Raum der Stille: Klicken Sie sich durch die Architektur der neuen Stadtbibliothek am Mailänder Platz in Stuttgart. Foto: dpa

Eine Bauaufgabe radikal zu Ende gedacht: Die neue Stadtbibliothek - eine Architekturkritik.  

Stuttgart - Dieser Bau hat zwei Realitäten.Tagsüber ein hoch aufragender Kubus, in der Dunkelheit eine überdimensionale Lichtskulptur. Stuttgarts neue Stadtbibliothek ist ein ausdrucksstarkes Gebäude in schwierigem Umfeld.

Kein Buch, nirgends. Nur ein Raumquadrat von 14 Meter Höhe, Breite und Tiefe. Ist etwa auch Eun Young Yi in der Konzeption seines Neubaus der Stadtbibliothek Stuttgart den Irrweg mancher Kulturbauten, Kunstmuseen vor allem, gegangen, gegen die eigentliche Funktion zu bauen? Ein klares Nein ist zu formulieren. Yi schafft vielmehr inmitten eines betont offenen Innenraumgeflechts einen Gegenraum der Leere. Von "Entschleunigung" spricht Ingrid Bussmann, Direktorin der Stadtbibliothek - und verweist damit zugleich auf eine zentrale Voraussetzung, die Schätze einer Bibliothek wahrnehmen und nutzen zu können. Das Hereinkommen also soll ein Ankommen sein - und dieses Ziel hat der in Köln lebende Koreaner Eun Young Yi fraglos erreicht.

1999 ist die Entscheidung für seinen Entwurf gefallen, doch statt die Eröffnung wie geplant 2003 feiern zu können, versammeln sich die Festgäste an diesem Freitag - acht Jahre später. Yi selbst erinnerte erste Kritiker an seiner kompromisslos geometrischen Formensprache daran, dass sein Entwurf gerade deshalb ausgewählt worden sei, "weil die Bibliothek durch ihre klare Form und die ungewöhnliche Materialgebung aus Sichtbeton und Glasbaustein selbstbewusst zutage tritt und dadurch einen Ruhepol in dem heterogenen Stadtviertel bildet".

Lichtkonzept setzt Maßstäbe

Diese Qualität aber ist aktuell auch das Problem des Baus. Allein steht er auf dem zur Wolframstraße hin offenen Baufeld des ehemaligen Güterbahnhofs. Allein gelassen auch. Dies kehrt die Voraussetzungen auf diesem Areal - anders als die Flächen des Verkehrs- und Städtebauprojekts Stuttgart 21 nicht in städtischem Besitz, sondern von der Bahn verwertet - um. Die Bibliothek Eun Young Yis ist nicht mehr mögliches Korrektiv einer eiligen Handels- und Dienstleistungsbebauung, sondern ist nun Maßstab der weiteren Entwicklung.

35 Meter hoch ist der Bau. Von außen durch die Fassadenrhythmisierung von Sichtbeton und Glasbausteinen bestimmt, sind in der Innenentwicklung vor allem drei Punkte wichtig: Faszinierend der von Oberlicht erfüllte Bibliothekskern, ein sich über fünf Ebenen entwickelnder Atriumraum mit Galerien aus Bücherwänden. Darunter der eingangs erwähnte Gegenraum. Der Purismus dieses sich über vier Ebenen erstreckenden Kubus im Kubus ist nicht aufgesetzt, sondern radikale Einlösung des Selbstversprechens, sich mit dem Betreten der Bibliothek an einen anderen Ort zu begeben. Als eigentliche Basis und Ausgangspunkt des sich nach oben zylindrisch öffnenden Atriumraums erweist sich das Veranstaltungsforum im Untergeschoss. Stufenweise ist der Saal eingesenkt, und auch hier überzeugt die Detailqualität des insgesamt 76 Millionen Euro teuren Bibliotheksneubaus. So setzt etwa auch das Lichtkonzept Maßstäbe. Lichtbänder statt der Missverständnisse punktueller Erleuchtung - solche Klarheit überzeugt.

Ist der Gastronomiebereich zu klein?

Wie das Kunstmuseum am Schlossplatz im November 1997 als Kulturbauprojekt der Stadt Stuttgart präsentiert, verbindet auch eine funktionale Logik die Bibliothek Eun Young Yis mit dem 2005 eröffneten Kunstmuseum von Sebastian Hascher und Rainer Jehle. Zwischen der Doppelfassade findet sich ein begehbarer Raum. Man bewegt sich draußen im Inneren - und erlebt dies in den Höhen der Bibliothek noch intensiver als im Kunstmuseum.

Finden sich die Nutzer in dem neuen Haus zurecht? Absolut. Das "Herz" ist in den ersten Ebenen von Kinderbücherei und Musikbücherei umgeben, der offene Bibliothekskern von Themenarealen, in denen man auch schnell Ruhezonen findet. All dies erschließt sich vertikal eilends über die Fahrstühle. Wer kann, sollte aber unbedingt die Treppen nutzen. Sie bilden vor allem im Bibliothekskern eine eigene Figuration.

Dem (Tages-)Licht folgend nach oben - so kommt man zuletzt in die Dachebene mit dem Gastronomiebereich. Ist er zu klein bemessen? Darüber wird diskutiert werden. Mehr wohl bald, als über die Außengestalt dieser großen Bühne für das Buch und mehr. Yis Bibliothek ist in ihrer Konsequenz von eigener, zwingender Selbstverständlichkeit.