Die Prämisse „ständig erreichbar sein zu müssen“ kann gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. Foto: dpa

Die Deutschen wollen laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK nicht immer und überall erreichbar sein. Doch im weltweiten Vergleich stehen sie mit dieser Haltung ziemlich allein da.

Nürnberg - Chat-App, SMS, Mail und Telefon: Die ständige Erreichbarkeit empfinden nur wenige Deutsche als erstrebenswert. Das Smartphone stets im Anschlag, den Blick ständig aufs Display gerichtet - das ist für die meisten Bundesbürger anscheinend Stress. Eine Umfrage ergab zumindest, dass es den Deutschen nicht wichtig ist, immer und überall erreichbar zu sein. Nur 16 Prozent halten die ständige Erreichbarkeit für wichtig, wie die GfK am Dienstag mitteilte. Anders sieht es im Ausland aus.

Im internationalen Durchschnitt beträgt die Zustimmungsrate 42 Prozent. Vor allem in Russland und China ist die Erreichbarkeit den Befragten besonders wichtig. Dort stimmen jeweils 56 Prozent der Befragten der Aussage „Für mich ist es wichtig, immer und überall erreichbar zu sein“ zu - gefolgt von der Türkei (53 Prozent) und Mexiko (50 Prozent).

Deutsche mit gesünderer Einstellung

Dabei legten die Deutschen die gesündere Einstellung an den Tag, meinen Experten. E-Mails, SMS und andere Handy-Kommunikation nach Feierabend stehen seit längerem in der Kritik, weil ein Zusammenhang mit Stress und psychischen Erkrankungen vermutet wird. „Die ständige Erreichbarkeit ist absolut ungesund, weil wir überhaupt keine Gelegenheit mehr haben, abzuschalten und uns gehen zu lassen“, sagt Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst.

Den Druck, ständig erreichbar zu sein und ständig sofort reagieren zu müssen, erlebt sie in ihrer täglichen Arbeit gerade bei jungen Menschen sehr stark. „Junge haben oft viel zu viele Kontakte und setzen sich dann gegenseitig unter Druck, immer schnell zu antworten“, sagt Scharnhorst. Das laufe dann unter dem Vorwurf: „Ich sehe doch, dass du online bist, warum hast du mir noch nicht geantwortet?“ Teils resultierten aus dem Druck auch Streitigkeiten. „Es haben sich schon Freundschaften getrennt deswegen. Manche empfinden das als Vernachlässigung oder Beleidigung“, betont sie.

Im internationalen Vergleich der Altersgruppen zeigt sich laut der GfK-Studie auch, dass es vor allem den Menschen zwischen 30 und 39 Jahren wichtig ist, ständig und überall erreichbar zu sein: Knapp die Hälfte stimmt hier der Aussage zu, dass dies wichtig ist - dicht gefolgt von den 20- bis 29-Jährigen (45 Prozent) und den Teenagern (43 Prozent). Einen Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der Zustimmung gibt es der Umfrage zufolge nicht.

„Ständige Erreichbarkeit“ verursacht Druck

Insgesamt sei die Zahl der Krankheiten wegen psychischen Störungen in den vergangenen Jahren massiv gestiegen, sagt Scharnhorst. „Und das Thema „Ständige Erreichbarkeit“ ist seit Jahren schon ein Teil davon.“ Noch ungesünder sei es, wenn der Druck für Erreichbarkeit nicht von den Freizeit-Kontakten, sondern von der Arbeit komme. Einige Unternehmen regeln zum Gesundheitsschutz ihrer Angestellten deshalb inzwischen sogar den Einsatz von Smartphones oder Tablets in der Freizeit.

Die Länder-Unterschiede zwischen den 27 000 befragten Internetnutzern von 15 Jahren an führen Experten auf die Unterschiede in den Kulturen zurück. „Es gibt Kulturen, da sind der familiäre Zusammenhalt und die Menge an Kontakten viel größer. Da kommen schon mehrere Hundert zur Hochzeit“, sagt Scharnhorst. Daraus resultierten andere Ansprüche an soziale Netze und andere Traditionen.

Die Expertin rät dennoch dazu, dass Handy auch mal auszumachen: „Wir brauchen einfach Zeiten, wo wir komplett abschalten können und nicht noch mit halbem Gehirn im Arbeitsmodus sind“, warnt sie.