Am Karfreitag kehrt Wickie in moderner Form ins Fernsehen zurück. Wie das ausschaut, können Sie in unserer Bildergalerie sehen. Foto: ZDF

Nach „Maja“ hat das ZDF auch „Wickie“ modernisiert. Mit viel Slapstick und wenig Kanten wird das langsame Kinderfernsehen von früher immer hektischer.

Mainz - Das Fernsehen, es war mal ein langer ruhiger Fluss. Gerade für Kinder liefen auf drei Kanälen so herrlich ereignislose Formate, dass schnell Ruhe einkehrte und Raum für Fantasie blieb. Bei „Wicki“ zum Beispiel bewegten sich 1972 trotz wilder Raubfahrten oft nur die Lippen der Wikinger. Kurz darauf mag Paulchen Panther Verfolgungsjagden in Versform präsentiert haben – ihr Tempo war dagegen noch niedriger als die Schnittzahl. Selbst Captain Future flog meist stoisch durchs All. Und als Flip vor 38 Jahren erstmals die Biene Maja traf, wusste der Grashüpfer auf seiner Zeichentrickwiese „gar nicht, was ich euch erzählen soll“. Denn: „Im Moment passiert nicht so viel.“ Zu wenig, meint das ZDF und ließ die Serie vom belgischen Studio 100 digital überholen, bis von der Gemütlichkeit nur die Insektennamen blieben. „Mit dem alten Material“, erklärte Redaktionsleiterin Irene Wellershoff zum Start 2013, „erreicht man jetzige Generationen nicht mehr.“ Also wurden die Animes modernisiert, in 3-D, versteht sich, ziemlich laut, ziemlich schnell.

Und das war nur der Anfang: Karfreitag geht mit Wickie der nächste Altstar auf Sendung, und auch hier startet das erwartete Feuerwerk der Effekte. Statt betulicher Standbilder zu plätschernder Musik, hagelt es morgens im ZDF und abends im Kika zackigen Klamauk und überdrehte Mimiken. Während optisch alles im Schleudergang läuft, wurde die bisweilen rüde Sprache weichgespült. Statt der Flüche des Häuptlings haben sich jetzt alle lieb.

Sicher: das Rad lässt sich nicht zurückdrehen; die Reizunterflutung alter Kinderbücher widerspricht dem Zeitgeist ähnlich wie die sozialdemokratische „Rappelkiste“. Schließlich muss sich das öffentlich-rechtliche Angebot mit dem der Privatsender messen. Dort haben sensorische Sperrfeuer von „Ninja Turtles“ bis „Power Rangers“ Anfang der Neunziger mit der Bildsprache auch die Sehgewohnheiten verändert. In dem Umfeld wäre die Sanierung nostalgischer Formate sogar legitim – vollzöge sie sich denn dezent.

Schon Dreijährige sitzen im Schnitt pro Tag 73 Minuten vor dem Fernseher

Doch was bald auch Heidi droht, wenn das ZDF die Computer anwirft, zeigt schon jetzt Garfield: Vor 25 Jahren hatte der Kater bei Sat 1 die Dynamik eines Felsvorsprungs; seit 2008 wird er von Killerkuchen durch zuckende Farbgewitter gehetzt, was aber noch gar nichts ist gegen das infernalisch vertonte Dauergezappel der Super-RTL-Elfen Cosmo und Wanda.

Dabei können „laute und plötzliche, heftige und unvorhergesehene Geräusche, Stimmen und Musik“ aus Sicht des Medienpädagogen Jan-Uwe Rogge Angstzustände erzeugen. Und der Gefahr werden heutzutage bereits Dreijährige unterzogen, die im Schnitt 73 Minuten täglich vor der Mattscheibe sitzen, was bis zur 5. Klasse auf zwei Stunden ansteigt. Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Uni Jena, spricht von „erbarmungsloser Steigerungslogik“ einer Gesellschaft und des Fernsehens. Selbst öffentlich-rechtlich, klagt Armin Maiwald ein Produzent der ersten Stunde, gehe es zunehmend „schrill und schreiend bunt“ zu. Als er 1971 die „Sendung mit der Maus“ erfand, passierte im Kinderfunk meist – nichts.

Somit fehlt nun die Chance zur Abstraktion, zum Runterregeln. Dafür, meint Rosa, sei das Leitmedium zwar eher ungeeignet, wenn es sich zurückhalte; doch vom Klang über Schnitt bis zum Inhalt waren Serien früher „insofern kindgerechter, als sie mehr Zeit zur Vertiefung“ ließen. Die „rasch wechselnden Simulationsflächen“ von heute dagegen seien untauglich, TV-Anfängern etwas Wesentliches zu lehren: „Sich selbst zu ertragen.“ Im Augenblick versinken, abschweifen, denken – für diese Art Freizeit lässt das Kinderprogramm kaum noch Raum. Auch bei „Wickie“ geht es ab Freitag längst nicht mehr um Zerstreuung oder gar Botschaften. Meist geht es nur um die krasseste Grimasse. Fragt sich nur, wer zuerst da war: die Hektik oder deren Hinnahme.

ZDF, Freitag, 10.15 Uhr