Bernhard Heitz mit Higgins, einem Foto: Horst Rudel

Vor 18 Jahren hat Bernhard Heitz einen Flugzeugabsturz schwer verletzt überlebt. Wie geht es ihm heute? Ein Hausbesuch.

Weilheim/Teck - Die Landebahn ist zu kurz. Der Pilot Harald Fresenius entscheidet sich durchzustarten. Aber es ist zu spät. Das einmotorige Flugzeug zieht nur sehr langsam nach oben, das Terrain vor dem Cockpitfenster wird immer steiler. Schon krachen Baumwipfel an die Tragflächen. Sekunden später schlägt die Mooney auf dem Boden auf. Dann ist alles Feuer.

Die zusätzlichen Treibstofftanks in den Tragflächen und auf dem Rücksitz, die extra für diese Flugreise um die Welt eingebaut worden waren, verursachen an diesem 2. Juni 1997 in der kanadischen Wildnis in kürzester Zeit ein Inferno. Unvorstellbar, dass jemand dieser Flammenhölle entkommt. Doch Bernhard Heitz kann sich aus dem Cockpit befreien und sogar noch den schwer verletzten Piloten herausziehen.

Auch Jahre später haben die Bilder des Absturzes in seinem Kopf nicht an Schärfe verloren. „Ich erinnere mich, wie ich auf meine Hände geguckt habe und sich die Fingernägel vom Nagelbett lösten“, erzählt Bernhard Heitz. An seiner rechten Hand sind sie wieder nachgewachsen, von seiner Linken ist nicht mehr viel übrig. 85 Prozent seiner Haut sind verbrannt – Fingerspitzen, Sehnen, Ohren, ein Teil der Nase.

Dieses Jahr gibt es eine Grillparty

18 Jahre ist der Unfall in Kanada her, bei dem Heitz nicht nur sein altes Aussehen, sondern vor allem seinen besten Freund verloren hat. An jedem 2. Juni feiert der heute 52-Jährige seither seinen zweiten Geburtstag. Dieses Jahr mit einer großen Grillparty. „Die Feier zum Grillfest“, sagt er.

Makabere Scherze liegen Bernhard Heitz. Wenn es an der Tür seines neu gebauten Häuschens im Weilheimer Teilort Hepsisau klingelt, entschuldigt er sich mit den Worten: „Ich gehe mal schnell jemanden erschrecken.“ Der Unfall hat den Berufspiloten unwiderruflich gezeichnet. Seine Seele hat die Katastrophe anscheinend fast unbeschadet überstanden. „Für mich, der von innen nach außen schaut, hat sich eben nicht viel verändert.“

Heitz fühlt sich nicht entstellt. Und er hat nie mit seinem Überleben gehadert. Selbst die Ärzte, die ihn nach dem Unfall operieren, sind erstaunt über einen so positiven Patienten. Immerhin ist er so schwer verletzt, dass die Spezialisten erst nach drei Monaten sicher sind, dass Heitz überlebt. Harald Fresenius stirbt vier Wochen nach dem Absturz an seinen Verletzungen. Heitz liegt bis zu seiner Selbstentlassung 13 Monate im Krankenhaus. In den ersten vier Monaten verliert er 43 Kilogramm – und das bei einer täglichen Zufuhr von 10 000 Kalorien. Sein Körper braucht Unmengen an Energie, um sein größtes Organ wiederherzustellen. Teils über Stunden muss er Verbandswechsel ertragen, die sich anfühlen, als ziehe man ihm die Haut ab, und ihn an den Rand der Ohnmacht treiben.

