Weissachs Bürgermeister Ian Schölzel vor der Brandruine Foto: Lichtgut/Horst Rudel

Das von Bundespräsident Joachim Gauck beschriebene „dunkle Deutschland“ liegt mitten im Rems-Murr-Kreis am Rand des Schwäbischen Waldes. So sieht es jedenfalls der „Spiegel“. Die Gemeinde wehrt sich.

Weissach im Tal - „Das ist schlimm, aber es wundert mich nicht“, sagt der ältere Herr, der im Kassenbereich des großen Discount-Markts seine Tiefkühlerbsen und die Dosentomaten in der Jutetasche verstaut. Eine kleine Gemeinde wie Weissach könne nicht so viele Flüchtlinge aufnehmen. Mehr will er nicht sagen. Das Titelfoto des aktuellen „Spiegels“ habe ihm gereicht. „Eine Sauerei“ sei es, wie die Medien mit Weissach umgesprungen seien.

Auf dem Titel des Nachrichtenmagazins ist ein in Flammen stehendes Haus zu sehen. Die Titelzeile lautet: „Dunkles Deutschland“. Die Brandruine des abgebildeten Gebäudes an der Welzheimer Straße in Weissach im Tal, in das 20 Flüchtlinge hätten einziehen sollen, liegt nur wenige Meter neben dem Discount-Markt. In der Nacht auf den 24. August ist das geschehen, was den Herrn im Discounter eine Woche später „nicht wundert“. Das Haus ist abgefackelt worden, die Ermittlungen laufen.

„Mein erster Gedanke war: Hoffentlich kein Brandanschlag“, sagt Marion Aumüller von Arbeitskreis Integration in Weissach. Die resolute Schwäbin hat am 1. Juli mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern in einem ehemaligen Schlecker-Markt das Bazärle eröffnet, einen „Markt für Gebrauchtes, Kreatives und Integration“. Hier arbeiten Weissacher und Flüchtlinge zusammen. „Wir sind keine Kleiderkammer für Flüchtlinge – jeder kann hier kaufen“, sagt sie.

„Weissach ist nicht dunkler als andere Gemeinden“

Der Brandanschlag hat Marion Aumüller „total schockiert“. Willkommen in Dunkeldeutschland? „Ach was. Weissach ist auch nicht dunkler als andere Gemeinden“, sagt Aumüller.

Die 7000-Seelen-Gemeinde am Rand des Schwäbischen Waldes, rund 30 Kilometer nordöstlich von Stuttgart gelegen, wirbt im Internet für sich. Weissach sei trotz des Wachstums in den vergangenen Jahren ein liebenswertes Gemeinwesen geblieben, in dem es sich zu leben lohne. Besucher könnten sich an malerischen Fachwerkhäusern, an idyllischen Plätzen, malerischen Brunnen und klaren Bächen erfreuen. Und der Brandanschlag?

„Wir sind kein braunes Dorf. Weissach tickt anders“, sagt Ian Schölzel. Der dynamische 39-Jährige ist seit 2007 parteiloser Bürgermeister. Auf seinem Schreibtisch liegt der „Spiegel“ mit dem brennenden Haus an der Welzheimer Straße auf dem Cover. Das Foto, bundesweit verbreitet, sagt mehr als 1000 Worte. Schölzel weiß das. Er wehrt sich: „Das haben wir nicht verdient.“ Es tue ihm weh, seine Gemeinde so an den Pranger gestellt zu sehen. Weissach sei kunterbunt, hier sei unheimlich viel los. Und man habe den Arbeitskreis Integration schon sehr früh gegründet. „Früher als viele andere“, sagt Schölzel, der sich laut Marion Aumüller auch unheimlich für das Bazärle, schwäbisch für kleinen Bazar, eingesetzt hat.

Bürgermeister will Neubau auf dem Gelände der Brandruine

Derzeit leben 37 Flüchtlinge in sogenannter Anschlussunterbringung in Weissach. Das heißt, diese Menschen haben eine Sammelunterkunft durchlaufen und sind Weissach zugeteilt worden. Für nächstes Jahr rechnet Schölzel mit weiteren 20 Personen, die in dem abgefackelten Haus hätten unterkommen sollen. Der Bürgermeister will just auf dem Gelände der Brandruine einen Neubau hinstellen lassen. „Ich gehe davon aus, dass der Gemeinderat mitzieht“, so Schölzel. Man müsse ein starkes Zeichen setzen. Weissach werde sich seiner Verantwortung den Flüchtlingen gegenüber stellen, man dürfe nicht mutlos werden, sagt der junge Schultes.

