Wo früher Koalitionen geschmiedet wurden, toben demnächst Kinder durch die Räume. In der Villa Scheufelen wird eine Maria-Montessori-Grundschule eröffnet. Foto:  

Die anscheinend exklusivste Grundschule der Stadt wirbt auch um die Kinder von Sozialhilfeempfängern. Unterrichtet wird nach Maria Montessori.

S-Mitte - Ein offener Kamin im Klassenzimmer dürfte deutschlandweit eine Rarität sein. Einen Schulhof von der Größe eines Amateurfußballfelds nennt gewiss auch nicht jede Grundschule ihr eigen, zumal, wenn in ihr höchstens 40 Kinder unterrichtet werden. So wird es in der Grundschule sein, die das Kolpingwerk oberhalb der Alexanderstraße im September eröffnet. Dies in der Villa Scheufelen, die 1936 der Architekt Kurt Dübbers als Alterswohnsitz für den Papierfabrikanten Heinrich Scheufelen entworfen hat.

Die Villa steht am Hang eines Parks. Die Stadt hatte sie vor zweieinhalb Jahren für knapp zwei Millionen Euro verkauft, um dort die Schule zu ermöglichen. Etwa den gleichen Betrag kostete die Sanierung des denkmalgeschützten Baus. Die genauen Zahlen unterliegen dem Datenschutz.

Noch nutzt das Kolpingwerk das Haus als Bürobau

Susanne Walter sitzt in eben jenem Kaminzimmer. „Das ist unser größtes Klassenzimmer“, sagt sie, „Frontalunterricht wäre hier natürlich nicht möglich“. Walter wird die Schule leiten. Der Raum ist kaum größer als ein durchschnittliches Wohnzimmer. Derzeit dient er als Besprechungszimmer. Noch nutzt das Kolpingwerk das Haus als Bürobau. Im August ziehen die Mitarbeiter um.

Unten im Erdgeschoss empfing Scheufelen einst die Politprominenz. Unter anderem handelten dort Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt 1966 ihre große Koalition aus. Die Räume waren einst repräsentativer; heute sind sie schlicht größer als die Wohnräume im ersten Stock. Künftig werden in ihnen Knirpse toben. Sie sind als Kinderhort für den Nachmittag eingerichtet.

Aller Voraussicht nach werden am 12. September nicht wesentlich mehr als zehn Kinder eingeschult. Das Interesse an den Besichtigungsterminen, die seit ein paar Wochen angeboten werden, sei groß, „aber wir sind zu spät dran“, sagt Walter. An den staatlichen Schulen hatte die Anmeldefrist bereits im März begonnen. Zu dieser Zeit hatte die künftige Schulleiterin noch nicht einmal ihre Bewerbungsunterlagen abgegeben. Im nächsten Februar sollen weitere Schüler hinzukommen, irgendwann die angepeilte Grenze erreicht sein.

Die Schule in exklusiver Umgebung hatte von Anfang an mit Vorurteilen zu kämpfen. Und das hat sie noch immer. Anfangs hatte sogar der Leiter des Stadtplanungsamts, Detlev Kron, bezweifelt, dass in dem Bau die Vorschriften für Brandschutz und Behindertengerechtigkeit eingehalten werden können. Sie konnten, weil der Unterricht völlig anders ablaufen wird als in staatlichen Schulen. Er orientiert sich an der Lehre von Maria Montessori. Das heißt: Klassen gibt es nicht. Die Kinder arbeiten allein oder in Kleingruppen gemischten Alters an Aufgaben, die sie selbst wählen dürfen.

„Wir arbeiten nach dem Bildungsplan, und der ist streng“

„Freiarbeit“ nennt sich dies in der Montessori-Lehre. „Der Begriff ist bei den Terminen mein größtes Problem“, sagt Walter. Die Eltern argwöhnen, dass ihre Kinder den ganzen Tag nichts tun als zu malen oder im Garten zu toben. „Aber Freiarbeit heißt nicht, dass jeder machen kann, was er will“, sagt Walter. Zwar gibt es keine Stundenpläne, aber es gibt Zielvorgaben, und die Ziele müssen erreicht werden – auch in ungeliebten Fächern wie der Mathematik. „Durchmogeln ist nicht möglich“, sagt Walter. „Wir arbeiten schon nach dem Bildungsplan, und der ist streng.“

Das letzte Vorurteil ist, dass in der Villa verzogene Schnösel reicher Eltern zu einer künftigen Elite herangezogen werden sollen. „Es gibt sehr hochpreisige Privatschulen in Stuttgart“, sagt Walter, aber „unter unseren Interessenten sind auch Bonuscard- und Familiencardinhaber“. Sprich: Familien, die vom Jobcenter oder dem Sozialamt unterstützt werden.

Ob ein monatliches Schulgeld von mindestens 165, einschließlich Mittagessen und Nachmittagsbetreuung 390 Euro hochpreisig ist oder nicht, bleibt selbstredend Ansichtssache. Allerdings sind die Summen fürs Essen und die Betreuung bis 17 Uhr nicht wesentlich höher als an staatlichen Schulen, und die Stadt und im Zweifel auch das Jobcenter bezuschussen Bedürftige . Die Beträge können so auf weniger als die Hälfte fallen. An die Internationale Schule, die in Stuttgart tatsächlich als Eliteschule gilt, müssen Eltern zwischen 1000 und 1400 Euro monatlich überweisen.