Textilarbeiterinnen in Bangladesh, Indien oder China sind oft die Leidtragenden der billigen Modeproduktion. Foto: dpa

Seit die Zustände in den Nähereien von Bangladesch oder Indien weltweit für Aufsehen sorgten, wächst der Markt für öko-faire Mode. Nicht immer aber halten Siegel oder Kampagnen, was sie versprechen.

Tübingen - Es riecht angenehm in dem kleinen Laden in der Tübinger Marktgasse. Nicht nach Plastik, nicht nach Chemie. An den Wänden reihen sich Stangen mit grauen, grünen, blauen Kleidungsstücken – links die für Männer, rechts die für Frauen. Über der Kasse hängen ein paar Jutebeutel mit schwarz-weißem Aufdruck, im Regal nebenan stehen Sneaker aus Stoff neben glänzenden Ballerinas. Eigentlich alles ganz normal, nur ein bisschen kleiner. Doch „style affaire“ ist kein normaler Kleidungsladen. Alles, was hier hängt, ist nachhaltig und fair produziert. „Öko-Mode die trotzdem gut aussieht – so was gab es in Tübingen lange nicht“, sagt Giuseppina Mari. Bis die gelernte Modedesignerin mit einer Bekannten vor zwei Jahren einen eigenen Laden eröffnete.

Immer mehr Menschen, sagt Mari, wollen bewusst einkaufen. Denn die Problematik, die billige Mode mit sich bringt, sei inzwischen durchaus präsent – spätestens seit dem Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza in Bangladesch mit mehr als 1000 Toten im Frühjahr 2013. „Die Arbeitsbedingungen für Näherinnen in den Textilfabriken von Bangladesch, Indien oder China sind schlecht – das weiß heute fast jeder“, sagt auch Gisela Burckhardt, Chefin der Frauenrechtsorganisation Femnet. Zwangsarbeit, bis zu 16 Stunden täglich in gefängnisartigen Fabriken an sieben Tagen pro Woche, Hungerlöhne und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen.

Das Image von nachhaltiger Mode hat sich gewandelt

Dabei wächst das Angebot an Alternativen zu herkömmlich produzierter Kleidung. Mehr und mehr junge Modelabel verkaufen nachhaltige und faire Ware, grüne Gütesiegel an Kleidungsstücken werden häufiger. „Das nimmt definitiv zu“, sagt Burckhardt. Der Druck auf Hersteller wachse durch Katastrophen wie die von Rana Plaza. „Dazu kommt, dass sich das Image von nachhaltiger Mode gewandelt hat“, so Burckhardt.

Nachhaltig produzierte Mode, das wird auch im Laden von Giuseppina Mari klar, ist längst nicht mehr sackförmig, farblos und uncool. Was hier auf den Bügeln hängt, sieht genauso hip aus wie die Kleidung im H&M-Geschäft ein paar Häuser weiter. Statt T-Shirts für 4,99 Euro bekommt man hier welche für 15 Euro, statt 19 Euro zahlt man für einen Pulli eher 69 – so viel wie anderswo für teure Markenkleidung von Hilfiger oder Boss. „Man fühlt sich aber besser, wenn man das hier trägt“, sagt Modedesignerin Mari. Denn obwohl man für Markenware oft hohe Preise zahlt, ist die nicht unbedingt nachhaltig produziert: „Die Arbeitsbedingungen, unter denen die Näherinnen die Ware herstellen, sind die gleichen – ob für Boss oder für H&M“, sagt Frauenrechtlerin Burckhardt. „Oft wird die Kleidung sogar in denselben Fabriken genäht.“

Der Trend mit der nachhaltigen Mode passt zur Öko-Bewegung in Deutschland. Nicht nur in Universitätsstädten wie Tübingen sind immer mehr Leute bereit, für ein gutes Gewissen auch etwas mehr Geld auszugeben. Um fünf Prozent jährlich ist der Umsatz der Öko-Mode-Branche hierzulande seit 2000 gewachsen, heißt es vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN). Doch anders als beim Blick in die Lebensmittelregale im Supermarkt ist bei Kleidung bislang kaum ersichtlich, was Begriffe wie fair, öko oder nachhaltig tatsächlich bedeuten – und ob sie halten, was sie versprechen.

