Edeljoker in der Stiftskirche: die Sopranistin Carolyn Sampson Foto: Marco Borggreve

Am Mittwoch hat beim Musikfest Stuttgart das Freiburger Barockorchester seine „Sichten auf Bach“ vorgeführt, und der Sounddesigner Tomek Kolczynski hat Stücke aus Bachs Violinsonaten zu Lounge-Musik gemacht.

Stuttgart – - „Sichten auf Bach“ (II)

Wohl dem, der am Abend zuvor Heinrich Schütz gehört hatte! Das Konzert des Dresdner Kammerchors unter Hans-Christoph Rademann war (unter anderem) eine Schule des Hörens, und so waren am Mittwochmittag die Ohren offen für die Feinheiten der zweiten „Sichten auf Bach“ mit Musikern des Freiburger Barock Consorts. In der Stiftskirche, die leider wieder einmal viel zu hallig war für die subtil abgetönten Zwischentöne vor allem der darmbesaiteten Streicher, standen drei Kantaten aus Bachs Weimarer Zeit auf dem Programm, in denen es um Sünde, Reue, Buße, Gnade und Erlösung geht. Und um den Gegensatz zwischen Leib und Seele, Welt und Himmel, den die Kantate „Tritt auf die Glaubensbahn“ auch mithilfe starker Farbkontraste vorführt: Hier dunkle Klangfarben mit einer sprechend eingesetzten Viola d’amore (Gottfried von der Goltz) und dem Bass André Morsch, dort ein Sopran in lichten Höhen.

Bejubelter Edeljoker

Wahrscheinlich hat, wer die ebenso ausdrucks- wie höhenstarke und ungemein klar gestaltende Carolyn Sampson als Einspringerin verpflichten kann, ohnehin schon gewonnen. Auch die Solokantate „Mein Herze schwimmt im Blut“ zehrte von der Ausstrahlung, der präzisen Aussprache und Tonformung der Sopranistin, die sich mithilfe der obligaten Oboe (Susanne Regel) wirkungsvoll vom zerknirschten Eingeständnis einer „verhassten Lasternacht“ ins helle Licht von versöhnter Gottseligkeit hinüber singt. Wie die Streicher, angeleitet von Petra Müllejans, das Bild des im Blut schwimmenden Herzens in lange Linien fassen, wie zum „tief gebückt und voller Reue“ die Klangfarben eindunkeln und wie sie die Begleitfiguren bei der Bitte um Geduld entschleunigen: Das ist höchste Interpreten-Kunst. Und bei der Kantate „Widerstehe doch der Sünde“ machten sich die Instrumentalisten an der Seite von Altus Maarten Engeltjes als musizierende Stellvertreter des Bösen mithilfe einer Fuge auf leisen Füßchen aus dem Staub. Gott sei Dank!

Bach im Club

Um Bach grooven zu hören, braucht man weder Sounddesign noch Live-Elektronik. Beim zweiten „Bach.Lab“ im Club Schocken sitzt Tomek Kolczynski dennoch am Laptop, und man kann mögen, wie er Sätze und Satzteile aus Bachs Violinsonaten aus weißem Rauschen entstehen lässt, wie er die Schlussklänge von live Gespieltem elektronisch verfremdet, Phrasen in Wiederholungsschleifen treibt und dem gewonnenen Material mal geläufige, mal gegenläufige Beats unterlegt. Dem kann man mit Genuss ein wenig zuhören, dabei ein wenig mit anderen quatschen oder an der Theke ein wenig mehr Bier trinken. Von Bach erfährt man dabei aber nur, was an diesem Abend gerade nicht zu hören ist: dass seine Musik nämlich komponiert, also sinnvoll zusammengesetzt ist. Bruchstücke bleiben beliebig, und so spielt neben Tamar Halperin am Klavier auch der Geiger Etienne Abelin. Experiment geglückt, Patient tot.