Musikfest zu Gast in Fellbach – Risto Joos dirigiert Foto: Holger Schneider

Am Sonntagabend ist das Musikfest Stuttgart mit Trauermusiken von Henry Purcell zu Ende gegangen. Vorher haben sich noch das SWR-Vokalensemble und das Stuttgarter Kammerorchester eingebracht, und aus München kam ein Geburtstagsgruß für Richard Strauss.

Bychkovs Wärme

Lange Zeit präsentierte sich Semyon Bychkov (62), von Karajan einst als Nachfolger ins Auge gefasst, wie sein jüngst verstorbener Bruder Yakov Kreizberg als Feuerkopf unter den Dirigenten. Mit impulsiver Grundhaltung, dabei aber auch unaufgeregt größere Partien unter Spannung haltend, begegnete er zusammen mit den Münchner Philharmonikern „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss. Für die groß angelegte Tondichtung hat der gebürtige Leningrader ein gewiss weit besseres Händchen als für Bruckners Dritte, die noch der am 13. Juli 84-jährig verstorbene Lorin Maazel für das Musikfest ausgewählt hatte.

Das in Es-Dur, der Tonart von Beethovens „Eroica“ sich emporreckende Heldenthema, intonierte Bychkov wie vorgeschrieben „Lebhaft bewegt“. Der Grundton in sich ruhender Bonhomie, der in den meisten Themen von Strauss mitschwingt, wollte sich gleichwohl zunächst nicht recht einstellen, so sehr sich auch das einst 1893 unter dem Namen „Kaim-Orchester“ gegründete, von Strauss oftmals geleitete Traditionsensemble auch bemühte.

Mit sehr viel mehr Glück fahndete Bychkov nach naturalistischen Elementen. Den Auftritt von „Des Helden Widersacher(n)“, die - gewiss auch als boshafter Kritiker-Abkömmlinge von Wagners Mime aus dem „Siegfried“ sind, inszenierte er mit schriller, dissonanter Tongebung. Und im gefürchteten Violinsolo von “Des Helden Gefährtin“ traf Konzertmeister Sreten Kristic souverän sowohl die gefühlsseligen wie die kapriziösen Seiten der Strauss-Gattin Pauline.

Allenthalben zu hören war sonore Wärme, rhythmische Präsenz, andererseits Farbfinesse und eine dynamisch breit gestaffelte Durchhörbarkeit, als sei das kolossale Tutti potenzierte Kammermusik - wo, wenn nicht bei den Münchnern, wäre dann der Begriff „Klangkörper“ besser angebracht. In „Des Helden Friedenswerke“ tauchte dann sogleich ein Thema auf, das uns vom Beginn des Abends, aus der Tondichtung „Don Juan“ – mit ebenso viel Èlan vital gespielt – bestens vertraut war. Herrlich expressiv dann der resignative Schluss von „Des Helden Weltflucht und Vollendung“, bei dem alle Mitwirkenden an einem Strang zogen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Solohornist Jörg Brückner, vor der Pause geschmeidiger Solist im melodieselig sich verströmenden späten Hornkonzert Nr. 2 (1942) von Strauss, bereits längst wieder unter seine Bläserkollegen gesetzt und konnte zum zweiten Mal Sonderapplaus für seine Soli entgegennehmen. Zudem gab es zahlreiche Bravorufe im nicht vollbesetzten Beethovensaal in Anwesenheit von Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn. (fie)

Glücksgriff Joos

Da fühle man sich, „als schwebe man zwischen Traum und Wirklichkeit“, sagte eine Dame zu ihrem Gatten in der Pause des Musikfest-Porträtkonzert des estnischen, heute in Berlin lebenden Komponisten Arvo Pärt. In der Tat ist es wohl der meditativ-spirituelle Charakter dieser in ihrem Wesen kreisenden, ruhigen, statischen Musik, der Pärt so populär macht und einen mit der Zeit in eine Art Trance versetzt, bei der man weder Langeweile noch besondere Ergriffenheit verspürt. Musik, die nicht auf Komplexität baut, sondern klar, streng, fasslich strukturiert ist. Das gefällt den Menschen.

So waren auch in der räumlich und akustisch attraktiven Alten Kelter Fellbach die Stuhlreihen vollbesetzt, als Stuttgarter Kammerorchester (SKO) und das SWR-Vokalensemble sich fünf Instrumental- und Chorwerken Pärts widmeten. Dass man als Dirigenten den jungen Esten Risto Joos eingeladen hatte, war ein Glücksgriff. Zwar startete das SKO intonatorisch noch recht unsicher mit „Orient & Occident“ für Streichorchester, und Joos gelang es noch nicht, die nötige Ruhe in die Musik zu bringen. Aber zusammen mit dem Vokalensemble (VE) begann in „Adam’s Lament“ das Wesen dieser Musik zu wirken. Das gelang auch der jungen Geigerin Alexandra Conunova vorzüglich, die für das Instrumentalstück „Fratres“ offenbar so kurzfristig engagiert worden war, dass sie im Programmheft keine Erwähnung fand. Ihr eindringliches und einfühlsames Artikulieren des Immergleichen lud sich so mit Energie auf, das die plötzliche Stille, in die das Stück mündet, einer elementaren Erschütterung gleichkam.

Pärts Musik grundiert eine statische Dreiklangsharmonik, über der sich Vokal- und Instrumentenstimmen entfalten, um das ewigkeitsverkündende klangliche Gerüst kontemplativ als Boten der Vergänglichkeit zu umkreisen. Dank seines hohen Potentials an Klangfarben, seiner intonatorischen Reinheit und metrischen Sicherheit fiel es dem VE leicht, den kreisenden, auf Wiederholungen aufbauenden Charakter lebendig in den nötigen Spannungsbogen zu überführen, den Joos einforderte.

Im Gesamtklang des VE, das es besonders in der irisierenden Wirkung feinster Stimmauffächerung zur Weltmeisterschaft bringt, fand man an diesem Abend nicht nur im Magnificat oder Te deum ungewohnte Farben: eine dunkle, vibrierende Erdung, die Risto Joos wohl aus Estland mitgebracht hat: das baltische Chorideal, für das auch „schwarze“ Bässe von warmer Tiefe typisch sind. Schön! (vgr)