Die dem Buch vorangestellte Zeichnung verdeutlicht das Wesen von Robert Bosch, der mit dem skeptisch-distanzierten Blick des Älblers auf sein Gegenüber blickt und fragt, ob der „au ebbes daugt“ Foto: Verlag C. H. Beck

Anlässlich seines 75. Todestages ist eine neue Biografie von Robert Bosch erschienen. Sie stellt den Unternehmer als einen Mann dar, der sich politischen Entwicklungen ausgesetzt sah, die ihm höchst zuwider waren.

Stuttgart - Je weiter man in der Biografie über Robert Bosch vordringt, die jetzt anlässlich seines 75. Todestages erschienen ist, desto mehr erinnert man sich an die „Einsame Masse“, den legendären Soziologie-Klassiker von David Riesman, der in den fünfziger Jahren Aufsehen erregt hatte. Riesman hat die Entwicklung von Gesellschaften eingeteilt in Traditionslenkung, Innenlenkung und Außenlenkung. Beim Lesen von Peter Theiners Biografie wird rasch klar, dass Robert Bosch wie kaum ein anderer den Typus des innengelenkten Menschen verkörpert hat, des auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bedachten Bürgers. Die dem Buch vorangestellte Zeichnung verdeutlicht mehr als jede Fotografie das Wesen eines Mannes, der mit dem skeptisch-distanzierten Blick des Älblers auf sein Gegenüber blickt und fragt, ob der „au ebbes daugt“.

Über Bosch ist schon viel geschrieben worden, sowohl über den Techniker als auch den Unternehmer und Reformer. Deshalb hat Theiner, den Spuren von Theodor Heuss und dessen Bosch-Biografie folgend, einen anderen Ansatz gewählt: Bosch sah sich im zwanzigsten Jahrhundert, dem Zeitalter der Extreme, politischen Entwicklungen ausgesetzt, die ihm höchst zuwider waren, und Theiner untersucht, wie der Bürger und Unternehmer darauf reagiert hat und ob er seinen eigen hohen Maßstäben immer gerecht wurde.

Genau genommen geht es hier um das Bürgerliche in Zeiten der Bürgerfeindlichkeit. Theiner, der Fachhistoriker, der in der Bosch-Stiftung den Bereich „Geschichte der Philanthropie“ verantwortet, weitet den Blick über das Biografische hinaus auf die zeithistorischen Gesamtvorgänge. Das geschieht auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Das hätte man sich hier und da etwas kürzer gewünscht, aber nur so lässt sich erklären, dass Bosch zwar immer innere Stärke bewiesen hat, aber gelegentlich auch Fehleinschätzungen unterlag. Das war damals nicht selten auch eine Frage der rechtzeitigen Information. Heute, da politische Versuchungen wieder wachsen und widerständiges bürgerliches Denken gefragt ist, ist dieses Buch ein Lehrstück von hoher Aktualität.

Er strebt nach geistiger und beruflicher Unabhägigkeit

Woher bezog Robert Bosch seine Maßstäbe? Der Vater, ein begüterter Gast- und Landwirt auf der Ulmer Alb, war ein überzeugter Demokrat, ein Liberaler, das aber in einem eher volksdemokratischen Sinne und in Abgrenzung zu den Liberalen. Zwar war der Vater ein Befürworter eines deutschen Nationalstaates, aber nicht unter preußischer Vorherrschaft. Das militaristische Preußen war für ihn die „Verkörperung des bösen Prinzips“.

