Material.“ Fünf bis zehn Jahre dauere es noch bis zum Durchbruch.

Bis dahin können Verkehrsteilnehmer auf eine Technik zurückgreifen, die sie ohnehin mit sich herumtragen. Per Smartphone lassen sich Schlaglöcher direkt an die zuständigen Behörden melden – so wie in Gelsenkirchen, wo die Stadt vor zwei Jahren eine entsprechende App eingekauft hat. „Wie viel wir damit sparen, können wir nicht genau beziffern“, gesteht Rathaussprecher Martin Schuhmann. Aber die Software helfe garantiert.

„Das ist wie bei Karies. Bei einem kleinen Loch kann man noch etwas retten, bei einem großen ist alles zu spät.“ Die Wer denkt was GmbH, ein Start-up aus Darmstadt, hat sich auf die Entwicklung solcher Apps spezialisiert. Schon 20 Kommunen in Deutschland nutzen nach Angaben der Firma die Technik, Tendenz steigend.

Noch schöner wäre es nur, wenn Schlaglöcher erst gar nicht entstünden. Schon heute wird der Zustand der Autobahnen durch Messfahrzeuge überprüft. Mujib Rahman, Wissenschaftler an der Brunel University in London, will diese Daten nutzen. Er schreibt einen Algorithmus, der Schlaglöcher erkennen soll, bevor sie auftreten. Ob’s funktioniert, wird sich zeigen, Rahman will noch in diesem Jahr einen Feldversuch starten. Bis dahin hilft nur eins: Augen zu und durch – oder lieber doch drum herum.

Zumal das Bundesverkehrsministerium allzu hohe Erwartungen bremst. In Bezug auf den „Wunderasphalt“ erklärt ein Sprecher, der Ansatz werde „eher kritisch beurteilt“. Verantwortlich dafür sei die hohe Wiederverwertungsquote in Deutschland. Soll heißen: Abgenutzter Asphalt wird meist abgetragen, recycelt und bei neuen Bauvorhaben noch einmal verwendet. „Dies setzt allerdings die Minimierung von Zusätzen wie Stahlwolle im Ausbauasphalt voraus.“ Auch sonst sei das Verfahren „nicht vergleichbar mit einer Komplettsanierung eines Streckenzugs“.