An die Schmerzen gewöhnt man sich nie

„Mir fehlt das Gen zu erkennen, wie schlimm das alles wirklich ist“, sagt er. Erst mehr als ein halbes Jahr nach dem Unfall guckt er wieder in einen Spiegel. „Mann, siehst du scheiße aus“, denkt er sich – und geht zurück in sein Krankenhausbett, um weiter eine Partie der Fußball-WM anzuschauen. Diesen Satz wird er später in einer Hamburger Kneipe von einem Wildfremden noch mal hören. Solche unverblümten Reaktionen gefallen ihm. Leute, die geradeheraus sagen, was sie denken, sind ihm lieber als der Fußgänger, der mal vor lauter Glotzen gegen eine Straßenlaterne lief, oder die Mutter, die beim Anblick von Heitz zu ihrem Kind sagte: „Das passiert, wenn man mit Feuer spielt.“ Doch auch so was trifft ihn nicht im Innersten. „Irgendwie habe ich das alles schnell weggesteckt.“

Von seinem Körper kann er das bis heute nicht behaupten. Er hat mehr als 50 Operationen hinter sich. Die Gelenke in den Fingern der linken Hand sind versteift, da fällt es schon schwer, beim Kochen in einer Pfanne zu rühren oder die Betten aufzuschütteln. „Irgendwann kriegt man raus, wie man solche Dinge hinbekommt“, sagt Heitz. Sich an die Schmerzen zu gewöhnen  ist viel schwieriger. „Normalerweise schwimmt unsere Haut auf dem Muskel, bei mir hat die Hitze sie quasi darauf festgeklebt.“ Da wird es schon zur Tortur, wenn der Zahnarzt versucht, die Backe mit dem kleinen Spiegel zur Seite zu ziehen.

Bis auf drei kleine Stellen am Körper hat Heitz durch die Verbrennungen auch seine Schweißdrüsen verloren. Große Distanzen zu Fuß kann er nicht mehr bewältigen, im Sommer ist es besonders schwierig – er würde glatt überhitzen. Dafür empfindet er es als ein ungeheures Glück, dass er Berührungen größtenteils noch spüren kann. „Und ich habe mein Augenlicht und meinen Geschmackssinn behalten. Ich bin ein Glückskind im Unglück“, sagt er.

Riesiges Medieninteresse

Zwei weitere Dinge hat der Unfall ihm nicht genommen: seine Liebe zum Fliegen und zum Weltenbummeln. Heitz ist in Müllheim bei Freiburg aufgewachsen. „Schon als Kind habe ich immer den Kopf in den Nacken geschmissen, wenn ein Flugzeug am Himmel war. Das mache ich heute noch.“ Das Glanzlicht seiner Kindheit ist ein Ausflug zum Züricher Flughafen, wo sein Vater ihm einem Rundflug in einer Cessna spendiert. Nach dem frühen Tod des Vaters besucht Bernhard Heitz ein Internat in der Schweiz. In Kalifornien schließt er die Schule ab und beginnt ein Studium. In dieser Zeit lernt er Harald Fresenius aus Hamburg kennen.

Der Wehrdienst bringt Heitz zurück nach Deutschland, dann studiert er Jura, macht nebenbei die Privatpilotenlizenz und bereitet sich mit Fresenius fast vier Jahre lang auf die Weltumrundung vor: Deutschland – die Arabische Halbinsel – Indien – Singapur – Neuseeland – Südsee – Hawaii – USA – Kanada – und zurück nach Hause. Eine Reise, die noch nicht viele Menschen vor ihnen mit einem einmotorigen Flugzeug unternommen haben. Das Medieninteresse ist riesig, sogar ein Filmteam begleitet die Piloten. Den Absturz haben sie auch auf Band. Heitz hat es noch nie gesehen. „Das möchte ich nicht.“

Am Tag nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus sitzt er schon wieder in einem Flugzeug – „da bin ich noch auf dem Zahnfleisch gegangen“, sagt er. Beim World Burn Congress in Kanada soll er von seinem Schicksal erzählen. Ob er nach dem Absturz keine Angst vor dem Fliegen habe? „Statistisch gesehen passiert mir das nicht noch mal“, antwortet Heitz. „Und wenn, überlebe ich es sicher nicht.“