Viele große Kampagnen halten nicht, was sie vorgeben

„Unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit tummeln sich derzeit viele verschiedene Ansätze“, sagt Berndt Hinzmann von der Kampagne für Saubere Kleidung. Auch große Unternehmen und Ketten seien auf den Zug aufgesprungen und böten immer häufiger vermeintlich grüne Kollektionen an. „Dass dabei Bio-Baumwolle verwendet wird, sagt noch nichts über die Einhaltung sozialer Standards aus“, so Hinzmann. Oft würden die Mehrkosten für Bio-Baumwolle an anderer Stelle wieder eingespart – bei den Arbeitsbedingungen zum Beispiel.

Das Problem, das zeigt sich hier, ist mangelnde Transparenz – und ein Wirrwarr an Siegeln und Produkt-Labeln. „Unter fair und nachhaltig verstehen wir zum Beispiel, dass Löhne gezahlt werden, die zum Leben reichen, dass Arbeitsbedingungen verbessert und Menschenrechte eingehalten werden“, sagt Hinzmann. Und das in der gesamten Produktionskette. Bei vielen Siegeln oder Initiativen fehle eine unabhängige Prüfung und dadurch Klarheit für Käufer.

Immerhin, es gibt Ansätze – auch vonseiten der Politik. Im Herbst 2014 initiierte Entwicklungsminister Gerd Müller ein Textilbündnis: Man wolle gemeinsam dazu beitragen, die Sozial- und Umweltstandards in der Produktions- und Lieferkette zu verbessern, heißt es in den Zielvereinbarungen. Mit dabei sind inzwischen auch H&M, Aldi und Kik – also genau diejenigen Hersteller, die jahrelang wegen menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in der Kritik standen. „Praktisch passiert ist bei denen durch die freiwilligen Selbstverpflichtungen bislang aber nur wenig“, sagt Arbeitsrechtler Hinzmann. „Der Handlungsbedarf auch vonseiten des Gesetzgebers ist nach wie vor groß.“

Billige Mode wird heute massenhaft gekauft – und bleibt oft ungetragen

Über 80 Prozent der Jugendlichen in Deutschland kaufen Kleidung bei sogenannten Fast-Fashion-Ketten: billige Kleidung, produziert, um schnell gekauft und ebenso schnell wieder entsorgt zu werden. Kleidung also, die zu immer billigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen beiträgt – irgendwo in den Fabriken von Bangladesch. „Der Konsum von Kleidung ist enorm angestiegen“, sagt Gisela Burckhardt von Femnet. „Wir kaufen mehr, zahlen aber weniger. Dabei bleiben 60 Prozent der Sachen ungetragen.“ Bewusster konsumieren – das ist ihr Appell. Zum Beispiel mittels Kleidertauschbörsen im Internet, Secondhand-Läden oder eben öko-fair hergestellter Mode.

Auch Giuseppina Mari war früher einmal „fashion victim“, wie sie sagt – ein Opfer der billigen Modebranche. Inzwischen will sie gar nicht mehr so viele verschiedene Outfits haben. Dafür solche, die sie auch mit gutem Gewissen tragen kann, sagt sie.

Wegweiser für nachhaltige Textilien

Welchen Siegeln kann man trauen?

Von Kampagnen empfohlen und unabhängig geprüft sind die Zertifikate Fairtrade-Baumwolle, Fair Wear Foundation, Global Organic Textile Standard (GOTS) sowie Naturtextil IVN zertifiziert Best.

Welche Labels stehen wofür?

Produkte nachhaltiger Marken wie Armedangels, Kuyichi, bleed oder People Tree sind GOTS-zertifiziert, oft erfüllen sie zusätzlich Fair-Trade-Standards.

Wo gibt es einen Überblick?

Die Seite www.siegel-klarheit.de gibt einen Überblick über verschiedene Zertifikate für geprüfte Kleidung und ihre Bedeutung. Mehr Informationen gibt es auch auf der Internetseite www.saubere-kleidung.de. Eine Online-Plattform für nachhaltig hergestellte Ökomode verschiedener Labels ist www.avocadostore.de