Der Einsatz der Bundeswehr in Mali gilt als das potentiell gefährlichste militärische Engagement Deutschlands. Foto: dpa

Die Debatte über Bundeswehr-Einsätze im Bundestag offenbart das Nach-Jamaika-Dilemma, kommentiert unser Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Jamaika ist noch keine zwei Tage tot – schon wird die problematischste Folge greifbar: Deutschland ist außenpolitisch nur bedingt handlungsfähig. Das hat die erste Debatte des neuen Bundestags über eine Verlängerung von insgesamt sieben Bundeswehr-Einsätzen im Mittelmeer und außerhalb des Nato-Gebiets gezeigt.

Wo es um die härteste Währung der Außenpolitik – den Einsatz militärischer Mittel – geht, fährt die Republik jetzt nur noch auf Sicht. Also genau in dem Bereich, an dem Deutschlands Handlungsfähigkeit und Berechenbarkeit in besonderem Maß gemessen werden. Da geht es unter zerzausten Jamaikasegeln nur noch im Dreimonatstakt voran. Um diese Frist sollen die Einsätze verlängert werden. Was dann kommt, weiß keiner.

Das ist besonders misslich, weil es viele Gründe gibt, sich jeden einzelnen Einsatz genau anzuschauen. Manche Ausgangslage hat sich seit Missionsbeginn oder seit der Mandatsverlängerung vor knapp einem Jahr so stark verändert, dass Sinn, Zweck, Maß neu zu justieren wären. Das gilt insbesondere für die beiden größten Einsätze in Mali und in Afghanistan.

Die Einsätze müssen dringend neu bewertet werden

Wie so häufig in lang andauernden Friedensmissionen verschwimmen auch im UN-Stabilisierungseinsatz in Mali – derzeit das potenziell gefährlichste Engagement der Bundeswehr – die Ziele. Rebellische Nomaden und islamistische Milizen in Schach halten, um die Zentralregierung in Bamako zu entlasten und eine brüchige Waffenruhe von 2015 zu garantieren, mag die richtige Richtschnur bleiben. Aber etwas konkreter muss die Begründung fünf Jahre nach Beginn der UN-Mission und fast zwei Jahre nach erheblicher Aufstockung der deutschen Beteiligung auf fast 1000 Soldaten endlich werden. Was genau wollen die UN, was die Bundesregierung bewirken? Im Bundestag wird kaum dazu gefragt. Der hat andere, postjamaikanische Sorgen.

Wenn solche Fragen nicht gestellt werden und wenn nicht zumindest in der Mehrheit der Abgeordneten ein gemeinsames Verständnis von solchen Zielen besteht, dann läuft es wie im Fall Afghanistan. Da geht es rund 16 Jahre nach Beginn des deutschen Militäreinsatzes – sehr zugespitzt, im Kern aber treffend gesagt – darum: Warum bildet Deutschland im Verein mit Nato-Partnern die Truppen der alten Drogenbarone für deren Kampf gegen die Milizen der neuen Drogenbarone, landläufig Taliban genannt, aus? Weil die alten Drogenbarone anders als die neuen zwar Opium, aber keine Terroristen gen Westen exportieren?

Mandatsverlängerungen darf man nicht einfach durchwinken

Das mag ein einleuchtender, hinreichender Grund für die Mandatsverlängerung sein. Allein, der Bundestag schweigt darüber hinweg. Was als Versäumnis umso schwerer ins Gewicht fällt, als die Nato gerade eine Wiederaufstockung ihrer Truppen in Afghanistan beschlossen hat. Auch dafür gibt es Gründe. Sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen bedeutet aber mehr, als eine Mandatsverlängerung durchzuwinken. Und es setzt eine handlungsfähige Regierung voraus, die weiß, was sie will, und dies dem Souverän auch stichhaltig begründen kann.

Verlängerung des Mandats für die Beteiligung am Kampf gegen die Terroristenbande Islamischer Staat heißt nach Zerschlagung der territorialen Basis des Islamischen Staats im Irak und in Syrien was genau? Und wie weit will sich Deutschland mit seiner Unterstützung für kurdische Milizen im Nordirak noch zwischen die Fronten eines besonders vielschichtigen Konflikts vorwagen? Die Prognose sei gewagt: Was Regierung und Parlament in diesen Tagen zu diesen Fragen verhandeln, wird deren Bedeutung und Komplexität bei Weitem nicht gerecht.