Von Südkalifornien nach Süddeutschland

Beim Kongress knüpft er Kontakte und sammelt Informationen – mit dem Ziel, in Deutschland eine Brandverletzten-Organisation aufzubauen. Sein Elan ist ungebremst, obwohl er sich erst mal selbst wieder ein Leben aufbauen, eine Wohnung finden und mit Versicherungen („Warum wollen Sie Schmerzensgeld? Ihnen wurden doch die Nervenenden verbrannt.“) herumschlagen muss. Doch es klappt. Bis heute sitzt Bernhard Heitz dem Verein Phoenix Deutschland vor. Er ist eine Anlaufstelle für Brandverletzte und ihre Angehörigen. Um Aufmerksamkeit für Phoenix zu bekommen, gibt Heitz Ende der 90er Jahre unzähligen Zeitungen Interviews, tingelt durch Talkshows. „Es lohnt sich, sich für dieses Ziel seelisch vor der Kamera zu entkleiden“, schreibt er in seinem Buch, das im Jahr 1999 erscheint. Er hatte im Krankenhaus seine Erlebnisse auf ein Diktiergerät gesprochen, damit seine Mutter sie abhören kann, sollte er nicht überleben.

Über sein Engagement bei Phoenix wird die World Burn Foundation auf Bernhard Heitz aufmerksam. Er zieht nach Malibu, baut die Organisation mit auf, wird ihr Präsident und ihr Gesicht. „Ich wollte nie Berufsbehinderter werden“, sagt Heitz. „Dann sind es doch zehn Jahre geworden.“

Vor zwei Jahren hat Bernhard Heitz Südkalifornien den Rücken gekehrt, seit einem halben Jahr lebt er in Süddeutschland. Von Malibu nach Hepsisau? Schuld sind die Hunde, sagt er. Elmo und Higgins, zwei Coton de Tuléar, toben mit ihrem langen weißen Fell wie lebendige Wattebäusche um seine Füße. Heitz hat auf Schönheitswettbewerben weltweit Titel mit ihnen gewonnen. Vor Jahren lernte er eine Züchterin in Hepsisau kennen, und da er ohnehin zurück in die Nähe seiner Familie in Freiburg ziehen wollte, baute er sich ein kleines Haus in diesem idyllischen Ort. Und ist heute so sesshaft, wie er sich niemals hätte vorstellen können zu sein. „Aber es ist ein Flughafen in der Nähe, wenn ich mal wegwill.“ Das war ein Kriterium.

Es gibt nur eine Version des Daseins

Dank Elmo und Higgins lebt Bernhard Heitz nicht alleine. „Sie sind immer gut gelaunt, sie sind Antidepressiva“, sagt er. Dass er keine Partnerin hat, liegt aber nicht daran, dass dieses Kapitel mit dem Absturz abgeschlossen gewesen wäre. Heitz erzählt schwärmerisch von der einen oder anderen Freundin. „Keine meiner Beziehungen ist wegen der Unfallfolgen auseinandergegangen.“ Die Frauen hätten ja gewusst, worauf sie sich einließen. Außerdem wüssten sie auch, was sie an ihm haben, sagt er. „Schönheit vergeht, wüst bleibt wüst.“ Er sieht sogar einen Vorteil in seinen Narben: „Früher hatte ich ein Gesicht, das in der Menge untergegangen ist, heute vergisst es keiner.“ Sein Glück sei tatsächlich, dass Frauen im Gegensatz zu Männern mit dem Herzen, nicht mit den Augen sehen würden.

Was Bernhard Heitz in seinem Leben vor und nach der Zäsur erlebt hat, kann kaum ein Unversehrter vorweisen. Trotzdem sagt er: „Mein Leben ist für mich nicht außergewöhnlich, aber mein Leben ist klasse.“ Manchmal fragt er sich, ob es ohne den Unfall auch so interessant geworden wäre. Verwirft den Gedanken dann aber schnell wieder, denn diese Version seines Daseins gibt es nun einmal nicht. Vielleicht stand der Absturz einfach im Drehbuch für sein Leben. Damit er erlebt, was er erlebt hat: „Ich habe es quasi schamlos ausgenutzt, dass ich den Unfall hatte.“