Kunden und Mitarbeiter blicken bei Schlecker in eine ungewisse Zukunft: Am Freitag könnten die Gläubiger eine Zerschlagung beschließen. Foto: dapd

Das arabische Emirat war die Hoffnung der Schlecker-Kinder. Nun ist der Investor abgesprungen.

Ehingen/Stuttgart - Für die Kinder des Firmengründers Anton Schlecker ist es ein herber Rückschlag: Das arabische Emirat Katar, das Lars und Meike Schlecker als Investor für die insolvente Drogeriemarktkette Schlecker an Land gezogen haben, ist abgesprungen.

Natürlich ist es ein unsinniges Gefühl, das Hatun Orhan (37) manchmal in ihrer Schlecker-Filiale beschleicht. Sie weiß das. Schuldig fühlt sie sich trotzdem. Weil sie noch bei der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker arbeiten kann, während 9500 Kolleginnen gehen mussten. „Warum durften Sie bleiben und die anderen nicht?“, fragen die Kunden. Hatun weiß nicht, was sie antworten soll. Manche Verkäuferinnen fühlen sich wie Leichenfledderer, sagt sie. Wie Menschen, die Tote ausrauben. Immer mehr Schlecker-Frauen reichen in diesen Tagen ihren Resturlaub ein. Kaum eine glaubt noch an die Wiederbelebung des Unternehmens.

Die Hinweise mehren sich, dass sie recht behalten könnten. Nach Penta ist nun ein weiterer Investor abgesprungen: Das arabische Emirat Katar ist nicht mehr an Schlecker interessiert. Nach Informationen unserer Zeitung ist dies der Geldgeber, den Lars (40) und Meike (38) Schlecker, die Kinder des Firmengründers Anton Schlecker, ins Rennen gebracht haben. Manche haben Katar in den vergangenen Wochen als den aussichtsreichsten Investor bezeichnet. Das Emirat kauft auf der ganzen Welt Unternehmen ein. Über seinen Staatsfonds ist Katar an deutschen Weltkonzernen wie VW und Porsche beteiligt. Allein in diesem Jahr will Katar über 30 Milliarden Euro im Ausland investieren. 150 Millionen Euro hätte das Emirat für Schlecker übrig gehabt. Katar selbst wollte dies nicht kommentieren. Man habe kein Interesse an Risikogeschäften, sagen jedoch mit den Vorgängen vertraute Personen.

Ein Risikogeschäft – mehr scheint Schlecker für die Investoren nicht mehr zu sein. Auch die Gläubiger verlieren die Geduld. Am Freitag trifft sich der Gläubigerausschuss, um erneut darüber zu beraten, ob man Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz die Chance und die Zeit gibt, weiter gegen die Verluste anzukämpfen. Auch ohne Katar.

McKinsey rechnet 2012 und 2013 mit Verlusten in Millionenhöhe

Das Leben der Verkäuferin Hatun hat nichts zu tun mit dem der reichen Scheichs aus dem Orient. Sie ernährt allein die ganze Familie. Ihr Mann hat keine Arbeit, die Kinder sind fünf und sieben Jahre alt. Das Hobby der Töchter ist Fahrradfahren. Ein eigenes Rad wäre das Größte. Hatun kann ihnen keines kaufen. Als Filialleiterin verdient sie 1500 Euro bei Schlecker. 870 Euro gehen für die Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung drauf. Den Rest braucht die Familie zum Leben.

Hatun kann sich nicht vorstellen, dass sie noch einmal eine Arbeit findet, bei der sie nach Tarif bezahlt wird. Weil sie das Geld so dringend für die Familie braucht, hat die erste Kündigungswelle Ende März sie nicht getroffen. Die Kunden kennen Hatuns Geschichte nicht. Sie sehen nur, dass die gewohnten Verkäuferinnen bei Schlecker in der Stuttgarter Silberburgstraße nicht mehr da sind, dass Hatun ihren Platz eingenommen hat. Schuldgefühle sieht man nicht.

Zur Zeit der ersten Kündigungswelle rechnete Arndt Geiwitz den Investoren noch vor, dass Schlecker 2013 wieder schwarze Zahlen schreiben werde. In den vergangenen Wochen jedoch ist seine Prognose immer düsterer geworden. Inzwischen geht die Unternehmensberatung McKinsey sowohl für 2012 also auch für 2013 von Verlusten in zweistelliger Millionenhöhe aus. „Die Umsätze entwickeln sich nicht wie erwartet, die laufenden Kosten können nicht schnell genug gesenkt werden“, heißt es aus Unternehmenskreisen. Dazu kommen die Kündigungsschutzklagen. Mit etwa 2000 Klagen hätten Insolvenzverwalter und Investoren leben können. Niemand hat damit gerechnet, dass ihre Zahl die 4000er Marke knacken würde. Die Klagen könnten das Unternehmen Millionen kosten – falls die Mitarbeiter vor Gericht Erfolg haben.

