Bürger von Manchester legen Blumen am St Ann’s Square im Zentrum nieder. Foto: AFP

Nach dem schweren Anschlag auf die Besucher eines Konzerts hat die Trauer Manchester noch ganz im Griff. Mit Tränen in den Augen legen Menschen an einem der zentralen Plätze der Stadt Blumen nieder. Eindrücke aus einer tief erschütterten Stadt.

Manchester - Auch nach drei Tagen will der Strom der Trauernden am St Ann’s Square nicht abreißen. Sträuße in knisterndem Zellophanpapier, rosarote Ballons, Teelichter und von Kindern gemalte Karten umwogen das Denkmal des radikalliberalen Reformers Richard Cobden, der sprachlos auf das Gedränge zu seinen Füßen hinunterblickt. Auf die Steinplatten rundherum sind mit Kreide schmerzlich-trotzige Parolen gemalt. „Heute trauern wir“, steht an einer Stelle, „aber wir wissen um unsere Stärke.“ Anderswo heißt es: „Wir halten zusammen. Habt keine Angst, die Liebe verbindet uns.“

Tausende haben sich versammelt zu einer Gedenkminute am Donnerstagvormittag, und nicht wenige Tränen fließen. In St Ann’s, der Kirche gleich hinterm Cobden-Denkmal, am oberen Ende des Platzes, sind kleine Tische aufgestellt und Kondolenzbücher ausgelegt worden. „Die kleinen Engel – mir blutet das Herz“, hat ein Besucher geschrieben. 22 überwiegend junge Opfer hat der Terroranschlag am Montagabend gefordert, mit dem der aus Manchester stammende Selbstmordattentäter Salman Abedi einem von fast 20 000 Menschen besuchten Popkonzert ein grausames Ende setzte. Insgesamt 116 Personen, darunter ein Dutzend Kinder, sind teils schwer verletzt worden bei der Explosion im Foyer der Manchester Arena. Einige ringen noch immer mit dem Tod.

Auch die IRA hatte Manchester im Visier – aber sie warnte die Menschen vor

Im Kirchenschiff von St Ann’s sitzen hier und da Besucher, einige weinen still. Abedis Mordtat hat die Stadt tief getroffen. Bombenanschläge hat Manchester schon früher erlebt. Immer wieder in den 70er und 80er Jahren wählte die IRA, die Irisch-Republikanische Armee, die Stadt zum Ziel ihrer Anschläge. Vor 21 Jahren, im Juni 1996, legten IRA-Leute mit einer 1500-Kilo-Sprengladung ganze Straßenzüge im Zentrum in Trümmer. Die Bombe ging in die Geschichte Manchesters ein. „All diese Kirchenfenster da oben an der Nordseite“, sagt Susan Ball, die Küsterin von St Ann’s, „sind damals zu Bruch gegangen.“

Und doch, meint sie, habe jener Anschlag nichts mit dem von dieser Woche gemeinsam. Die IRA habe seinerzeit immerhin Vorwarnung gegeben, um Opfer zu verhindern. Salman Abedi aber habe in seinem Groll so viele Menschen wie möglich, und erstmals gezielt und gnadenlos auch Kinder, mit sich in den Tod reißen wollen. „Dafür“, erklärt Susan Ball, „gibt es keinen Vergleich.“

Im Bereich des Anschlagsortes, im Umfeld der Manchester Arena, steht die Welt noch ganz still: Weitläufig ist der Bereich rund um die Konzerthalle abgesperrt, nur die Polizei hat Zutritt zu dem Ort, der für viele Kinder und Teenager zu einer tödlichen Falle geworden ist.

Die Briten wollen mit den USA keine Informationen mehr teilen

Wenn die britische Öffentlichkeit wissen möchte, was sich am Tatort abspielt oder abgespielt hat, muss sie die „New York Times“ lesen. Zum Zorn der britischen Regierung haben die US-Geheimdienste ohne Absprache mit London erst den Namen des Täters und dann Bilder von den Überresten der Bombe publiziert. Premierministerin Theresa May hat versprochen, sich bei US-Präsident Donald Trump darüber zu beschweren. Die Polizei von Manchester weigert sich mittlerweile, Informationen zu dem Fall an den „großen Verbündeten“ weiterzugeben.

