Es tue ihm aufrichtig leid, sagte der Angeklagte zu Prozessbeginn. Foto: dpa

Ein Ex-Nestwerk-Vorstand steht vor Gericht. Der Mann, der unter anderem wegen Urkundenfälschung angeklagt ist, soll sogar Münzen aus Waschautomaten im Obdachlosen-Unterkünften gestohlen haben.

Stuttgart - „Es tut mir aufrichtig leid.“ Er wolle sich bei allen entschuldigen, die durch ihn Schaden erlitten hätten, sagt der grauhaarige Mann am Dienstag vor der 6. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart. 245 Vergehen, von Untreue und Betrug über Urkundenfälschung, Insolvenzverschleppung, Bankrott und noch mehr sind dem einstigen hauptamtlichen Vorstand der Sozialstiftung „Nestwerk“ gerade von der Staatsanwaltschaft vorgehalten worden. Einen Schaden in zweistelliger Millionenhöhe soll er mit der im Sozialwohnungsbau tätigen Stiftung angerichtet haben.

Der Mann im schwarzen Rollkragenpulli und mit grauem Sakko müht sich um Aufklärung, viele Fragen aber bleiben. Mit einem Psychoanalytiker hab er seine Vergangenheit aufgearbeitet, berichtet er. Dabei habe er zwei Seiten an sich erkannt: auf der einen ein „herzensguter Kerle“, auf der anderen „jemand, dem das Unrechtsbewusstsein fehlt“.

Scheinrechnungen und gefälschte Urkunden

Über Jahre baute und verwaltete „Nestwerk“ Wohnungen, nutzte Fördergeld, das Belegungsrecht für zuletzt mehrere hundert Wohnungen hatte die Stadt Stuttgart. Die Stiftung ging 2010 pleite. Mit Scheinrechnungen und gefälschten Urkunden soll der Angeklagte die Stiftung mindestens zwei Jahre künstlich am Leben gehalten haben.

Die Stiftung „Nestwerk“ war 1994 „zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und Wohnungsnot“ gegründet worden. „Für alle, die keine Wohnungen haben, Wohnraum zu schaffen“, so fasst der Angeklagte das Ziel zusammen. Ein Art Frauenhaus habe man geschaffen, dann eine Unterkunft für Straßenjugendliche, ein Sleep-Inn als Notübernachtungsstelle für Obdachlose, verschieden Refugien. Jedoch seien die Rechnungen „von Anfang an nicht aufgegangen“, räumt der Angeklagte heute ein.

Angeklagter war schon einmal im Gefängnis

Urkundenfälschung, Bestechung und ähnliches hatten den Mann Anfang der 1990er-Jahre schon mal für mehrere Jahre ins Gefängnis gebracht. Als Freigänger in Ulm soll er damals den Gründer der Stuttgarter Stiftung kennengelernt haben. Eben dieser Mann sollte auch vor Gericht, der einstige ehrenamtliche Vorstand ist aber laut Staatsanwalt Andreas Köhler auf Dauer verhandlungsunfähig, könne folglich auch nicht als Zeuge geladen werden. Mitangeklagt war ursprünglich auch die Ehefrau des 70-Jährigen, die als Buchhalterin Beihilfe geleistet haben soll. Sie ist jedoch 2016 gestorben.

Die Vorwürfe gegen den 70-Jährigen sind atemberaubend vielfältig: So soll er dreist auch mal die Unterschrift der Sozialbürgermeisterin gefälscht haben, die dem Kuratorium vorsaß. Auch Stempel, Rechnungen und Dokumente hat er laut Anklage gefälscht. Das Ganze gipfelte darin, dass er die mit Münzgeld betriebenen Waschautomaten in Wohnobjekten für Obdachlose plünderte und 13.000 Euro in Eimern zur Bank trug. „Warum“?, fragt der Vorsitzende Richter Günter Necker. „Größenwahn? Gier?“, antwortet der Angeklagte. Auch soll er seinem Sohn eine der Stiftung gehörende Wohnung mietfrei überlassen haben.

Allein die Stadt Stuttgart hat Schaden von 4,6 Millionen Euro

Unter dem Strich steht ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe, allein die Stadt Stuttgart blieb auf gut 4,6 Millionen Euro an Darlehen und Bürgschaften sitzen. Unter anderem soll der Angeklagte zwischen 2007 und 2010 Geld der Stiftung in Höhe von 1,8 Millionen Euro in die eigene Tasche gesteckt haben. Unter Vorlage falscher Urkunden soll er Darlehen von 9,2 Millionen Euro erschlichen haben.

Bei 70 der 245 Vergehen, die dem Angeklagten laut Anklage vorgeworfen werden, geht es um gefälschte Schecks, mit denen er innerhalb von drei Jahren eine gute halbe Million Euro der Stiftung in seine eigene Tasche schaffte. „Es würde mich brennend interessieren, wofür Sie das ausgegeben haben“, fragt Richter Necker, erhält aber keine Antwort, die ihn zufrieden stellt. Er habe es privat „für alles mögliche“ ausgegeben, sagt der Angeklagte. Weder für ein goldenes Auto noch für Reisen, wie er berichtet. Auf jeden Fall sei „alles weg“.