Der 25-jährige Syrer soll ein islamistischer Terrorhelfer sein. Foto: dpa

Seit Donnerstag steht in Deutschland laut Aussage der Bundesanwaltschaft zum ersten Mal ein Flüchtling wegen Kriegsverbrechen in Syrien vor Gericht. Dem 25 Jahre alten Mann wird vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart vorgeworfen, er habe als Mitglied der islamistischen Terrormiliz Dschabhat al-Nusra an der Entführung eines Mitarbeiters der Vereinten Nationen mitgewirkt.

Stuttgart - Der junge Mann hatte seit März 2015 in Kernen-Stetten im Rems-Murr-Kreis als anerkannter Asylbewerber gelebt. Hinweise von Nachrichtendiensten hatten die Fahnder auf die Spur des Syrers gebracht. Am 17. Januar dieses Jahres nahm ein mobiles Einsatzkommando der Polizei den Mann, der in Syrien den Kampfnamen Abu Adam getragen haben soll, in Backnang fest.

Der Prozess findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen im OLG-Prozessgebäude in Stuttgart-Stammheim statt. Gegen 9.15 Uhr wird der Angeklagte in Handschließen vorgeführt. Unter seinem rechten Auge ist ein großes, weißes Pflaster zu sehen. Tags zuvor war er beim Hofgang im Stammheimer Gefängnis von einem Mithäftling attackiert und verletzt worden. Das sei die Folge der Berichterstattung vor dem Prozess, kritisiert die Verteidigung. Deshalb müsse die Hauptverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Der 5. Strafsenat lehnt diesen Antrag ab. „Ich habe der Anstaltsleitung gegenüber deutlich gemacht, dass alles zu tun ist, um die Sicherheit des Angeklagten zu gewährleisten“, so Vorsitzender Richter Herbert Anderer.

Auf dem Weg zum Arzt entführt

Am 17. Februar 2013 stoppen Mitglieder der al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger von al-Kaida, nahe Damaskus ein UN-Fahrzeug und nehmen den kanadischen UN-Mitarbeiter Carl Campeau gefangen. Der heute 52-jährige Campeau arbeitet als Rechtsberater für die Mission der Vereinten Nationen auf den Golanhöhen. Campeau ist auf dem Weg zum Arzt. Der UN-Mitarbeiter muss seinen Ausweis und seine Wertgegenstände abgeben und wird von der Terrorgruppe in eine verlassene Luxusvilla nahe Damaskus verschleppt. Dort sperren ihn seine Entführer in ein Kinderzimmer. Von den Vereinten Nationen, vom kanadischen Staat und von der Familie Campeaus fordern die Terroristen ein Lösegeld in Höhe von sieben Millionen US-Dollar. Die UN und Kanada lehnen ab. Die Familie kann lediglich 25 000 Dollar aufbringen. Das ist den Islamisten zu wenig. Auch ihr Plan, Gesinnungsgenossen aus dem berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib im Irak mit Campeau als Druckmittel freizupressen, scheitert.

Der 25-jährige Angeklagte soll die Geisel zwischen März und Juni 2013 bewacht haben. Während seiner Gefangenschaft soll Campeau gezwungen worden sein, zum Islam zu konvertieren. Am 16. Oktober 2013, acht Monate nach seiner Entführung, gelingt dem Kanadier die Flucht. Seine Peiniger hatten vergessen, das Zimmer, in dem er gefangen gehalten wurde, abzuschließen. Zu dieser Zeit ist der Angeklagte schon nicht mehr in Syrien.

Keine Hinweise über geplante Anschläge

Von Libyen aus soll der Syrer mit einem Boot nach Italien gereist sein. Später kommt er als Flüchtling mit dem Zug nach Deutschland – zuerst in eine Unterkunft nach Kaiserslautern, im März 2015 dann in den Rems-Murr-Kreis. Dort lernt er Deutsch und fällt nicht weiter auf. Ob der mutmaßliche Islamist letztlich selbst vor seinen terroristischen Gesinnungsgenossen, die in Syrien einen Gottesstaat errichten wollen, geflohen ist, bleibt vorerst unklar. Hinweise auf von ihm geplante Anschläge gibt es offenbar nicht. Der 25-Jährige macht keinerlei Angaben – weder bei den Ermittlern noch vor Gericht.

Den Behörden gegenüber hat Carl Campeau den Angeklagten als einen seiner Bewacher identifiziert. Der Kanadier, der in dem Prozess als Nebenkläger auftritt, soll Anfang des kommenden Jahres als Zeuge gehört werden. Allerdings stützt sich die Bundesanwaltschaft nicht nur auf die Aussage Campeaus. Unter anderem haben die Ermittler den Chatverkehr des 25-Jährigen durchforstet. Auf Facebook soll er geschrieben haben, er wolle „im Dschihad sterben“, um sich von seinen Sünden reinzuwaschen.

Prozesstermine bis Herbst 2017

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Mann ein Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen, erpresserischen Menschenraub, schwere Freiheitsberaubung, versuchte räuberische Erpressung sowie die Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation vor. Der 5. Strafsenat rechnet offenbar nicht damit, dass sich der junge Syrer im Laufe des Prozesses äußert. Der Vorsitzende Richter hat bereits Termine bis zum Herbst 2017 festgelegt.