Demonstration vor dem Landtag: Die Umweltschutzorganisation Greenpeace ist vom Projekt der Landesregierung überzeugt. Foto: dpa

Nach Stuttgart 21 dürfte die Frage, ob das Land einen Nationalpark braucht, zum nächsten großen Streitthema werden. Grün-Rot beobachtet die Kritiker zunehmend mit Argusaugen.

Stuttgart - Eigentlich war es ein Dorffest wie hundert andere in Baden-Württemberg, als die Feuerwehr Enzklösterle vor kurzem ihr 150-Jahr-Jubiläum feierte. Als Höhepunkt gab es einen Umzug durch den Flecken, der örtliche Skiclub machte natürlich mit. Zwar konnten die Sportler mitten im Sommer nicht mit Schnee aufwarten, aber der Festwagen sorgte dennoch für Gesprächsstoff. Denn die fleißigen Helfer des 500 Mitglieder starken Vereins zeigten, wie wichtig der Nordschwarzwald und die beliebte Region auf dem Kaltenbronn für sie ist – für den Wintersport, aber auch fürs Wandern, Radfahren und Joggen. So weit so unstrittig, wenn da nicht mitten auf dem Wagen eine Schranke gewesen wäre mit dem Sperrschild Nationalpark. Und so hatten sie ein paar dürre Bäume aufgebaut, abgebrochene Skier und Langlaufstöcke in einen Sarg gesteckt. Die Botschaft: Wenn der Nationalpark kommt, wird der Sport begraben.

Was die Besucher am Straßenrand mal lachen ließ, mal nachdenklich machte, war wenig später bereits aktenkundig bei Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) in Stuttgart. Denn Anhänger des geplanten Nationalparks hatten den „lieben Alexander“, wie es in einer E-Mail heißt, die unserer Zeitung vorliegt, darauf hingewiesen, dass auf dem Festwagen mehrere Förster – in Zivil – mitgefahren waren. Da werde „Agitation gegen den Nationalpark“ betrieben, wetterten die Bonde-Freunde.

In der Tat fand man den Vorgang in Stuttgart gar nicht lustig. Der Minister, das bestätigen grün-rote Regierungskreise, sehe den Nationalpark als sein Prestigeprojekt und wolle ihn verwirklichen. Und so kam das Signal aus Stuttgart an die betroffenen Landratsämter, sie mögen als Aufsichtsbehörde die Beamten befragen. Zwar bestreitet das Ministerium, man habe Druck auf die Förster ausgeübt, bestätigt aber, dass es Gespräche gab. Beamte, auch Förster, „könnten nicht am Freitagmittag ihre Dienstjacke ausziehen und am Sonntag gegen das Land demonstrieren“, sagt Landesforstpräsident Max Reger. Dennoch, gebe es „seitens des Ministeriums oder der Landesforstverwaltung keinen Maulkorb“.

Ist das Beispiel Enzklösterle ein Einzelfall?

Ist das Beispiel Enzklösterle also ein Einzelfall und Grün-Rot krümmt politisch keinen Ast, um im Nordschwarzwald wie geplant den ersten Nationalpark des Landes zu errichten? Zweifel wachsen, wie Recherchen unserer Zeitung ergaben. Donnerstag dieser Woche: In Sprollenhaus unweit von Bad Wildbad hat der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Blenke zu einer Infoveranstaltung eingeladen, um den Bürgerprotest zu kanalisieren. 200 Zuhörer sind da, die Stimmung ist ruhig, aber die Fragen zum Nationalpark sind kritisch. Die Bürger sorgen sich um ihren Wald, um das Trinkwasser, um die Holzerlöse, „wenn die Natur sich selbst überlassen wird“, wie es einer umschreibt.

Und sie hören Episoden, die aufhorchen lassen. Wie jene von Ingolf Lehmann. Der Straubenhardter ist Wanderführer beim Schwarzwaldverein und erlebte jüngst zwei ganz unterschiedliche Touren am Kaltenbronn. Im ersten Fall wurde die Gruppe von einer Mitarbeiterin des dortigen Infozentrums begleitet und „absolut sachkundig und ohne jede Tendenz “ informiert. Als er Tage später eine Führung der CDU anmeldete, habe das Ministerium „mehrmals“ bei ihm nachgefragt, ob Abgeordnete mitwandern. Er bejahte das und staunte nicht schlecht, als beim Start am Kaltenbronn ein Spitzenbeamter aus Stuttgart die Stiefel schnürte. „Wir haben eine total andere Führung mit einer klaren Botschaft erlebt“, erinnert sich Lehmann. Forstchef Reger bestreitet das: „Wir schicken keine Aufpasser.“

Das Thema sorgt für Gräben

Kein Zweifel: Das Thema Nationalpark sorgt für Gräben, „die mittlerweile quer durch Familien, Vereine und Stammtische gehen“, wie Reger einräumt. Aber hatten Bonde und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nicht stets beteuert, getreu ihrer „Politik des Gehörtwerdens“ werde man den Nationalpark nicht gegen den Willen der Bürger durchsetzen. Vor Ort wachsen die Zweifel an dieser Zusage. „Wir haben Angst vor einer grünen Diktatur“, ruft in Sprollenhaus ein Zuhörer und erntet Applaus. Der Forstpräsident versucht die Ängste zu zerstreuen. Er verspricht, alle Argumente aus den regionalen Arbeitskreisen würden in das Gutachten einfließen, das die Landesregierung bei der Unternehmensberatung PWC in Auftrag gegeben hat. Anfang 2013 soll es vorliegen, danach wird die Politik beraten und entscheiden, ob Baden-Württembergs erster Nationalpark kommt. Aber hat das Land alle maßgeblichen Interessenvertreter eingebunden? In Sprollenhaus steht eine Vertreterin des Wirtschaftsverbandes Papier Baden-Württemberg auf: „Wir wollten uns einbringen, aber das ist uns verweigert worden.“

So beobachten sich Freund und Feind immer kritischer. Andre Baumann, Landeschef des Naturschutzbunds, gehört zu ersteren. Er wirbt in Sprollenhaus für die Idee des Nationalparks und sagt zu den verunsicherten Bürgern: „Ich verstehe ihre Sorgen und nehme sie mit nach Stuttgart.“ Was er nicht versteht, sind die vielen Förster im Nordschwarzwald, die in ihren Fahrzeugen neben dem amtlichen Schild „Forstdienst“ das Protestlogo mit dem Nein zum Nationalpark spazieren fahren. „Das verträgt sich nicht“, sagt Baumann. Forstpräsident Reger sieht es genauso. Er würde das „am liebsten verbieten“ lassen, sagt er: „Wir haben das juristisch geprüft, aber es geht leider nicht.“