Schölzel muss Überzeugungsarbeit leisten – vor allem, seit der Landkreis Rems-Murr fordert, in Weissach eine Sammelunterkunft mit 160 Flüchtlingen einzurichten. Die alte Druckerei an der Stuttgarter Straße sei dazu geeignet, so das Landratsamt. Seither schlagen die Wellen hoch.

Der Rems-Murr-Kreis muss 4,2 Prozent der dem Land Baden-Württemberg zugewiesenen Asylbewerber aufnehmen. Für dieses Jahr fehlen dem Landkreis noch mehr als 900 Plätze. Allein im August müssen 473 Menschen untergebracht werden.

„Eine Sammelunterkunft mit 160 Plätzen ist zuviel“, sagt Bürgermeister Schölzel. Damit würde Weissach im Tal mit 7000 Einwohnern mehr als 200 Flüchtlinge beherbergen. Manche Große Kreisstadt habe weniger Flüchtlinge zu versorgen, so Schölzel.

Ein Bürger befürchtete einen Brandanschlag

Am 10. August hatte er zu einer Informationsveranstaltung in die Gemeindehalle geladen. Rund 230 Bürger waren gekommen. Schnell zeigte sich, dass die Sammelunterkunft mehrheitlich abgelehnt wird. „Hoch emotional“, sei die Veranstaltung gewesen, sagt Schölzel. Ein Weissacher Bürger, der nicht zu den erbitterten Gegnern der neuen Unterkunft zählt, äußerte damals die Befürchtung, das Gebäude könnte brennen, noch ehe es bezugsfertig sei. Knapp zwei Wochen später brannte es. Allerdings nicht am Ortseingang, wo die Sammelunterkunft hergerichtet werden soll, sondern an der Welzheimer Straße. Dort brannte das Haus bis auf die Grundmauern nieder, auf das vor zehn Jahren schon einmal ein Brandanschlag verübt worden war. Damals hatte ein 17 Jahre alter Neonazi einen Molotowcocktails gegen das von elf Menschen bewohnte Gebäude geschleudert. Der Anschlag verlief glimpflich, niemand wurde verletzt. Das Landgericht verurteilte den Täter.

Inzwischen hat Ian Schölzel erreicht, dass statt 160 nur noch 80 Flüchtlinge in der alten Druckerei untergebracht werden sollen. Doch auch das ist zahlreichen Bürgern zu viel. Am Mittwoch haben die Gegner der Sammelunterkunft im Dorftreff des Weissacher Teilorts Cottenweiler die „Bürgerinitiative für die sozialverträgliche Unterbringung von Flüchtlingen“ gegründet. Die Sammelunterkunft soll verhindert werden. Dafür suche man „demokratisch gesinnte Mitstreiter“.

Beim Bäcker hat man davon gehört. „Ich verstehe die Leute. Was zuviel ist, ist zuviel“, sagt eine junge Frau. Mehr ist ihr nicht zu entlocken. Dabei können auch zwei Flüchtlinge schon zuviel sein. Ein Wohnhaus mit mehreren Parteien in einem Weissacher Teilort: In eine der Wohnungen zieht ein Pakistaner mit seinem Sohn ein. Eigentlich das Idealbild der in Weissach praktizierten dezentralen Unterbringung, um die Integration zu erleichtern. Ein anderer Bewohner fordert daraufhin eine Mietminderung. Schließlich wohne er jetzt ja im Asylantenheim.

Ehrenamtliche lassen sich nicht entmutigen

Dunkeldeutschland? „Sicher nicht“, sagt Bürgermeister Schölzel. In acht Jahren Amtszeit habe er Weissach nie als „gestrig“ wahrgenommen. Im Gegenteil: Aus der Bürgerschaft sei eine Welle der Hilfsbereitschaft gekommen. Nach dem Brandanschlag haben er, Landrat Richard Sigel und zahlreiche Bürger eine Mahnwache vor der Ruine abgehalten. „Ein Zeichen gegen Rassismus, Ausgrenzung und Intoleranz“, so Schölzel. Er lasse sich nicht ins Bockshorn jagen. Nicht lamentieren, sondern agieren müsse man.

Marion Aumüller ist vom gleichen Schlag. Im Arbeitskreis Integration schafft sie mit rund 50 weiteren Helfer ehrenamtlich. Sie gehen mit Flüchtlingen einkaufen, suchen gemeinsam Arbeit, gehen mit zum Arzt, helfen bei Formalitäten und allerlei Alltagsproblemen. Und sie organisieren das Bazärle an der Friedensstraße in Unterweissach – zusammen mit Flüchtlingen. „Ich habe schließlich Erfahrung, ich kenne mich gut aus mit Fremden und Flüchtlingen. Ich bin ich mit einem Badener verheiratet“, sagt die Schwäbin Marion Aumüller.