Steht nach dem Brexit ziemlich alleine da: David Cameron. Foto: AFP

Es heißt immer noch Wundenlecken nach der abrupten Absage der Briten an die Europäische Union. Die Beteiligten versuchen sich zu sammeln - Premier Cameron wirkt schon ziemlich allein.

Brüssel - Die Europäische Union will sich nach dem Brexit-Votum nun so rasch wie möglich von Großbritannien trennen und sich neu orientieren. „Europa ist bereit, den Scheidungsprozess schon heute zu beginnen“, sagte Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Im September sollen die verbleibenden 27 EU-Mitglieder in Bratislava eine Vision für ihre Zukunft entwickeln - schon ohne die Briten. Die zögern aber weiter mit dem Austrittsgesuch.

Der britische Premier David Cameron wirkte bei seinem womöglich letzten Gipfel in Brüssel bereits isoliert. Obwohl sich die Briten zum Austritt aus der EU entschlossen hätten, wolle er das Verfahren doch so konstruktiv wie möglich gestalten, sagte der Regierungschef. Er hatte für den Verbleib in der EU geworben und wegen seiner Niederlage seinen Rücktritt bis Oktober erklärt. Den Trennungsantrag bei der EU will er seinem Nachfolger überlassen.

EU-Partner bauen Druck auf

Doch bauten die EU-Partner Druck auf. „So schnell wie möglich muss das Vereinigte Königreich seine Mitteilung machen, dass es die Europäische Union verlässt“, sagte der französische Präsident Francois Hollande. „Wir sind hier nicht auf Facebook, wo die Dinge kompliziert sind“, fügte der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel hinzu. „Wir sind verheiratet oder geschieden, aber nicht irgendwas dazwischen.“ EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verlangte ebenfalls rasch Klarheit.

Wann London die Trennung beantragt, liegt allein im Ermessen der britischen Regierung. Vorher könne man nicht über den Brexit verhandeln, stellte Tusk klar. Gleichzeitig betonte er, die EU warte bewusst bis September mit ihrer Zukunftsdebatte. „Wir brauchen einige Wochen, um diesen Prozess vorzubereiten“, sagte Tusk.

Sowohl Großbritannien als auch die europäischen Partner versuchen nach dem Schock des Votums der britischen Wähler für den Brexit immer noch, sich zu sammeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte in einer Regierungserklärung, sie werde sich mit voller Kraft für den Erhalt der Gemeinschaft einsetzen.

Doch nicht nur in Großbritannien rumort es. So verurteilte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban abermals die EU-Flüchtlingspolitik. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras machte unter anderem die Sparpolitik mitverantwortlich für das Brexit-Votum. Er hoffe, dass das Ergebnis des Referendums ein Weckruf für Europa sei.

Regierungskrise und Chaos bei der Opposition

Die Briten hatten mit einer Mehrheit von knapp 52 Prozent gegen die EU gestimmt. Die Folge waren in Großbritannien eine Regierungskrise und Chaos bei der Opposition: Labour-Chef Jeremy Corbyn verlor am Dienstag eine Vertrauensabstimmung in seiner Fraktion. Auch auf den Finanzmärkten herrscht weiter Unruhe.

Nach Kursverlusten bei Aktien und beim Wert des britischen Pfunds stuften die Ratingagenturen Fitch und Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit Großbritanniens herab. Schatzkanzler George Osborne sagte der BBC, bei einem Brexit seien Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen unvermeidbar.

Einige Brexit-Befürworter hatten angedeutet, vor einem Trennungsgesuch zunächst die Bedingungen der künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU klären zu wollen. Ihr Vorkämpfer Nigel Farage von der nationalistischen Ukip forderte im Europaparlament Pragmatismus. Die EU solle mit Großbritannien ein gutes Handelsabkommen schließen, sonst seien auch deutsche Arbeitsplätze in Gefahr. Farage musste sich Buhrufe anhören.