Die Opposition fürchtet eine Einführung der Gemeinschaftsschule durch die Hintertür. Foto: dpa

Gymnasien sind stolz auf ihre hohen Leistungsstandards – auch wenn nicht alle Schüler mithalten können. So soll es auch sein, meint die Landtags-FDP und verfolgt misstrauisch die Reformpläne.

Stuttgart - Die grün-roten Bildungsreformer machen nach Ansicht der Landtags-FDP auch vor den Gymnasien nicht halt: Unbemerkt von der Öffentlichkeit werde das Prinzip der Gemeinschaftsschulen auch auf diese Schulart übertragen, sagten Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und der Abgeordnete Timm Kern.

Sie begründen den Vorwurf mit dem Plan der Koalition, neue Bildungspläne mit gemeinsamen Standards für alle Schularten zu erstellen. Bildungspläne legen fest, über welche Kompetenzen ein Schüler bis zu einem gewissen Zeitpunkt verfügen muss. „Ein Einheitsbildungsplan muss als Vorarbeit für ein Einheitsschulsystem angesehen werden“, sagte Rülke.

Erschwerend komme hinzu, dass die Gymnasien bei dieser Reform erst ganz zum Schluss einbezogen würden. Die Liberalen beziehen sich dabei auf eine offizielle Ankündigung des SPD-geführten Kultusministeriums, wonach die Pläne zunächst bis Klasse 10 gemacht werden sollen, erst danach für die Klassen 11 und 12 der Gymnasien: „Das Gymnasium wird dann nur noch ein Aufsetzer im Anschluss an den mittleren Bildungsabschluss sein.“

Diese Einschätzung deckt sich mit jener, die in der vergangenen Woche auch die Schulleiter geäußert hatten. „Die Zukunftsfähigkeit der Gymnasien in Baden-Württemberg ist massiv gefährdet“, lautet die Überschrift einer mehrseitigen Resolution der vier Direktorenvereinigungen im Land. Darin werfen die Pädagogen der Landesregierung vor, sie treibe die neue Bildungsplanarbeit unter großem Zeitdruck und ohne Information der Öffentlichkeit voran.

Rülke: „Nehmen Sie die Hände weg vom Gymnasium, nachdem Sie schon vor der Haupt- beziehungsweise Werkrealschule und der Realschule nicht haltgemacht haben“

Der Philologenverband – die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer – sprach gar von einer „grün-roten Gleichschaltungs- und Einebnungspolitik“. Ein Einheitsbildungsplan, bei dem einzelne Schularten nur noch durch unterschiedliche Niveaubeschreibungen berücksichtigt würden, gefährde die Studierfähigkeit der künftigen Abiturienten.

Doch damit ist das von den Liberalen aufgestellte grün-rote „Sündenregister“ noch nicht am Ende. Rülke und Kern wollen auch von einem „Abschulungsverbot“ gehört haben, das Kultus-Staatssekretär Frank Mentrup (SPD) gegenüber Schulleitern habe anklingen lassen. Dies würde bedeuten, dass leistungsschwache Schüler nicht mehr zu Real- oder Hauptschulen abgeschoben werden dürfen, sondern individuell gefördert werden müssen. Hamburg praktiziert dies bereits.

So werde den Gymnasien noch zusätzlich erschwert, ihren Leistungsanspruch aufrechtzuerhalten, hält Rülke dagegen, der früher selbst als Gymnasiallehrer gearbeitet hat. „Nehmen Sie die Hände weg vom Gymnasium, nachdem Sie schon vor der Haupt- beziehungsweise Werkrealschule und der Realschule nicht haltgemacht haben“, fordert er die Landesregierung auf.

Im Kultusministerium versteht man die Aufregung nicht

Auch juristisch melden die Liberalen Bedenken gegen die neuen Bildungspläne an, denn das baden-württembergische Schulgesetz sehe ein „schulartspezifisches Vorgehen“ vor. Ein Vorhaben von dieser Tragweite dürfe auch nicht am Landtag vorbei umgesetzt werden. Eine Bildungsplankommission, die lediglich mit Vertretern der Regierungsfraktionen besetzt sei, ersetze keine Parlamentsbefassung.

Im Kultusministerium versteht man die Aufregung nicht. Die Erarbeitung der neuen Bildungspläne habe gerade erst begonnen und werde „so transparent wie bisher noch nie“ ablaufen, versprach ein Sprecher. Die Reform orientiere sich auch an den gerade von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten deutschlandweiten Abiturstandards in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch.

Zu einem „Abschulungsverbot“ habe sich Staatssekretär Mentrup nicht geäußert, sagte der Sprecher. Allerdings solle der Lernprozess in allen Schularten noch mehr als bisher auf jeden einzelnen Schüler abgestimmt sein. Ziel sei es, das individuelle Lernen in allen Schularten weiterzuentwickeln. Dabei gehe es auch darum, die Schüler „so lange wie möglich in einer Schulart zu fördern“.