So sah es auch der Sohn. Es wird berichtet, ist aber nicht belegt, Bosch und sein Geschäftsführer Hans Walz seien auch deshalb gegen die Nationalsozialisten eingestellt gewesen, weil sie diese zunächst für Preußen hielten. Durchdrungen von südwestdeutscher Liberalität suchte der junge Bosch seinen Weg in die geistige und berufliche Unabhängigkeit. Er wurde freisinnig erzogen, war aber nicht – im Sinne Max Webers – „religiös unmusikalisch“, im Gegenteil, er stellte viele Fragen, auf die er aber keine überzeugenden Antworten erhielt. Er war Agnostiker, aber kein Atheist. Als ihn eine Gruppe der Gottesleugner anwerben wollte und um Spenden anging, hielt ihnen Bosch entgegen: „Woher wollt ihr wissen, dass es keinen Gott gibt?“

Sein Leben war ein Plädoyer fürs Offenhalten. Er liebte Licht und frische Luft, was sich auch in der Einrichtung seiner Fabrikhallen niederschlug. Er ging gerne auf die Jagd, die er bei seinem Vater kennengelernt hatte. Menschen, die er prüfen wollte, durften ihn begleiten.

Prägende Zeit in den Vereinigten Staaten

Bosch folgte auch lebensreformerischen Impulsen. Er hatte einen Hang zur Wollkleidung, aber auch zur Homöopathie, war aber kein Gegner der herkömmlichen Medizin. Als er mitten im Krieg ein Krankenhaus stiftete, sollte es homöopathisch sein, aber nicht ausschließlich. Mit seiner toleranten Haltung war er seiner Zeit weit voraus: „Alle können sich an ihren Gott halten, so lange sie gute Menschen sind.“ Prägend blieb der vom Vater vorgegebene Wahlspruch: „Sei ein Mensch und ehre die Menschenwürde.“ Das führte zu einer inneren Haltung, die Theodor Heuss in seiner Biografie als „Puritanertum ohne Religion“ gekennzeichnet hatte.

Bosch hatte in Ulm die Realschule besucht, tat sich aber mit der Berufswahl schwer. Er hatte kein Verhältnis zur Mathematik, so war die Entscheidung, in Ulm eine Lehre für Feinmechanik anzutreten, eher beiläufig. Er war dort aber nicht glücklich und sein Interesse an Elektrotechnik wuchs erst, als er bei der Stuttgarter Firma C. und E. Fein als Gehilfe arbeitete.

Als junger Mann wollte Bosch die Vereinigten Staaten kennenlernen, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts im Begriff waren, zu einer industriellen Weltmacht aufzusteigen. Die Begegnung mit dem Erfinder Thomas Edison war ein Schlüsselerlebnis. Aber ebenso prägte ihn ein anderes Ereignis: Bosch, der in den USA einem Broterwerb nachging, wurde entlassen. Er erfuhr, was konjunkturelle Wechselfälle für den Arbeitnehmer bedeuten.

Er suchte Halt bei einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung, den „Rittern der Arbeit“. Sie traten für den Achtstundentag ein. Bosch war beeindruckt. Seiner Verlobten Anna Kayser schrieb er: „Siehst Du, ich bin nun ein Sozialist.“ In dieser Phase ermunterte er seine Verlobte zum kritischen Gedankenaustausch: „Ich will kein Spielzeug, ich will einen Gefährten.“ Der junge Mann kehrte nach Deutschland zurück, es gefiel ihm nicht in einem Land, dem der Eckstein der Gerechtigkeit fehlte.

Der Unternehmer Bosch

Für Robert Bosch war es selbstverständlich, einen eigenen Betrieb zu gründen. Seine Anfänge als Unternehmer waren bescheiden. Er verfügte über ein Startkapitel von 10 000 Mark aus dem Nachlass seines Vaters. Die Entwicklung war, wie Bosch selbst beschrieb, „ein böses Gewürge“.

Der Ausbruch der „Lichtmanie“, der Drang zur beleuchteten Stadt rettete ihn. Und der Ruf der Firma wuchs dank strenger Qualitätskontrolle und überdurchschnittlicher Vergütung.

Der durchschlagende Erfolg kam mit dem Hochspannungs-Magnetzünder, der Bosch wohlhabend machte. Geprägt von den amerikanischen Erfahrungen führte Bosch 1906 den Achtstundentag ein. Dass er zugleich höhere Löhne als üblich bezahlte, war für ihn nicht einfach soziale Wohltat, sondern eng verknüpft mit der Qualität der Arbeit: „Wohltätigkeit ist in meinem Unternehmen nicht vorgesehen.“ Hilfe sollte es nur für Menschen in unverschuldeter Not geben. Für den Biografen Peter Theiner ist diese Sichtweise ein typisches Merkmal liberaler Sozialpolitik.