Namen auf der Investorenliste von Geiwitz werden immer weniger

„Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht“, sagt Marianne Grün. Sie ist eine der 4000 ehemaligen Schlecker-Frauen, die sich juristisch gegen ihre Kündigung wehren. Zehn Jahre lang hat sie bei Schlecker gearbeitet, „ich habe alles gemacht, war nie krank“. Marianne Grün fühlt sich ungerecht behandelt. Sie fürchtet, dass sie mit 52 Jahren keine Arbeit mehr findet. Sie hat einen rumänischen Hochschulabschluss in Chemie. Die Fachleute von der Arbeitsagentur haben den Schlecker-Frauen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt versprochen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben bisher 1340 ehemalige Schlecker-Mitarbeiter einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Marianne Grün hat es bisher immerhin auf die Warteliste bei Rossmann geschafft.

Während die Warteliste bei Rossmann immer länger wird, werden die Namen auf der Investorenliste von Arndt Geiwitz immer weniger. „Ich will nicht mit ihm tauschen“, sagt ein renommierter Insolvenzverwalter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Wenn das Projekt Schlecker scheitert, bleibt dies mit dem Namen Geiwitz verbunden. Es ist sein erstes großes Projekt. Niemand wirft ihm etwas vor – Investoren, Arbeitnehmervertreter, Politiker –, alle schätzen seine Arbeit.

Doch Geiwitz braucht keine aufmunternden Worte, er braucht einen Geldgeber. Weil die verbleibenden zwei ernsthaften Investoren ihm nicht zusichern wollen, dass sie ein verbindliches Angebot abgeben werden, arbeitet er seit Wochen an einem Plan B, sucht Käufer für die Schlecker-Töchter Frankreich, Spanien, Tschechien. Ihr Platz soll an den Münchner Investor Dubag gehen, falls sich kein Käufer für das Gesamtpaket findet. Experten halten dies für ein riskantes Geschäft. „Den Töchtern wird man nicht die gleichen Lieferkonditionen anbieten können wie Schlecker als Konzern“, sagen sie. Dies jedoch berge die Gefahr, beim aggressiven Preiskampf in der Branche nicht mithalten zu können.

Mit Katar verschwinden die Chance der Familie auf eine Rolle im Unternehmen

Meike Schlecker hat nicht die gleichen Probleme wie Filialleiterin Hatun Orhan. Sie wird ihren Kindern jederzeit ein Fahrrad kaufen können. Doch dass sie das Familienimperium nicht retten können, trifft Meike und Lars Schlecker hart. Durch den Absprung des Investors geht der Einfluss der Familie verloren. Auch wenn von einer Mehrheitsbeteiligung der Kinder schon lange keiner mehr träumt, konnten sich die Investoren aus Katar zumindest eine Minderheitsbeteiligung der Schlecker-Kinder vorstellen. „Beteiligung hin oder her. Im Moment geht es der Familie darum, dass von dem Unternehmen überhaupt noch etwas übrig bleibt“, heißt es in Unternehmenskreisen. Dort fürchtet man, dass die Gläubiger am Freitag den Daumen über Schlecker senken könnten.

Hauptgläubiger ist der Warenkreditversicherer Euler Hermes, der den Lieferanten ihre Ausfälle zahlen musste. Bisher hat sich Euler Hermes kooperationsbereit gezeigt. Das Unternehmen hat Geschäftsmodelle von potenziellen Investoren abgesegnet – selbst wenn sie aus kaufmännischer Sicht waghalsig erschienen. Irgendwann jedoch dürfte die Geduld der Gläubiger ausgereizt sein. „Die Gläubiger müssen sich mit der Frage befassen, was ihnen mehr bringt. Eine Zerschlagung zum jetzigen Zeitpunkt oder in drei Monaten“, sagt ein Insolvenzexperte.

Hatun Orhan hat beschlossen, Schulden zu machen. Sie will ein Ticket für einen Flug in die Türkei kaufen. Mit der Familie. Ihrer jüngsten Tochter hat Hatun vor fünf Jahren den Namen Rojin gegeben. Das bedeutet Sonnenaufgang.