Ein israelischer Armee-Offizier zeigt Journalisten einen der Tunnel im Grenzgebiet Foto: dpa

Mit Infografik - In den Tunneln unter dem Palästinensergebiet wird versteckt, geschmuggelt, geheilt und kommandiert: Hakims Familie lebt seit Jahrzehnten vom Tunnelbau für die Terrororganisation Hamas. 148 Euro bekommt der Teenager dafür im Monat – und zahlt jetzt 2,80 Euro für jede Flasche Wasser.

Gaza -   Seit fünf Jahren zieht Hakim Strippen im Gaza-Streifen. Schwarze, fast unterarmdicke Kabel zerrt er durch die Erdoberfläche an die wacklige Holz-Eisenrohrkonstruktion, auf die zwei Spannholzbrettchen geschraubt sind. Eines ist eine Mehrfachsteckdose lang und fünf Steckdosen hoch. Auf das andere hat Hakim neun Verbandskästen geschraubt, mit deren Deckeln der Wind spielt. „Das ist das Herzstück unserer Tunnel“, sagt der 17-jährige mit einem Stolz in der Stimme, als präsentierte der Teenager gerade einen Einser in Mathe.

Dabei hat er nur vier Jahre lang eine Schule von innen gesehen. Dann brauchte ihm sein Onkel bei, was Reihenschaltungen und Sicherungen, Erde und Plus-Minus-Pole sind. Als Hakim elf war, verkabelte er seinen ersten Tunnel. Seitdem ist der Teenager fast unersetzlich: Er ist der Herr über Licht, Telefon und Sauerstoff in jenem unterirdischen Reich der Hamas, über dass die Terrororganisation Waffen, Luxusgüter, Benzin und Medikamente in den Küstenstreifen schafft, in dem sich 1,8 Millionen Palästinenser über der Erde drängen.

Kampfgebiet gaza

15 bis 20 Meter unter ihnen tut sich eine andere Welt auf. Mannshoch sind die beleuchteten Tunnel, in denen ein Mann auch noch Platz genug hat, um ein Sturmgewehr und einen Rucksack zu tragen. Im Herbst 2011 präsentierten Kämpfer der Hamas im Herbst Reportern unserer Zeitung unterirdische Gänge, die das Palästinenser-Gebiet mit Ägypten verbanden: In denen transportieren kleine Lieferwagen schwere Lasten, trottelen bepackte Esel durch die Gänge.

Kleinere Stollen unterqueren den Grenzzaun zu Israel. In Verhören gefangener Palästinenser wollen israelische Soldaten jetzt herausgefunden haben, dass Krieger der Hamas und des Islamischen Dschihad im September ein Attentat in Israel planten. Zum jüdischen Neujahrfest sollten, so der der Plan, hunderte Kämpfer gleichzeitig durch Tunnel ins Grenzgebiet rund um Gaza eindringen, sechs israelische Ortschaften angreifen, so viele Menschen wie möglich verschleppen und töten. Inzwischen, sagt eine Sprecherin der israelischen Armee, hätten ihre Kameraden 32 Tunnelsysteme im Gaza-Streifen entdeckt, von denen sie bislang ein Drittel zerstörten. Dabei „gibt es mindestens 60 Tunnel, die von Gaza nach Israel führen“, sagte Steven Emerson, Direktor der Denkfabrik „Investigative Project on Terrorism“.

Die Gefahr aus der Erde hingegen war der Regierung in Jerusalem spätestens seit 2006 bekannt. Damals tauchten Terroristen der Hamas und der Armee des Islam unvermittelt in der Nähe des Kibbuz Kerem Shalom aus der Erde auf und überfielen einen israelischen Feldposten. Sie töteten zwei Soldaten, verwundeten zwei weitere und verschleppten den Unteroffizier Gilad Schalit in den Gaza-Streifen. Premier Benjamin Netanjahu akzeptierte schließlich 2011 einen Gefangentausch: 1027 Palästinenser gegen den 27-jährigen.

Israels Militärs klären die Tunnel mit Hilfe spezieller Satellitenaufnahmen auf. Auf den Infrarot-Bildern sind Unterschiede in der Bodendichte farblich verschieden dargestellt. Die Vielzahl der Stollen überrascht selbst Sicherheitsexperten in Tel Aviv und Jerusalem: „Wir haben die Zahl der Tunnel in Gaza eindeutig unterschätzt“, gibt ein hochrangiger Berater im Anti-Terror-Stab des Premiers zu. Bislang hätten Militärs und Agenten die Tunnel nur im Süden des Landstrichs vermutet, doch inzwischen „entdecken wir sie überall“.

Seit Jahren beschäftigten israelische Experte mit der Gefahr, die ihnen aus einer Welt unter dem Gaza-Streifen droht. Schmugglertunnel an der Grenze zu Ägypten. Angriffstunnel, aus denen unvermittelt in Israel Hamas-Kommandos auftauchen. Verstecktunnel, in denen die Terroristen Waffen und Munition verstecken und getarnt an andere Orte verschieben. Kommandozentralen sind inzwischen ebenso unterirdisch angelegt wie Lazarette.

Ganze Familien leben davon, Gaza zu untertunneln. Eine davon ist Hakims. Ausschachten, die Wände mit Beton verputzen, Telefon-und Elektroleitungen ziehen – Hakim und seine Sippe sind in den vergangenen Jahrzehnten inzwischen zu gut bezahlten Tunnel-Spezialisten geworden. Zwischen 200 Dollar (148 Euro) bekommt Hakim für seine Dienste im Monat. Bezahlt wird er von der Hamas. Deren Offiziere verdienen ein Vielfaches mit der Schmuggelware, die durch die Tunnel herbeigeschafft werden. Im Moment vor allem Campingtoiletten und Notstromaggregate. Und Flaschen voll mit Wasser. Eine anderthalb Literflasche kostet, erzählt Hakim am Telefon, auf dem Schwarzmarkt in Gaza inzwischen 2,80 Euro. Er braucht alleine drei davon.