Bosch setzt verstärkt auf neue Technologien: Beim Automated Valet Parking fahren Autos per Smartphone-Befehl fahrerlos in den zugewiesenen Stellplatz. Foto: Bosch

Bosch ist der weltgrößte Zulieferer. In jedem Auto stecken Teile der Stuttgarter im Wert von 700 bis 800 Euro. Aber bei dem Konzern geht es derzeit nicht nur um die Produktpalette.

Stuttgart - Es sollte sich nicht wiederholen. Wie ernst Volkmar Denner es meinte, konnten die Mitarbeiter schwarz auf weiß lesen: „Lieber verzichten wir auf Geschäft, als dass wir gegen Recht und Gesetz verstoßen“. Nicht nur der Bosch-Chef hatte den Brief an die Belegschaft unterschrieben, sondern auch Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach und Arbeitsdirektor Christoph Kübel. Mehr als drei Jahre sind seitdem vergangen. Grund für den Brief damals waren Ermittlungen der EU-Kommission. „Wir vermuten Kartelle in fast allen Teilen, die man für das Auto braucht“, sagte der damalige EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Alumina in einem Interview. Auch etliche deutsche Zulieferer gehörten zu den schwarzen Schafen. Einige Verfahren – etwa im Bereich Abgasanlagen (Eberspächer) oder Klimaanlagen (Behr) – sind inzwischen abgeschlossen. Was Bosch angehen könnte, laufen die Ermittlungen noch. Aber weder in der EU-Kommission noch bei Bosch will man sich dazu äußern. Als Denner seine Mitarbeiter damals per Brief für das Thema sensibilisieren wollte, hat er wohl nicht mal geahnt, was noch alles auf die Branche zukommen sollte. Der VW-Abgasskandal in den USA war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.

Im Auto steckt viel Bosch

Unter den weltgrößten Autozulieferern ist Bosch die Nummer eins, seit Jahren schon. Mit beinahe 230 000 Beschäftigten setzen die Stuttgarter knapp 44 Milliarden Euro allein rund ums Auto um, das entspricht 60 Prozent des Konzernumsatzes. Das Produktangebot ist gigantisch und füllt zwei Seiten im jüngsten Geschäftsbericht – vom Scheibenwischer über die Motorsteuerung bis hin zu Fahrerassistenzsystemen und Komponenten für Elektroautos ist alles zu haben. Welche Bedeutung Bosch in der Branche hat, zeigt ein rein hypothetisches Beispiel: Wollte man einen Mittelklassewagen im Wert von etwa 25 000 Euro bauen und wenn immer möglich mit Bosch-Komponenten ausstatten, dann könnte der Stuttgarter Zulieferer Teile im Wert von 5000 bis 10 000 Euro beisteuern, schätzt Stefan Bratzel, Leiter Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Das entspräche im Minimum einem Anteil von 20 Prozent. Tatsächlich wird es ein solches Fahrzeug wohl nie geben, denn Autobauer scheuen eine größere Abhängigkeit von einem Zulieferer. Im Schnitt stecken in jedem Neuwagen geschätzt Komponenten im Wert von 700 bis 800 Euro von den Stuttgartern. Hersteller und Zulieferer werden schweigsam, wenn es darum geht, wer welche Teile liefert.

Der US-Abgasskandal holt Bosch ein

Im VW-Abgasskandal in den USA stand neben den Wolfsburgern auch Bosch im Rampenlicht. Denn alle Motorsteuerungen für die VW-Diesel, deren Manipulation die Wolfsburger eingeräumt hatten, kamen von den Stuttgartern. Auf 300 Millionen Euro Schadenersatz hat der Zulieferer sich im Februar mit den Sammelklägern geeinigt; die Gelder werden derzeit ausgezahlt – Bosch hat jedoch stets betont, damit keine Schuld anzuerkennen. Geeinigt habe man sich vielmehr, um langjährige Klagen zu vermeiden, hieß es als Begründung.

Der Dieselskandal, der 2015 in den USA begann, schlägt seit Wochen auch wieder in Deutschland hohe Wellen. Die hiesigen Autobauer stehen wegen der Emissionen der Selbstzünder am Pranger. Beim jüngsten Dieselgipfel haben die Hersteller lediglich ein Software-update für die Schadstoffklassen Euro 5 und 6 zugesagt – und eine Prämie für die Verschrottung älterer Dieselfahrzeuge. Bosch-Chef Denner saß bei dem Krisentreffen gar nicht am Tisch, obwohl es dabei auch um die Software des Zulieferers ging. Anders als im VW-Skandal in den USA sind die Stuttgarter hier nicht alleiniger Lieferant. Auch Conti und der US-Konzern Delphi sollen Motorsteuerungen geliefert haben. Wer dabei welche Anteile hatte, ist unklar.

