Die neue Studenten-WG – eingerichtet von Jägermeister Foto: Michaela Korte (Innerview)

Unternehmen machen viel, um junge Leute zu erreichen. Sie laden zu Popkonzerten, lassen Studenten umsonst wohnen, feiern Partys in leer stehenden Gebäuden. Es geht um die Kunden von morgen.

Stuttgart - Hübsch ist die Wohnung geworden. Die Wände wurden von bis zu sieben Lagen Tapeten befreit, jetzt zeigt sich die rohe Wand. Im Wohnzimmer stehen zwei bequeme Ledersessel. Das selbst gezimmerte Sofa kann zum Gästebett umgebaut werden. Darunter sind ein paar Brettspiele verstaut. Lisa, Peter, Moritz, Johanna und Thomas wohnen seit ein paar Tagen hier in der studentischen Wohngemeinschaft. Mitten in der Stuttgarter Innenstadt in einem denkmalgeschützten Gebäude. Sie bewohnen 154 Quadratmeter auf zwei Etagen. Ein Jahr lang, mietfrei. Möglich macht das der Kräuterlikörhersteller Jägermeister.

Dunkelgrüne Flaschen sind zu Blumenvasen zweckentfremdet

Die kleinen Sprossenfenster bieten einen Blick auf die Geißstraße. Vor allem am Wochenende, wenn in den Bars wie Transit/Bergamo, im Mata Hari und den vielen anderen Kneipen am Hans-im-Glück-Brunnen gefeiert wird, ist in der Gegend sehr viel los. Es ist ein guter Platz für Studenten, die „irgendwas mit Medien“ machen, wie es auf dem Jutebeutel in Peters Zimmer steht. Und auch ein guter Platz für eine Marke wie Jägermeister.

In der Wohnung selbst hält sich der Kräuterlikör, der durch den Hirsch im Logo und die Farben Grün und Orange bekannt ist, dezent im Hintergrund. Die dunkelgrünen Flaschen sind zu Blumenvasen zweckentfremdet, in der Küche stehen ein Holzbrettchen und ein Toaster mit dem Hirschlogo.

Jägermeister ist nur ein Beispiel von vielen, wie Firmen neue Wege gehen, um auf sich aufmerksam zu machen, um die junge Zielgruppe zwischen 14 und 40 Jahren zu erreichen, die eben nicht mehr um 20.15 Uhr vor dem Fernseher sitzt, sondern schaut und liest, wann und was sie möchte, sich durch Blogs scrollt, Serien im Netz schaut.

Oft werden Popstars vor den Karren gespannt

Die Industrie möchte immer ran an die junge Zielgruppe, an die Kunden von morgen. Oft macht sie das mit Events, manchmal mit Popstars, die sie vor den Karren spannt, und immer häufiger werden die angesprochenen Kunden selbst zum Botschafter der Marke.

Die Mobilitätsplattform Moovel lud im Februar beispielsweise den Indiepopstar Woodkid zum Geheimkonzert. Nur wer sich via App registrierte, hatte die Chance auf Gratiskarten. Jan Delay spielte andernorts für Fiat kleine Konzerte vor nur 500 Leuten in fünf verschiedenen Städten. Die Biermarke Wulle der Dinkelacker-Brauerei lädt neuerdings zu Wohnzimmerkonzerten in Berlin und Stuttgart ein. Immer wieder zeigt die Marke Red Bull, dass es bei ihr um mehr als nur um einen Energydrink geht: Sie begleitet und sponsert etliche Sport- und Musikereignisse. Mercedes lässt von Panda-Rapper Cro ein Auto bemalen, das dann einem Fan geschenkt wird. Verbreitet wird das Ganze flugs via soziale Netzwerke.

Für Kampagnen all dieser Art sind meist Kommunikationsagenturen zuständig, die nicht mehr nur klassische Werbung im Fernsehen oder in Zeitungen, sondern das Gesamtpaket inklusive Events und Social-Media-Hype verkaufen. „Story Telling“, Geschichten erzählen also, und „Emotionen“ sind die Schlagworte, wenn es um Marketing im Jahr 2015 geht. Dabei gilt es, viel zu beachten und schnell zu reagieren. „Die Zielgruppe lässt sich überhaupt nicht mehr festlegen“, sagt Tim Höchel (45), Geschäftsführer der Stuttgarter Event- und Kommunikationsagentur Full Moon. Er weiß: „Man muss die Leute aus dem Netz in die reale Welt bekommen. Deshalb sind Live-Events so wichtig geworden.“

Erfolg wird in Klicks messbar, der Konsument selbst wird zum Markenbotschafter

Er zeichnete beispielsweise für die Roadshow für den Fiat 500 X verantwortlich. Die Idee war es, geheime Konzerte in verschiedenen deutschen Städten zu veranstalten. Mit „zielgruppengerechtem Star“, sagt Höchel. Das war dann Jan Delay, um dessen Konzerte sich die Fans bewerben konnten. Das schafft die Begierde, dabei zu sein. Doch es kommt auch zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört: Kunst und Kommerz. Neu ist das natürlich nicht. Festivals und andere Pop-Veranstaltungen lassen sich schon seit vielen Jahren sponsern. „Der Künstler ist begehrt, weil er nicht kommerziell ist. Die Industrie will aber Produkte verkaufen. Das ist die Kunst, die man zusammenbringen muss“, erklärt Höchel.