Sorgsam abgesperrt ist auch eine einzelne Straße etwa drei Kilometer südlich vom Tatort. Hier in der Elsmore Road, im Stadtteil Fallowfield, hat Salman Abedi, der 22-jährige Attentäter, gewohnt. Ein einfaches, dunkelrotes Backsteinhaus ist es. Polizisten in Schutzkleidung gehen ein und aus. Drinnen haben sie, hört man, eine Bombenwerkstatt entdeckt. Es ist ein einfaches Arbeiterviertel, in dem man zwischen ärmlichen Quartieren ab und zu auf einen dicken Mercedes in der Einfahrt stößt. Sehen so die „Verlierer des Lebens“ aus, zu denen Präsident Trump den Manchester-Bomber zählt?

Schulmädchen, die nach Schulschluss die anliegenden Straßen heruntergehüpft kommen, haben ihre Kopftücher locker in die Pullis ihrer Schuluniform gesteckt. Kleine Gipsfiguren und Vasen stehen auf  den Fenstersimsen der Häuser. In den Vorgärten ist das Gras getrimmt.

Schwarze Flagge über Abedis Elternhaus gehisst

Antone Jones, der gleich ums Eck von den Abedis wohnt, kann etwas über den nun berühmten Nachbarn erzählen. Ein „stiller, zurückhaltender“ Zeitgenosse sei Salman Abedi gewesen, der beim Fußballspielen in der Straße „nie mitmachen“ wollte. Vor zwei Jahren sei dann plötzlich auf dem Dach über dem Abedi-Haus „eine große schwarze Flagge mit arabischer Aufschrift“ gehisst worden. Andere Nachbarn wollen gehört haben, dass Abedi lauthals Passagen des Koran intonierend durch die Elsmore Road spaziert sei. „Man weiß wirklich nie, neben wem man wohnt“, meinen einige Anwohner ratlos.

Inzwischen sind weitere sieben Personen, die meisten ebenfalls aus Manchester, festgenommen worden. Die Funde bei dieser Fahndung nach einem Netz britisch-libyscher Extremisten werden von der Polizei als „bedeutend“ und besorgniserregend eingestuft.

In der Moschee verteidigt man sich

Noch einmal eine halbe Stunde weit entfernt, muss sich die Moschee von Didsbury des Verdachts erwehren, sie habe Warnzeichen missachtet. Ironischerweise ist diese Moschee, die die Abedis frequentierten, eine der offensten in Manchester überhaupt. Eingerichtet als „Manchesters Islamisches Zentrum“ in einer alten christlichen Kirche des Stadtteils Didsbury, lädt die Moschee jeden Sonntagnachmittag auch Anhänger anderer Religionen oder Nichtgläubige „zum Austausch und zu Erfrischungen“ ein – „jenseits von Politik und Propaganda“, wie ein Plakat verrät. Er wolle gern eines klarstellen, meint der Verwalter der Moschee, Fawzi Haffar: Es sei „nicht wahr“, dass Salman Abedi in der Moschee gearbeitet habe, wie ein Teil der britischen Presse berichtet habe. Zu der Frage, ob Abedis Vater in der Moschee beschäftigt war, will sich Haffar nicht äußern. Wichtig ist für ihn, dass sein Zentrum „stolz darauf“ ist, Teil „der großartigen Stadt Manchester und ihrer großen Geschichte“ zu sein.

Sein Renommee als wichtiges Zentrum Nordenglands, als zweitwichtigste Stadt nach London, will Manchester um keinen Preis verlieren. „I love MCR“ steht auf tausend Fähnchen in der Stadt. „Manchester, Manchester, Manchester“, haben die Fußballfans beim Europa-Finale fast trotzig skandiert.