Thomas Hermanns verkauft sich für eine Nacht: Mit Crowdfunding will er sein Musical auf die Bühne bringen Foto: Christian Hass

Die neuen Besitzer der Stage-Entertainment steuern einen Sparkurs, der in der Musicalbranche für Unruhe sorgt. Hat deshalb der Stoffentwickler Michael Hildebrandt gekündigt? Der Personalwechsel ist groß. Wir geben einen Überblick, was sich alles ändert.

Stuttgart - Seit der Holländer Joop van den Ende im vergangenen Sommer 60 Prozent seiner Stage-Entertainment an die Luxemburger Finanzinvestoren von CVC verkauft hat, vermissen etliche Branchenkenner bei den deutschen Musicalmachern Mut und frischen Wind. Thomas Hermanns, der in der Stuttgarter Sparda-Welt eine Filiale seines Quatsch-Comedy-Clubs betreibt, will nicht nur klagen, sondern auch selbst was tun. Um einen eigenen Stoff auf die Musicalbühne zu bringen, verkauft er sich gar selbst.

Wer 25 000 Euro springen lässt, darf eine Nacht mit ihm verbringen. Mit dem Spender (oder der Spenderin) will der 53-Jährige um die Häuser der Hauptstadt ziehen. Nicht irgendein Lotterbett, sondern die Notaufnahme könnte die letzte Station sein – „sofern wir müssen“, verkündet Hermanns.

Der Comedy-Urvater sammelt Geld für „Berlin Non Stop“ – so heißt das Musical, dass er via Crowdfunding finanzieren will. An den Marktführer Stage-Entertainment, so weiß er, braucht er sich gar nicht zu wenden. Seit van den Ende, der nette Onkel der Branche, den Platz auf dem Chefsessel geräumt hat, ist es für deutsche Stoffe noch schwerer als bisher, eine Bühne zu finden.

Lucy Scherer lässt sich zur Heilpraktikerin ausbilden

Der Primus der Branche, so scheint es, lässt nur noch nach Regeln der Renditeorientierung spielen – möglichst Erfolgsstoffe aus dem englischsprachigen Raum. Die Stunde der Stadttheater hat geschlagen, sofern sie experimentierfreudiger sind als die sich selbst finanzierende Stage-Entertainment, die 2015 ein dickes Minus von 19 Millionen Euro eingefahren hat. An der Konzernspitze fehlt nun ein musicalverrückter und wohlhabender Chef, der schon mal aus der eigenen Schatulle was reinbuttert, wenn ein Stück, das er liebt, nicht läuft.

Es dürfte kein Zufall sein, dass in der Hamburger Stage-Zentrale Strategiedirektor Michael Hildebrandt gekündigt hat. Der Mann, der einst in Stuttgart bei Musical-Ahnherr Rolf Deyhle den Ticketservice organisierte, hat die Eigenproduktionen „Rocky“, „Hinterm Horizont“ und „Wunder von Bern“ entwickelt. Als Sensation galt, dass er 2014 das in Deutschland uraufgeführte Boxer-Musical an den Broadway bringen konnte, in die Wiege des Entertainments. Doch nach fünf Monaten war alles vorbei. Die US-Bürger wollten keine amerikanischen Träume sehen, für die Deutsche die Strippenzieher sind.

„Rocky“ läuft auch im SI-Centrum nicht gerade blendend. Dies ist aber nicht der Grund, warum Lucy Scherer, die seit „Wicked“ und „Tanz der Vampire“ auf Hauptrollen in Stuttgart abonniert ist, ein halbes Jahr nach der Premiere als Rocky-Freundin geht. Ihr Vertrag war von Anfang an befristet, um im Mai Platz zu machen für Wietske van Tongeren, die in Hamburg die Adrian spielte und nach der Babypause wieder einsteigt. Lucy Scherer will sich in München zur Heilpraktikerin weiterbilden. In ihrer „Rocky“-Zeit war sie mit Rückenschmerzen zu einem Akupunkteur gekommen, der ihr helfen konnte. Jetzt will die Musicalsängerin selbst diese Kunst erlernen.

Ein zweites berufliches Standbein scheint wichtig, da keiner weiß, was die neuen Mehrheitseigner der Stage als Nächstes für Überraschungen planen. Der erste Paukenschlag war die Ankündigung, in Berlin das Theater am Potsdamer Platz mit dem letzten Vorhang des Lindenberg-Musicals „Hinterm Horizont“ im August komplett zu schließen. Nach Meinung der Musicalregenten gibt es momentan keinen Stoff, den man erfolgreich in diesem Theater spielen könnte. An Mut und Leidenschaft scheint es, wie man hier sieht, bei ihnen zu mangeln.

Alexander Klaws wird Tarzan in Oberhausen

Inzwischen haben sich die Hinweise verdichtet, dass es hinterm Horizont doch weitergeht – aber in Hamburg. Ins dortige Operettenhaus soll das Panik-Udo-Musical im Herbst ziehen und damit den „Phantom der Oper“-Nachfolger „Liebe stirbt nie“ ersetzen, der bereits im September nach nur einem Jahr Spielzeit abgesetzt wird. Dieses Musical von Andrew Lloyd Webber wiederum könnte nach Stuttgart kommen, wenn „Rocky“ weiter schwächelt.

Die Stage-Leute wollen das Boxer-Drama über Weihnachten 2016 hinaus im Apollo-Theater spielen, um zu verhindern, dass es im Herbst, wenn „Mary Poppins“ auf „Tarzan“ folgt, zwei Stuttgart-Premieren gibt. Der neue Tarzan in Oberhausen wird übrigens Alexander Klaws. Zuvor kehrt Andreas Lichtenberger am 1. Juni nach Stuttgart zurück, wo er noch mal drei Monate lang den Silberrücken Kerchak spielt.

Ob „Tarzan“ oder „Aladdin“ – die Disney-Musicals füllen gerade die Kassen der Stage-Entertainment in Deutschland. Doch so wichtig wie am Broadway die Off-Shows sind, die frischen Wind bringen, von denen auch große Stoffe profitieren, so nötig ist auch für die hiesigen Bühnen ein Kontrastprogramm. Lieber Thomas Hermanns, wir drücken deshalb die Daumen, dass Sie sich gut verkaufen – nicht nur für eine Nacht!