Bosch verstand sich nicht als sentimentaler Wohltäter, ihm ging es um das Allgemeinwohl, und so waren auch seine Stiftungen angelegt. Er stiftete nicht um gesellschaftlicher Rangerhöhung willen, um Orden oder gar Adelsprädikate – ein Robert von Bosch ist schlechterdings nicht vorstellbar. Auch waren Stiftungen für ihn keine Rückversicherung zum Seelenheil im säkularen Gewand. Sein wachsendes Vermögen sollte auch dem Volkswohl im weitesten Sinne zugutekommen. Alles andere hatte seinem ausgeprägten bürgerlichen Pflichtgefühl widersprochen.

Die Folgen des Krieges

Und das galt erst recht für die Kriegsgewinne, die der Bürger Bosch mitten in den Kriegsjahren zu zivilen Stiftungen umlenkte. „Mich drückte der Verdienst, den ich machte, während andere ihr Leben einbüßten.“ Die Bosch-Kriegs-Stiftung mit einem Umfang an 13 Millionen Mark war die größte private Stiftung seit der Jahrhundertwende. Sie galt auch dem Ausbau des Neckarkanals, dessen Inbetriebnahme er aber nicht mehr erlebte. Der Bauabschnitt Heilbronn–Stuttgart wurde erst 1958 von Bundespräsident Heuss eingeweiht. Bosch war es darum gegangen, mitten im Krieg der Normalität eine Chance zu geben.

Schon 1912, während der zweiten Balkankrise, fürchtete Bosch den Ausbruch eines Krieges: „Ich bezahle lieber zehn Millionen, wenn ich dadurch den Ausbruch eines Krieges verhindern kann.“ Zeitlebens hatte er Vorbehalte gegen Aufrüstung und militärische Denkfiguren. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bedeutete für das Unternehmen zunächst Chaos und den Zusammenbruch von Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland. Als auch England – für Bosch eher unerwartet – in den Krieg eintrat, teilte er die sich ausbreitende antibritische Stimmung und meinte gar, man könne das Inselreich niederringen. Bald musste er erkennen, dass er von falschen Voraussetzungen ausgegangen war.

Rund 80 Prozent seines Umsatzes hatte Bosch mit Ländern gemacht, die nun seine Kriegsgegner waren. Dem Unternehmer blieb wegen des politisch-gesellschaftlichen Drucks kaum etwas anderes übrig, als in die Rüstungsproduktion einzusteigen. Man produzierte Zündapparate für Flugzeuge und Zeppeline, pyrotechnische Zünder für Minen, und das in großer Stückzahl. Während die Rüstungsindustrie boomte, zerfiel die gesellschaftliche Umwelt. Der Wohnungsbau stockte, die Preise stiegen, und Nahrungsmittel wurden knapp.

Bosch fördert die kritische Presse

Weil er erkannte, dass die Behörden überfordert waren, fühlte sich Bosch zum Handeln aufgerufen. Als nach Gefechten beim elsässischen Mühlhausen 500 deutsche und französische Verwundete in Stuttgart eintrafen, ließ er gerade fertiggestellte Fabrikhallen räumen und in Lazarette umwandeln. Er rief die „Kriegshilfe“ ins Leben, für die er eine Anschubfinanzierung von 300 000 Mark bereitstellte. Er richtete Werkstätten für Kriegsblinde und andere Invaliden ein – ein bahnbrechendes Engagement aus eigenem Antrieb – und gründete 1918 den „Verein zur Förderung der deutschen Volksbildung“.