Wer beim Konzert von Delay in den Wagenhallen nicht dabei war, sah anschließend auf sozialen Netzwerken wie etwa Facebook oder Instagram, wer vor Ort war. Dabei zu sein ist wichtig. „Ein solches Event lebt vom viralen Effekt im Internet“, sagt Höchel. Das sei für ihn bare Münze. Und dieser Erfolg sei in Klicks ganz klar messbar.

Neu ist aber, dass auch jeder einzelne Konsument über seine sozialen Netzwerke zum kleinen Markenbotschafter wird – ohne dafür nur einen Cent zu bekommen. Für die Marken selbst ist das nicht sonderlich beeinflussbar. Die Leute teilen auf ihren sozialen Kanälen nur das, was gefällt. „Die jungen Leute sind sehr kritisch“, so Kai Dechsling, Eventmarketingleiter von Jägermeister. Tim Höchel sagt: „Der Konsument hat heute viel mehr Macht.“

So geht demokratisiertes Marketing

Alle Marketingfachleute wissen, dass sich das Publikum verändert hat, dass es weniger greifbar und erreichbar ist – und auf Aktionen auch mal mit einem Shitstorm reagieren kann. „Das ist demokratisiertes Marketing“, sagt Thomas Hornung (36), Geschäftsführer der Stuttgarter Agentur 0711 Livecom GmbH. Er weiß: „Die Kids sind mündig und nicht dumm. Da bringt es nichts, wenn sich Zetsche eine Mütze aufsetzt und „Yo“ sagt.“ „Authentizität“ ist ein Wort, das er nennt. So passe es eben, dass Panda-Rapper Cro ein Markenbotschafter für Mercedes ist. Natürlich wird den Popstars dann sofort Ausverkauf vorgeworfen, wenn sie für einen Autohersteller Konzerte spielen, ihre Tour von einer Getränkemarke unterstützen lassen. „Da muss man aufpassen“, sagt Hornung. „Es wirkt nur, wenn es nicht aufgesetzt ist und der Künstler mit der Marke etwas anfangen kann.“

Für viele Firmen wird es immer wichtiger, mit der jungen Zielgruppe in Kontakt zu kommen. Und das machen sie eben nicht nur im Netz, sondern ganz real. Bei der vielen Zeit, die sie im Internet verbringen, wollen die Menschen selbst etwas erleben. „Es ist wichtig, dass die Menschen hautnah mit der Marke in Kontakt kommen und ein relevantes Erlebnis geschaffen wird“, sagt Hornung. Was vor Ort passiert, muss dann aber einen Nachklang finden. Hornung sagt: „Die Aufbereitung und Ausspielung der Ergebnisse nach einem Event ist für die Marke genauso wichtig.“

Geheimkonzerte, von denen die Gäste nicht genau wissen, wo sie stattfinden, und zu denen nur eine bestimmte Anzahl an Menschen Zulass hat, ziehen immer. Wie beispielsweise, als der Energydrink-Hersteller Red Bull im September 2014 eine exklusive Party für 500 geladene Gäste in der Stuttgarter Villa Berg feierte. Der Ort und die Künstler auf der Bühne waren bis zum Veranstaltungsabend geheim.

Geheimkonzert funktioniert immer. Wie die Hüpfburg vor dem Einkaufszentrum

Hornung war mit seiner Agentur für die Konzeption und Organisation verantwortlich. Die Idee eines Geheimkonzerts sei ja nichts Neues, sagt Hornung: „Das ist ein bisschen, wie eine Hüpfburg vors Einkaufszentrum zu stellen. Das kommt immer an. Jedoch muss man es heute schaffen, die Menschen zu überraschen und einen fühlbaren Mehrwert oder eine Begehrlichkeit zu entwickeln.“

Jägermeister macht schon seit geraumer Zeit viel, um auch eine Welt um die Marke zu schaffen. Bei der Jägermeister-Blaskapelle sind Marteria und Sido dabei. Es gab schon Wirtshaustouren mit Künstlern wie beispielsweise Peaches – und einen Schnaps am Eingang. Dass ein Kräuterlikörhersteller freilich Wohnraum für Studenten zur Verfügung stellt, ist ein Thema, das für Aufregung sorgt. In der Wohngemeinschaft selbst sollen kreative Projekte entwickelt werden, „grundsätzlich ist alles vorstellbar“, sagt Dechsling von Jägermeister. Was die fünf in ihrer Wohnung machen, sei jedoch privat. Immerhin: Sie bekommen noch eine Schulung in Sachen Marketing und wie man verantwortungsvoll mit Alkohol umgeht.

„Es ist nicht mehr zeitgemäß, eine Botschaft in die Welt hinauszuschreien“, sagt Dechsling. Vorbei die Zeiten, als man lustige Geschenkchen auf der Straße oder eben auf Partys in die Hand gedrückt bekam. Oft musste man seine eigene oder eine erfundene Adresse auf eine Postkarte schreiben, um etwas zu erhalten. „Das Marketing der Zukunft ist es, gemeinsam Sachen zu entwickeln“, sagt Dechsling, der seit dreieinhalb Jahren für Jägermeister arbeitet, zuvor war er bei Red Bull.

Doch was hat die Marke von einer solchen Aktion wie der einer Studenten-WG? „Wir versprechen uns, dass wir gemeinsam tolle Sachen entwickeln“, sagt Dechsling. Aber: „Unser Ziel ist es natürlich auch, als innovative Marke rüberzukommen, die kulturelle Peaks setzt.“ Ob dadurch mehr Flaschen verkauft werden, kann auch er nicht sagen.