Nicht nur in den USA, auch hierzulande rollt eine Klagewelle. Rund 32 000 betroffene Halter von VW-, Seat- und Skoda-Modellen haben sich bei dem Rechtsdienstleister Myright, hinter dem der US-Staranwalt Michael Hausfeld steht, registrieren lassen. Im September soll eine Art Sammelklage gegen VW beim Landgericht Braunschweig eingereicht werden, kündigt Christopher Rother, Partner bei dem deutschen Ableger der Kanzlei Hausfeld mit Sitz in Berlin an. Einzelne Klagen gegen den Autoriesen hat Myright bereits eingereicht – in Braunschweig, Berlin und München. Weitere sollen folgen, auch in Stuttgart, wo nach dem Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts Fahrverbote älterer Diesel möglich seien. Und die Zulieferer? „Wir konzentrieren uns auf VW“, so Rother. Derzeit gehe es weder um Bosch noch um Conti.

Aber die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt im Zusammenhang mit der Diesel-Affäre mittlerweile gegen drei konkrete Bosch-Beschäftigte. Gegen sie, die allesamt nicht dem höheren Management angehören, wurde ein Verfahren wegen des Anfangsverdachts der Beihilfe zum Betrug eingeleitet. Es geht dabei wohl um mögliche Manipulation bei der Abgasnachbehandlung an VW-Fahrzeugen. Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, ist noch offen.

1,1 Milliarden Euro Rückstellungen

Dass die Stuttgarter keinen Grund zum Aufatmen haben, darauf deutet allein schon die stattliche Summe von 1,1 Milliarden Euro, die Bosch für rechtliche Risiken zurückgestellt hat. Bosch-Finanzchef Stefan Asenkerschbaumer hat diese Zahl bei der Vorlage der Bilanz im Frühjahr genannt. Risiken gibt es etliche, es sind nicht nur die erwähnten EU-Ermittlungen gegen Zulieferer. Inzwischen ist Brüssel auch wegen angeblicher Absprachen beim Stahlhandel aktiv geworden; auch hier ist der Name Bosch gefallen. Und vor kurzem hat der „Spiegel“ über einen weiteren EU-Kartellverdacht berichtet. Nicht nur die großen Autobauer sollen darin verwickelt sein – sondern auch Bosch. Dabei soll es um Absprachen etwa beim Einkauf gehen. Konkretes gibt es nicht, Bestätigungen auch nicht. Dennoch haben US-Anwälte in den USA offensichtlich Ansprüche angemeldet.

Vielfältige Compliance-Maßnahmen

Der Technologiekonzern, der stets auf sein Image bedacht ist, hat reagiert. So hat Bosch schon vor Jahren begonnen, regelkonformes Verhalten zu schulen. Eine Zentralanweisung Kartellrecht wurde damals entwickelt. Sie soll Mitarbeitern in heiklen Fällen Hinweise geben, wo die rote Linie verläuft. Nach Bekanntwerden des VW-Skandals hat Bosch zudem einen Produktentwicklungskodex erarbeitet. Darin seien die Leitlinien für die Entwicklung von Produkten formuliert und präzisiert worden, sagte Denner kürzlich in einem Interview. Gut 60 000 Entwicklungsmitarbeiter würden geschult. Künftig soll ein Jurist gleich mit am Tisch sitzen, wenn Projektentwickler über juristisch heikle Themen – wie Patente – reden. Fachanwälte sollen eingestellt werden, ist zu hören. „Bosch baut – wie auch Unternehmen anderer Branchen – seit einiger Zeit in den Bereichen Recht und Compliance Know-how und Personal auf. Die Geschäftsmodelle unseres Unternehmens verändern sich aufgrund von beispielsweise Digitalisierung, Vernetzung, Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz. Zu diesen Themen suchen wir laufend entsprechende Know-how-Träger – auch für die Bereiche Recht und Compliance,“ heißt es bei Bosch. Wie viele Juristen gesucht werden, bleibt noch unklar. Seit 2015, als etwa 35 Juristen im Bereich Compliance beschäftigt wurden, soll die Zahl massiv gestiegen sein; im dreistelligen Bereich scheint sie aber noch nicht zu liegen. Und wer trotzdem noch Zweifel hat: Intern gibt es bei Bosch eine Telefonnummer, die ständig besetzt sei und juristische Hilfe verspricht.