Die Mobilität im Blick Foto: Lg/Piechowski

Im Hospitalhof haben Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft über die zukünftige Mobilitätskultur in der Stadt diskutiert.

Stuttgart - Stuttgart ohne Autos – das ist für viele ein schwer vorstellbares Zukunftsszenario. Doch was wäre, wenn Stuttgart auf einmal eine andere Mobilitätskultur entwickeln würde, wie könnte die aussehen? Über diese Fragen haben sich zahlreiche Forscher an verschiedenen Instituten der Universität Stuttgart in den letzten drei Jahren im Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur Gedanken gemacht. „Ein großartiges Forschungsprojekt“ nannte es Wolfram Ressel, der Rektor der Universität Stuttgart, beim Auftakt des dreitägigen Abschlusskongresses am Donnerstagabend im Stuttgarter Hospitalhof. Die Besonderheit? „Die Forschung hat nicht in der einsamen Stube stattgefunden.“ Dieses neue Forschungsformat, Reallabor genannt, sei ein „Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesellschaft“. Gefördert wurde das Projekt vom Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg und vom Umweltbundesamt mit rund einer Million Euro insgesamt.

Die Parklets waren innerhalb der Stadt das umstrittenste Projekt

So konnten sich bei einem Ideenlabor Stuttgarter Bürger mit ihren Initiativen bewerben. In Realexperimenten wurden dann Stäffele in Heslach zu einem öffentlichen Wohnzimmer umfunktioniert, Lastenräder und eine Bürgerrikscha waren unterwegs. Das sicherlich kontroverseste Projekt waren die Parklets – elf Minioasen, die über drei Monate in der Stuttgarter Innenstadt Parkplätze ersetzten. In einem Zukunftslabor mit der Volkshochschule Stuttgart konnten Bürger Mobilitätsvisionen entwerfen. Verkehrswissenschaftler haben dann die Vorschläge überprüft. Mit all diesen Initiativen haben man „einen lebendigen Diskurs über die Zukunft der Mobilität in Stuttgart kreiert“, sagte Ressel.

„Stuttgart, Mobilität und wir“ lautete die Überschrift der Auftaktveranstaltung. Darüber haben vier Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Bürgerschaft dann am Donnerstagabend auch diskutiert. Moderiert hatte die Runde Wolfgang Schlicht, Leiter des Instituts für Sport und Gesundheitswissenschaften an der Uni Stuttgart. Seine These: „Wir stehen vor der Schwelle zu einem neuen Mobilitätszeitalter.“ Das sah Michael Münter nicht anders: „Mobilität wird anders sein. Und sie wird deutlich anders, als wir uns das heute vorstellen können“, sagte der Leiter des städtischen Referats für strategische Planung und nachhaltige Mobilität.

Vor allem die Generation der Babyboomer muss laut Moderator Schlicht auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur überzeugt werden: „Sie sind in hohem Maße autoaffin.“ Für den Bürgerschaft-Vertreter Jan Lutz das Stichwort: „Babyboomer sind mein Lieblingsthema“, sagte der passionierte Radfahrer. Man müsse sie an „die Hand nehmen“ und ihnen klarmachen, dass es so nicht weitergeht. Zudem appellierte Lutz an die anwesende Vertreterin der Automobilindustrie: „Die zwei bis drei Tonnen SUVs in der Stadt sind doch totaler Quatsch.“

Auch die Automobilindustrie stellt sich auf einen Wandel ein

Vom Publikum erntete er dafür Beifall, von der Daimler-Umweltbeauftragten Anke Kleinschmit ein gequältes Lächeln. Die Leiterin Konzernforschung und Nachhaltigkeit konnte ihm für die Realisierung seines Traums, dass „Herr Zetsche die autofreie Stadt ausruft“, keine Hoffnung machen. Besonders in Städten werde sich aber das Mobilitätsverhalten „gravierend“ ändern. Sie glaubt, die Nachfrage im Automobilsektor werde dort langfristig nachlassen: „Deshalb setzen wir auch auf andere Mobilitätssysteme wie Car2go und Moovel.“ Einen Wandel wolle man durchaus mitgestalten: „Da sträuben wir uns nicht dagegen.“ Selbstverständlich müsse aber das Automobil in Stuttgart gebunden bleiben.