Zum Anbeißen: Die Bäume auf Streuobstwiesen hängen zur Zeit voll mit Obst Foto: dpa

Baden-Württemberg hat mit 116 00 Hektar die größten Streuobstbestände Europas. Sie liegen weit vor den größten deutschen Niederstammanbaugebieten des Alten Landes bei Hamburg mit 10 000 Hektar. Doch die Kulturlandschaft schwindet. Vor 50 Jahren gab es 550 000 Hektar Obstwiesen im Land.

Baden-Württemberg hat mit 116 00 Hektar die größten Streuobstbestände Europas. Sie liegen weit vor den größten deutschen Niederstammanbaugebieten des Alten Landes bei Hamburg mit 10 000 Hektar. Doch die Kulturlandschaft schwindet. Vor 50 Jahren gab es 550 000 Hektar Obstwiesen im Land.

Schwäbisch Gmünd - Viele Naturschützer meinen, beim Streuobst ist es fünf vor zwölf: 80 Prozent der Kern- und Steinobstbäume brauchen dringend Pflege. Andernfalls werden sie binnen weniger Jahre morsch und brechen zusammen. Der Naturschutzbund (Nabu) etwa fordert deshalb seit Jahren, die Streuobstwiesen unter Schutz zu stellen. Doch Agrarminister Alexander Bonde (Grüne) hält davon nichts. Aus seiner Sicht ist das A und O die Pflege der Hochstämme. Auf der Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd hat er am Montag das neue Streuobstkonzept des Landes vorgestellt, dessen Kern die Baumpflege ist.

Bonde hat ausdrücklich die privaten Baumbesitzer im Visier. Denn sie besitzen mehr als die Hälfte der Baumwiesen im Land. „55 Prozent der Stückle mit fünf bis 50 Bäumen sind in privater Hand“, bestätigt Martin Mager, Vorsitzender des Bezirksverbands Obst- und Gartenbau Schwäbisch Gmünd. Künftig fördert das Land den fachgerechten Baumschnitt auf den Wiesen mit 15 Euro pro Baum, Städte und Gemeinden können die Summe noch um fünf Euro aufstocken. „Mit dem Modul Baumschnitt fördern wir den Baumschnitt in der Fläche“, so Bonde am Montag. Bereits ab diesem Oktober könnten Anträge gestellt werden. Um bestimmte EU-Vorschriften einzuhalten, müssen sich mindestens drei Eigner zusammentun und ein fünfjähriges Schnittkonzept anmelden. Während dieser Zeit soll dann zunächst eine Astpflege stattfinden, später die Zweitpflege.

Ulrich Mayr, Leiter der Sortenerhaltungszentrale Baden-Württemberg, verspricht sich davon viel: „Zwei Schnitte genügen in der Regel, um die Bäume für die nächsten 20 Jahre zu revitalisieren.“ Auch auf schlecht gepflegten Wiesen sei so viel zu erreichen.Bonde rechnet, dass beim Land allein im ersten Jahr zwischen einer halben und einer Million Euro Fördermittel für den Baumschnitt abgerufen werden. Neupflanzungen will das Land nicht bezuschussen, da dies vielfach die Kommunen leisteten.

Neu ist auch eine landesweite Streuobstkoordinationsstelle, die Projekte, Wissen und Erfahrungen in der Streuobstpflege vernetzen soll. Interessierte und Obstbaumbesitzer können sich dort gezielt informieren etwa über Ergebnisse aus der Forschung .

Die Sortenerhaltungszentrale in Bavendorf am Bodensee kümmert sich primär um den Erhalt alter Sorten. Dazu werden gezielt Obstbaumbestände im Land, die älter als 50 Jahre sind, sowie Solitärbäume untersucht und kartiert. Im Sortengarten der Einrichtung wachsen mittlerweile 400 alte Apfelsorten sowie 90 historische Tafelbirnen. „Das ist wie ein Gang durch die Jahrhunderte“, so der Leiter, Ulrich Mayr. Da wachsen uralte Sorten, die schon im 14. Jahrhundert etwa über Ungarn nach Baden-Württemberg gelangt sind. Oder die bekannte Sorte „Renette“, die erstmals 1510 erwähnt wurde. „Die alten Streuobstbestände sind damit auch ein wichtiges Gen-Reservoir für rund 3000 verschiedene Obstsorten“, sagte Bonde am Montag. Er sprach außerdem die Biodiversität an, die biologische Vielfalt in Streuobstwiesen. Sie zählten mit rund 5000 Tier- und Pflanzenarten zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa.

Zur Streuobstkonzeption des Landes gehört weiter, die Früchte und Produkte wie Marmelade, Saft, Most und Destillate regional zu vermarkten. „Niemand wünscht sich doch, dass das Streuobst von den Speise- und Getränkekarten verschwindet“, sagte Bonde. Vereine oder Firmen können einen Förderantrag bei den Regierungspräsidien stellen. Voraussetzung ist, dass das Obst ausschließlich aus Streuobstbeständen stammt, es getrennt erfasst und regional verwertet wird. Der Weg von der Wiese bis zur Kelter soll maximal 50 Kilometer betragen. Und es dürfen keine chemisch-synthetischen Düngemittel verwendet werden. Keltereien werden ebenfalls unterstützt sowie Landwirte im Streuobstbau über das Agrarumweltprogramm. Der Nabu fordert darüber hinaus eine Weideprämie für Schäfer, die 220 Euro pro beweidetem Hektar betragen soll.

Das Überangebot an Obst dieses Jahr bereitet dem Verband der Agrargewerblichen Wirtschaft Sorgen. Die gute Ernte beschere niedrige Preise. Weil zudem der Pro-Kopf-Verbrauch an Apfelsaft kontinuierlich sinke – allein im ersten Halbjahr 2014 um zwölf Prozent – stünden die Keltereien vor großen Problemen.