Zugpassagiere müssen sich noch etliche Tage auf Behinderungen einstellen. Foto: Leif Piechowski

Sie wirft weiter Fragen auf, die nunmehr dritte Zugentgleisung auf dem Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs. Die Unfallursache kann ein Stuttgarter Spezialproblem sein – doch enge Gleisbogen und kurze Weichenabstände gibt es auch anderswo.

Stuttgart - Noch bis Sonntag muss mit Zugausfällen, Umleitungen und Verspätungen gerechnet werden. So lange muss die Bahn mit improvisierten Fahrplänen arbeiten, weil nach der dritten Zugentgleisung binnen weniger Wochen nur 13 der 16 Gleise im Hauptbahnhof zur Verfügung stehen. Am Dienstag war ein Testzug aus den Gleisen gesprungen. Fragen am Tag danach.

Haben sich Bahn und Fahrgäste auf die neue Situation eingestellt?
Das Servicepersonal bemüht sich nach Kräften. Aber nicht immer stimmen Anzeige und Realität überein. Oft zeigt die Anzeigentafel lange einen der unbenutzbaren Bahnsteige an, bevor der Hinweis aufleuchtet, wo der Zug tatsächlich steht. Das verwirrt. Ein 24-jähriger Student ist sauer: Er wollte am Mittwoch mit der Karlsruhe-Verbindung nach Ludwigsburg, fand auf der Bahn-Internetseite den Hinweis, dass der Regionalexpress ab Stuttgart Hbf fährt. Fußnote: „Gleisänderungen möglich, bitte achten Sie auf Lautsprecherdurchsagen im Bahnhof.“ Pech gehabt: „Jetzt bin ich hier und erfahre, dass der Zug ab Kornwestheim fährt.“

Gab es sonstige Überraschungen?
Mit dem ICE 597 nach München Reisende brauchten Geduld. Erst hatte der Intercity Express zehn, dann 15 Minuten Verspätung. Begründung: „Warten auf weitere Reisende“. Dann waren es plötzlich 25 Minuten. Der neue Grund: „Stellwerksstörung/Stellwerksausfall.“

Hat auch die S-Bahn Verspätungen?
Durchaus. Beispiele vom Dienstag: Eine S 1 nach Kirchheim/Teck, acht Minuten wegen Signalstörung. Oder S 2 nach Filderstadt, elf Minuten wegen außerplanmäßiger Geschwindigkeitsbeschränkung. Die Anschlussbusse am Endbahnhof sind da längst weg. Die Busfahrer werden über Verspätungen nicht direkt informiert.

Stimmt es, dass das DB-Reisezentrum im Hauptbahnhof am Dienstag, dem Tag der Entgleisung, geschlossen war?
Ja, wegen einer Betriebsversammlung. Die war für die Mitarbeiter von 9.30 bis 15 Uhr vorgesehen. „Als sich die Lage draußen aber zuspitzte, wurde abgebrochen“, sagt ein Bahnsprecher. Um 11.40 Uhr seien alle an die Schalter zurückgekehrt.

Warum fuhr eigentlich ein normaler Zug zum Test – sind dafür keine Messzüge vorgesehen?
Einen Regelzug einzusetzen, ist tatsächlich unüblich. „Indiskutabel“, heißt es bei Bahnexperten. Schließlich werden Hunderttausende Euro Schaden riskiert. Laut Bundespolizei war jedoch vorher ein Schienenmesszug über die Strecke gefahren. Wie bei der Bahn zu hören ist, sollte anschließend das Verhalten des Zuges unter Echtbedingungen beobachtet werden.

Gibt es neue Erkenntnisse?
Es sind eher die alten: Dicht aufeinanderfolgende Weichen in engen Gleisbögen, dazu eine schiebende Lok, die die Puffer zwischen den Wagen belastet und verkeilt. Unserer Zeitung liegt die Berechnung eines Bahnexperten vor, wonach sich die Puffer seitlich um mehr als 35 Zentimeter verschieben. Dadurch können sich Waggons schräg verhaken und vom Gleis gedrückt werden. Die berüchtigte Weiche 227 dürfte nicht allein das Problem sein. Schließlich war die Doppelweiche vor dem dritten Unfall durch eine einfache ersetzt worden. Nun gerät die Weiche davor, Nummer 218, ins Blickfeld.

Und das alles nur wegen Stuttgart 21?
Das Gleisvorfeld musste wegen des geplanten Tiefbahnhofs verkürzt werden, um Platz für das Baufeld zu schaffen. Damit geht es tatsächlich beengter zu. Doch Gleisbögen mit einem Radius von 190 Metern sind nicht ungewöhnlich, sie gibt es hundertfach im Schienennetz in Deutschland. Auch der geringe Abstand von 6,50 Metern zwischen den Weichen ist nicht außerhalb der erlaubten Norm. Der Mindestabstand liegt nach dem Regelwerk bei sechs Metern. Demnach wäre Stuttgart kein Spezialfall – Entgleisungen dieser Art wären auch anderswo möglich. Das Eisenbahn-Bundesamt (Eba) als Aufsichtsbehörde betont, dass der Betreiber, also die Bahn, die einzelnen Bauzustände bei Umbauten eigenverantwortlich freigibt.