Boris Schneider steigt von der S-Bahn wieder auf sein Auto um. Foto: Piechowski

Die S-Bahn war im vergangenen Jahr so unpünktlich wie noch nie. Leser unserer Zeitung beschweren sich zahlreich über die Situation, und der eine oder andere zieht Konsequenzen. Zum Beispiel, indem er seine Jahreskarte zurückgibt.

Die S-Bahn war im vergangenen Jahr so unpünktlich wie noch nie. Leser unserer Zeitung beschweren sich zahlreich über die Situation, und der eine oder andere zieht Konsequenzen. Zum Beispiel, indem er seine Jahreskarte zurückgibt.

Stuttgart - Boris Schneider hat genug. Zwei Jahre lang ist der Industriefachwirt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von seiner Wohnung in Stuttgart-Obertürkheim zu seinem Arbeitsplatz bei einer Spedition in Filderstadt-Plattenhardt gependelt. Zum 28. Februar hat er sein VVS-Jahresticket plus gekündigt. „Meine Erfahrungen im Jahr 2013 waren einfach zu schlecht“, sagt Schneider. Von diesem Montag an fährt er mit dem Auto zur Arbeit – wie er es vor seiner VVS-Stippvisite getan hat.

Ein Problem für Schneider sind die Umstiege: Er nahm den 62er-Bus von der Uhlbacher Straße zum S-Bahnhof Obertürkheim, die S 1 zum Hauptbahnhof, die S 2 nach Bernhausen und dort den 37er nach Plattenhardt. Planmäßig stieg der 47-Jährige um 6.55 Uhr in den Bus und um 8.15 aus jenem auf den Fildern heraus. Die Fußwege waren kurz. Die Bilanz stimmte für Schneider, zumal er das übertragbare Ticket für eine „Supersache“ hält, da er am Wochenende auch Frau und Kind mitnehmen konnte.

In der Praxis sah es allerdings anders aus. In der vorletzten Woche etwa passte die Verbindung nur an zwei von fünf Arbeitstagen, im Durchschnitt nach Schneiders Einschätzung in zwei Drittel aller Fälle. Das war dem Hobby-Handballtrainer zu selten: „Wenn die Umstiege nicht geklappt haben, bedeutete das immer gleich mindestens 30 Minuten Verspätung.“ Da die S 2 stets im 30-Minuten-Takt nach Bernhausen fährt, und weil auch der 37er nur zweimal pro Stunde Plattenhardt ansteuert.

Das Hauptproblem war die Umsteigezeit von sechs Minuten zwischen der Ankunft in Bernhausen und der Abfahrt des Busses. „Die ist meistens aufgebraucht, bis man dort ist“, sagt Schneider, „manchmal gelingt der Anschluss gerade noch so mit einem beherzten Sprint die Rolltreppe hoch, immer öfter allerdings nicht.“ Dann brauchte Schneider eindreiviertel Stunden zur Arbeit. „Definitiv inakzeptabel“, sagt Schneider.

Aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Mehrfach sei es 2013 vorgekommen, dass die S 2 im Flughafen endete und dies erst bei der Einfahrt angekündigt worden sei. „Dann wartet man eine halbe Stunde auf die nächste S-Bahn, die aber leider auch so viel Verspätung hat, dass der Bus in Bernhausen weg ist.“ Macht dann zwei Stunden und 15 Minuten für die rund 22 Kilometer, die Schneider mit dem Auto nach eigenen Angaben in 35 bis 45 Minuten zurücklegt – „wenn’s schlecht läuft“.

Irgendwann hat Schneider ausgerechnet, dass er sich mit dem Ticket für rund 97 Euro im Monat an einem Arbeitstag fünf Euro gegenüber dem Benzinpreis des ohnehin vorhandenen Autos spart. „Das ist mir die Zeitersparnis wert“, sagt der 47-Jährige – und stieg um.

Die Drohung, dem VVS den Rücken zu kehren oder die Feststellung, es tatsächlich schon getan zu haben, schrieben Leser 2013 häufiger an unsere Zeitung. Von den Beschwerden über die S-Bahn besonders betroffen waren die Linien S 2 und S 3, aber auch auf allen anderen Linien gibt es Unmut. Bei der Linie mit den meisten Fahrgästen, der S 1, geht es vor allem um die drangvolle Enge in den Zügen. Generell lautete der Tenor, dass die S-Bahnen immer unpünktlicher werden. Nach Berechnungen unserer Zeitung schafften es 2013 im Tagesdurchschnitt nur noch 86,2 Prozent aller Züge, weniger als drei Minuten Abweichung zum Fahrplan zu haben. In der Hauptverkehrszeit sind die Verspätungen noch schlimmer. Die Bahn hat im vergangenen Jahr eingeräumt, dass dies auch mit vernachlässigten Signalen und Weichen zu tun hat. Im Laufe dieses Jahres soll es aber besser werden. Die Bahn stellt ihre Statistik für das vergangene Jahr am heutigen Donnerstag vor.

Conrad Fink hat seine eigenen Daten. Der 63-Jährige fährt seit 1984 mit VVS-Jahresticket und S 4 von Freiberg (Kreis Ludwigsburg) zum Hauptbahnhof und mit der Stadtbahn weiter zum Olgaeck, wo er beim Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart arbeitet. „Ich nutze kaum das Auto“, sagt ÖPNV-Fan Fink, der viel vom VVS und den SSB hält. „Was seit etwa vier Jahren nicht mehr funktioniert, ist das S-Bahn-System“, benennt der Diplomingenieur sein Problem. Verspätungen von fünf Minuten sind für ihn akzeptabel, da er in Freiberg nach Hause geht und in der Innenstadt fünf Stadtbahnlinien zur Verfügung hat.

Allerdings sei es so, dass seine S-Bahn um 8.14 Uhr durchschnittlich nur noch an drei Tagen pro Woche pünktlich sei und auch pünktlich gegen 8.45 Uhr in Stuttgart ankomme. Manchmal bummle sie aber, weil Signale gestört seien und der Führer auf Sicht fahren müsse. Dann verspäte er sich um rund zehn Minuten. „Die S 4 endet zudem regelmäßig in Ludwigsburg, wo es dann höchstens dürftige Informationen über die Gründe gibt“, sagt er. An diesen Tagen verspäte er sich schnell um 15 oder 30 Minuten und manchmal sogar um eine Stunde. Wenn die verspäteten und übervollen Züge in Zuffenhausen oder Feuerbach enden und wenden, sei es besser, weil dort auch die Stadtbahn zur Verfügung stehe.

Bei der S 4 um 18.18 Uhr in Richtung Freiberg sei die Situation ähnlich. „Ich empfinde das als Dauerbelastung“, sagt Conrad Fink, „aber ich bin auf die S-Bahn angewiesen.“ Das einzige Auto der Familie benötige auch die Frau. Obwohl Fink keinen Anschluss braucht, ist er also unzufrieden. Ob in Bietigheim oder Herrenberg: Viele Leser, die noch weiter müssen, beklagen, dass sie ihre Busse und Bahnen dort allzu oft nicht erreichten. Auch Boris Schneider sagt: „Wenn ich keinen Anschluss in Bernhausen bräuchte, würde ich weiterhin öffentlich fahren.“