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Schroffe Felsen, steile Weinberge: Touristen schätzen das Neckartal zwischen Stuttgart und Heilbronn. Exakt an der Grenze der Landkreise Ludwigsburg und Heilbronn treffen sie auf einen Wanderweg durchs Kernkraftwerk

Neckarwestheim - Schroffe Felsen, steile Weinberge und ein Fluss in idyllischen Schleifen: Touristen schätzen das Neckartal zwischen Stuttgart und Heilbronn. Exakt an der Grenze der Landkreise Ludwigsburg und Heilbronn treffen sie am Flussufer auf einen Wanderweg, der mitten durchs Gelände des Atomkraftwerks führt.

Ein ausgewiesener Wanderweg verläuft an dieser Stelle zwar nicht mehr. Ein altes Wegerecht garantiert jedem aber freien Durchgang, der von Neckarwestheim am Fluss entlang ins benachbarte Gemmrigheim gelangen will. Nach einigen Hundert Metern steht man vor der Betonmauer des Gemeinschaftskraftwerks (GKN). Wer den kleinen Abwasserkanal überspringt und sich bis ans Tor traut, entdeckt das rot-verblichene Schildchen: "Benutzer des Uferwegs bitte läuten."

Auf das Klingeln erhalten Wanderer aus der Zentrale des Objektschutzes die Antwort: "Es kommt jemand." Und nach einigen Minuten nähern sich zwei Wachmänner mit Hund. Das Tor geht auf, und die Spaziergänger sind mittendrin im Kraftwerk, das durch einen Schutzzaun gesichert ist. Einzige Ermahnung der Sicherheitsleute: Fotos sind nicht erlaubt. Weitere Vorkehrungen halten sowohl Betreiber EnBW als auch das für die Atomaufsicht zuständige baden-württembergische Umweltministerium nicht für nötig. "Ein Zugang in sicherheitstechnisch relevante Bereiche ist nur über weitere Zugangskontrollen mit den dafür üblichen Überprüfungen der Person und der mitgeführten Gegenstände möglich", teilt ein Ministeriumssprecher mit. Den Wanderweg führe man eher in der Rubrik "Skurriles".

Auf den exakt 438 Metern über die betonierten Kaianlagen des GKN zeigt sich, warum die Wachleute weder Ausweis noch Rucksack kontrollieren: Ein zweiter, übermannshoher Zaun trennt den Weg von den gewaltigen Kuppeln der beiden Druckwasserreaktoren. Maximal fünf Fußgänger auf einmal führen die Wachmänner zwischen einem Portalkran und den salinenartigen Wasserkühlern Richtung Wald. Größere Gruppen werden aufgeteilt. Keine 200 Fußgänger und Radfahrer nahmen nach Auskunft des Engergiekonzerns EnBW im vergangenen Jahr das Wegerecht wahr.

Wie es zu dieser Route kam, erklärt der Bürgermeister von Neckarwestheim, Mario Dürr (parteilos): "Das ist ein alter Treidelpfad, der auch als Wanderweg genutzt wurde." Der Weg existiere, seit der Neckar als Schifffahrtsstraße genutzt wird. Damals wurden die Kähne von Pferden oder Menschen am Ufer gezogen, also getreidelt. Bevor 1972 in dem alten Kalksteinbruch am Fluss der Bau von Block I des Kraftwerks begann, bestand der damalige Bürgermeister von Gemmrigheim, Helmut Klass, auf dem Wegerecht. Das Atomkraftwerk liegt zu einem Drittel auf Gemmrigheimer, zu zwei Dritteln auf Neckarwestheimer Gemarkung.

Eine Ausweichroute um das Atomkraftwerk herum hält Bürgermeister Dürr für schwierig: "Wenn Sie sich vom Neckar weg begeben, gelangen Sie in Weinbaulagen. Die sind steil." Vor allem für Radfahrer wäre dies eine Herausforderung. Außerdem würde es einen Umweg von mehreren Kilometern bedeuten. Schon vor Jahren hat die EnBW mit den Eigentümern angrenzender Grundstücke über eine Umgehung verhandelt. Ohne Erfolg. Und auf das Wegerecht verzichten können laut Umweltministerium nur die beiden Gemeinden. Und danach sieht es derzeit nicht aus.