Mannheim, September 2012: Trotz Helms waren die Beamten der Gewalt, die ihnen vonseiten der Kurden entgegenschlug, nicht gewachsen. Foto: dapd

Nach den schweren Ausschreitungen bei einem Kurdenfest im vergangenen September in Mannheim will die Polizei gewalttätigen Randalieren künftig nicht mehr ins offene Messer laufen. Die Gewerkschaft fordert bei brisanten Einsätzen bessere Schutzausrüstung.

Mannheim/Stuttgart - Zunächst hatte alles ganz friedlich begonnen. Fast 50.000 Kurden aus ganz Europa waren auf dem Mannheimer Maimarktgelände zusammengekommen, um ihr jährliches Kulturfestival zu feiern. Dass es sich dabei in Wirklichkeit mehr um eine politische Veranstaltung mit zum Teil agitatorischen Reden denn um ein Kulturfest handelte – darüber sahen Polizei und Behörden großzügig hinweg.

Stein des Anstoßes war eine Fahne der verbotenen Arbeiterpartei PKK, die ein 14-jähriger Junge mit auf das Gelände nehmen wollte. Als er vom Sicherheitsdienst daran gehindert wurde, eskalierte die Situation binnen weniger Minuten. Herbeigerufene Polizisten wurden laut Polizeibericht von 100 bis 200 Kurden tätlich angegriffen. Das anfängliche Scharmützel endete in bürgerkriegsähnlichen Szenen: Steine, Absperrgitter und Feuerwerkskörper flogen, Polizisten wurden mit Eisenstangen geschlagen. Die Bilanz auf Polizeiseite: 73 teils schwer verletzte Beamten. Einer ist aufgrund einer zertrümmerten Kniescheibe bis heute dienstunfähig.

In dem internen Bericht von Landespräsident Wolf Hammann, der unserer Zeitung vorliegt, werden die Ereignisse vom 8. September 2012 genau aufbereitet – in Ansätzen durchaus selbstkritisch. So will man die Erkenntnislage zum Gefährdungspotenzial im Vorfeld künftiger Veranstaltungen dieser Art „optimieren“. Ein indirektes Eingeständnis, dass man die Brisanz der Zusammenkunft unterschätzt hatte. Schließlich hatte es bereits im Vorfeld des Festivals, beim Kurdischen Jugendmarsch, erhebliche Probleme mit den Teilnehmern gegeben.

An der Nase herumgeführt

Auch der häufige Wechsel der Einsatzleitung sei im Nachhinein ein Fehler gewesen, räumt der Bericht ein. So hätten die Mitwirkenden des Jugendmarschs bei jedem Wechsel der Einsatzkräfte versucht, Absprachen infrage zu stellen und die taktische Linie des Einsatzführers jedes Mal aufs Neue auszutesten. Im Klartext: Man wurde an der Nase herumgeführt.

Das war es dann aber auch mit Selbstkritik. Weder der frühzeitige Abzug von einem Teil der insgesamt fast 800 Beamten noch der weitgehende Verzicht auf Schutzkleidung gibt dem Polizeipräsidenten Anlass zum Überdenken der Taktik. Die Entscheidung des Polizeiführers, die Einsatzkräfte kurzzeitig zurückzuziehen, sei das geeignete Mittel gewesen, um noch mehr Gewalt zu verhindern, heißt es. Deeskalation als oberstes Gebot. Dazu zählt auch der bewusste Verzicht auf Wasserwerfer – dies hätte bei den Teilnehmern nur als Provokation gewertet werden können.

Ergebnis: Man will den Einsatz polizeiintern noch einmal gründlich aufarbeiten. Unter anderem soll die Öffentlichkeitsarbeit verbessert werden – mit Facebook- und Twitter-Meldungen schon im Laufe eines Einsatzes. An der grundsätzlich deeskalierenden Einsatztaktik will der oberste Polizeichef des Landes aber festhalten.

Genau das wirft bei vielen in der Polizei grundsätzliche Fragen auf. Eine der wichtigsten: Sind wir noch gut genug ausgerüstet? In den Gewerkschaften sind Schutzausrüstungen beziehungsweise deren Mangel ein Dauerthema. Angesichts der dramatischen Szenen von Mannheim geht der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lautensack, noch einen Schritt weiter: „Wir diskutieren derzeit auch den Einsatz von Gummigeschossen und Elektroschockwaffen.“

16 Ermittlungsverfahren gegen kurdische  Gewalttäter

Lautensack fordert eine klare juristische Aufarbeitung der Vorkommnisse vom 8.September. „Es darf nicht durchgehen, dass politische Aktivisten auf Polizisten losgehen und damit durchkommen.“ Bisher laufen bei der Staatsanwaltschaft Mannheim 16 Ermittlungsverfahren gegen kurdische  Gewalttäter.

Zunächst war auch gegen einen Polizisten ermittelt worden, nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft wurde aber auf eine weitere strafrechtliche Verfolgung verzichtet. „Ich frage mich manchmal schon: Ist hier noch die richtige Gewichtung vorhanden?“, sagt Thomas Blenke, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Er fordert harte Strafen für die kurdischen Krawallmacher. Die Polizisten hätten sich schließlich nur verteidigt – was nicht nur ihr gutes Recht, sondern auch ihre Pflicht sei.

Für Blenke ist Innenminister Reinhold Gall (SPD) in der Pflicht, seine Beamten künftig nicht mehr ins offene Messer laufen zu lassen. „Er hat eine Fürsorgepflicht, dazu zählen in erster Linie ausreichende Schutzmaßnahmen.“ Der CDU-Mann bringt auch den Wasserwerfer ins Spiel. „Wenn ich mich nicht mehr traue, ihn einzusetzen, kann ich ihn auch aus dem Polizeigesetz streichen.“