An einen Sieg-Frieden glaubte Robert Bosch längst nicht mehr und schrieb an seine Frau: „Der Friedensschluß wird ein schwieriges Stück Arbeit sein. Es kann sich nicht darum handeln, dass wir noch mehr erobern, als wir schon haben.“ Die Forderungen der All-Deutschen ließen ihn verzweifeln und fragen: „Lohnt es sich überhaupt noch, sich in politischen Fragen zu exponieren?“ Der Sturz des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg, in dem er einen Garanten gegen das völlige Abgleiten in die politische Irrationalität sah, verstärkte seine Skepsis. Dem Kaiser trauerte er nicht nach: „Was bei ihm gefehlt hat, das war der gute Haushalter, der in jeden Winkel hineinsieht und riecht, ob es nicht stinkt. Das wäre seinem Beruf gemäß des Kaisers gewesen.“

Nach dem Krieg baute Bosch vorrangig seine ausländischen Niederlassungen wieder auf und gründete die Hauszeitschrift „Der Bosch Zünder“. Sie stand von Anfang an aufseiten der Demokratie, war gegen „Fabrik-Patrialismus“, ebenso gegen „Hochmut und Dünkel“. Überhaupt förderte Bosch die kritische Presse. Um dem reaktionären Berliner Verleger Alfred Hugenberg entgegenzuwirken, übernahm er die Kapitalmehrheit an der Deutschen Verlagsanstalt und damit Anteile am „Stuttgarter Neuen Tagblatt“ und der „Württembergischen Zeitung“. Bosch wurde zur Schlüsselfigur des südwestdeutschen Zeitungswesens, ohne sich in redaktionelle Dinge einzumischen. Genau das aber taten die Nationalsozialisten, die dieser „Demokratenclique“ ein Ende bereiten wollten.

Mäzen des Widerstandes

Politisch näherte sich Bosch dem Pazifisten Ludwig Quitte an, dem Friedensnobelpreisträger von 1927. Vorrangig aber ging es ihm um die deutsch-französische Aussöhnung, er wurde 1930 Mitglied der Deutsch-Französischen Gesellschaft. Obwohl er den Reichspräsidenten Hindenburg kritisch sah, setzte er sich 1932 für dessen Wiederwahl ein, weil er in ihm das letzte Bollwerk gegen die braune Flut sah. Das war ein schwerer Irrtum, wie wir seit Wolfram Pytas Biografie über Hindenburg wissen. Eine Fehleinschätzung war es auch zu glauben, auf Hitler im direkten Gespräch einwirken zu können. Damals hatte Bosch noch nicht erkannt, dass Hitler die treibende Kraft hinter den verbrecherischen Zielen der Nazis war. Als das Treffen zustande kam, gab es so gut wie keinen Dialog, und Bosch fühlte sich manipuliert.

Einen offenen Widerstand gegen die mit Wucht einsetzende Diktatur hielt man im Hause Bosch nicht für möglich. Die Führungsspitze wäre wegen „Landesverrats“ verhaftet, das Unternehmen beschlagnahmt und den Nazis unterstellt worden. So kam es zu dem Entschluss, sich zu tarnen, Kooperation vorzutäuschen, dem System aber Hindernisse in den Weg zu legen.

Sich der geringen Einwirkungsmöglichkeiten bewusst, litt Bosch seelisch und körperlich unter dem System. Spätestens nach dem Eintritt der USA 1941 hielt er auch diesen Krieg für verloren, und er stöhnte: „Mein alter Hirnkasten hält nichts mehr aus.“ Aber als der sich verantwortlich fühlende innengelenkte Bürger blieb er ein Mäzen des Widerstandes.

Spätestens hier ist – zumal in einer weitgehend außengelenkten Gesellschaft – nach den Wechselbeziehungen von Bürgerlichkeit und Innenlenkung zu fragen. Es stimmt nachdenklich, was Ulrich von Hassell, der Kopf des liberalkonservativen Widerstandes, nach einer Begegnung mit Bosch notiert hat: „Alter Mann den Jahren nach, aber lebhaft, klug und energisch. Man kann sich schwer vorstellen, dass unter heutigen Verhältnissen sich noch solche Persönlichkeiten entwickeln können.“