Sie wollen anderen jungen Menschen mit Migrationshintergrund Mut machen: Bilge Ercan, Mirkan Taniz und Ali Erdi Atlikan(von links) Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Bilge, Ali und Mirkan haben es geschafft. Sie machen gerade ihr Abitur oder studieren. Leicht hat man das ihnen, den Einwandererkindern, nicht gemacht, finden sie.

stuttgart - Wenn Bilge Ercan sich jemandem vorstellt, spricht sie ihren Nachnamen absichtlich falsch aus. Sie sagt „Erkan“, dabei müsste es „Erdschan“ heißen, aber wer weiß das schon. „Die Leute schreiben mich sonst mit „dsch“, sagt die 19-Jährige Jurastudentin aus Nürtingen.

Sie sitzt in den Räumen der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg im Stuttgarter Westen. Mit ihr am Tisch sitzen zwei junge Männer: Ali Erdi Atlihan und Mirkan Temiz. Die drei haben in den letzten Wochen viel Zeit in diesen Räumen verbracht. Sie gehören zum Organisationsteam des Jugendkongresses „Mygrantulations“ – der Titel ist ein Kunstwort aus den englischen Begriffen für Migranten und Gratulation. Er soll zum Ausdruck bringen, dass ein Migrationshintergrund etwas Positives ist, etwas zu dem man sich gratulieren kann.

Über 200 junge Menschen aus ganz Deutschland kommen heute zusammen, um untereinander und mit Politikern zu diskutieren. Es geht darum, wie sie sich als Kinder von Einwanderern in Deutschland fühlen. Dabei sind zum Beispiel Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen und Ute Vogt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Veranstalter ist die Jugendorganisation der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Young Voice.

„Habe ich mit Vorurteilen zu kämpfen?“, „Wie kann ich mich in die Gesellschaft einbringen?“ – Das sind Fragen, die auf dem Kongress diskutiert werden. Die erste Frage können Bilge und die beiden jungen Männer mit einem Ja beantworten.

„Wenn du dunkle Haare und dunkle Augen hast, wirst du anders behandelt“, sagt Mirkan Taniz. Der 21-jährige wurde in Ostfildern geboren und außer seinen Haaren und Augen, findet er, ist nicht viel türkisch an ihm. „Mein türkischer Hintergrund ist eine Nebensache“, sagt Taniz. Oft hat er aber das Gefühl, dass er zu Hauptsache wird, wenn andere ihn darauf ansprechen.

Auch Bilge Ercan hat dieses Gefühl. Als Kind freute sie sich, wenn jemand zu ihr sagte: „Du sprichst aber gut Deutsch.“ Inzwischen empfindet sie es als Beleidigung. „Ich weiß, dass es die meisten nicht böse meinen, aber ich bin hier geboren, es ist doch selbstverständlich, dass ich gut Deutsch spreche.“

Ali Erdi Atlikan ist froh, dass man ihm die türkische Abstammung nicht ansieht. Auch er kann nicht begreifen, warum es ein Kompliment sein soll, wenn ihn jemand dafür lobt, seine Muttersprache zu beherrschen. Es ist eben eine von zwei Muttersprachen. Und er sagt: „Die Leute, die kein gutes Deutsch sprechen, können auch kein gutes Türkisch“.

Atlikan hat in seinem Heimatort im Schwarzwald oft unter dem Migrationshintergrund gelitten. „Ich hatte deswegen in der Schule keine Freunde“, sagt er. „Das waren höchstens Zweckbündnisse mit den anderen Außenseitern.“ Seine Grundschullehrerin traute ihm nicht zu, auf die Realschule zu gehen, dabei war sein Notenschnitt gut genug. „Sie dachte, ich würde Probleme mit den Textaufgaben in Mathe bekommen.“ – Eine Fehleinschätzung, wie Atlikan heute weiß. Er arbeitete sich von der Hauptschule hinauf bis zum Abitur. Heute studiert er Erneuerbare Energien an der Universität Stuttgart. Bei Mirkan Taniz war es genau so. Seine Eltern trauten sich nicht, dem Urteil der Lehrerin zu widersprechen. „In der Türkei genießen Lehrer einen sehr großen Respekt“, sagt er.

Nur die Eltern von Bilge Ercan wollten nicht einsehen, warum ihre Tochter nicht aufs Gymnasium gehen darf, obwohl sie die Noten dafür hatte – und setzten sich durch.

Im Gymnasium war sie dann die einzige Schülerin mit Migrationshintergrund. Und lernte, dass es auch dort Diskriminierung geben kann: „Ich hatte einen Lehrer, der meinte ich sei verantwortlich für alles was in der Türkei schief läuft“, sagt sie. Warum es eigentlich keine Pressefreiheit in der Türkei gäbe und ähnliche Fragen, musste sich die junge Frau anhören. Noch heute schüttelt sie energisch den Kopf, wenn sie darüber spricht. „Was für ein Unsinn, einer Jugendlichen solche Fragen zu stellen.“

Bilge Ercans Fazit aus dieser Erfahrung: „Du kannst dich anstrengen wie du willst, für die meisten bleibst du in erster Linie der Türke und das Schlimme ist, dass du dich sogar daran gewöhnst.“ .

Was helfen könnte? „Menschen mit Migrationshintergrund müssten stärker auf wichtigen Positionen vertreten sein“, sagt die junge Frau. Dann würde es vielleicht irgendwann als normal gelten, Deutscher zu sein, obwohl man anders aussieht und einen Namen hat, den man nicht auf den ersten Blick richtig aussprechen kann.

Von dem Mygrantulations-Kongress erhoffen sich die drei vor allem, dass sie anderen Mut machen können. „Es hilft, sich auszutauschen, zu sehen dass es Leute gibt, die es trotz der Widerstände geschafft haben, ihren Weg zu gehen“, sagt Ercan.