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Andrew Lloyd Webbers "Cats" löste vor 25 Jahren den Musicalboom in Deutschland aus.

Stuttgart/London - Vor 30 Jahren feierte das Musical "Cats" in London Weltpremiere. Vor 25 Jahren kam es nach Hamburg. Andrew Lloyd Webbers Katzenmusik stand am Anfang einer Musicalwelle, die in Deutschland bis heute anhält.

Einsam blickt Grizabella auf die Trümmer ihrer sieben Katzenleben. Der Mond taucht die Müllkippe in fahles Licht, Grizabellas Mantel gleicht einem räudigen Fell, und mit ihrer Ballade "Erinnerung" rührt sie Abend für Abend das Publikum zu Tränen: "Träume, die Erinnerung im Mondlicht / Lächelnd denk' ich an damals / Als ich jung war und schön / Ich glaub', damals hab' ich gewusst, was Glück wirklich ist / Warum musste es vergehn?"

Im Theaterzelt auf dem Heiligengeistfeld auf St. Pauli stellt sich das gleiche Gänsehautgefühl ein wie damals vor 25 Jahren, als "Cats" einen halben Kilometer südlich im extra für das Stück umgebauten Operettenhaus an der Reeperbahn seine Deutschlandpremiere feierte - und der Musicalboom in Deutschland seinen Anfang nahm.

Fünf Jahre zuvor, am 11. Mai 1981, hatte die Uraufführung des Musicals am Londoner West End stattgefunden. 21 Jahre lang sollten sich die Katzen dort häuslich einrichten. Auch in Hamburg brachte es "Cats" auf fast 15 Jahre - ehe das Musical im März 2001 nach Stuttgart ins Palladium Theater umzog. Dort hielten es die Katzen aber nur knapp anderthalb Jahre aus. Dann machten sie Platz für ein anderes Andrew-Lloyd-Webber-Spektakel: "Das Phantom der Oper".

"Cats" hat in 30 Jahren über 65 Millionen in 30 Ländern angelockt, wurde in 20 Sprachen übersetzt, gewann siebenmal den Theater-Oscar Tony, und das Lied "Erinnerung", das im Original "Memory" heißt, wurde von Barry Manilow und Barbra Streisand, von José Carreras und André Rieu interpretiert. Kein Musical hat die Theaterlandschaft so sehr verändert wie "Cats". Denn die Geschichten von Grizabella, Alt Deuteronimus, Mr. Mistoffelees oder Rumpleteazer machten Schluss mit dem Monopol der Musicalstandorte am New Yorker Broadway und an Londons West End. Mit "Cats" begann in Deutschland die Ära der Showpaläste, die zum Beispiel in Hamburg, Bochum, Köln, Stuttgart, Berlin, Oberhausen entstanden und eine neue Form des Städtetourismus ins Leben riefen. Nun ist "Cats" als große Tourproduktion nach Deutschland zurückgekehrt. Sie spielt penibel die Originalinszenierung aus London nach, erzählt die Katzengeschichten auf einer Rundebühne. Tourauftakt war in Hamburg, Ende Mai gastiert die Show dann in Mannheim.

Beim Wiedersehen auf dem Heiligengeistfeld auf St. Pauli erweist sich "Cats" noch immer als zauberhaftes Gesangs- und Tanzspektakel, das eigentlich mehr Revue als Musical ist, das lauter hübsche Episoden erzählt, einen dramatischen Spannungsbogen aber bestenfalls andeutet. Außer Grizabella, die ihrem glamourösen Leben nachtrauert, und Alt Deuteronimus, der altersweise Chef der Müllkippenkatzen, bleiben kaum einzelne Figuren in Erinnerung. "Cats" funktioniert am besten als atemlos inszeniertes Ensemblestück. Und als Stück, das lieber auf die Gesangs- und Tanzeinlagen als auf teure Bühneneffekte setzt.

Anders als "Miss Saigon", das im Dezember 1994 das Musicalzeitalter in Stuttgart mit viel Getöse eröffnete, einen Hubschrauber auf der Bühne des Apollo Theaters landen ließ und trotzdem längst in Vergessenheit geraten ist. Inzwischen haben in Stuttgart Vampire getanzt, Kaiserin Elisabeth durfte durch das Reich der Toten irren, die Schöne und das Biest haben sich zwischen singenden Teekannen und Möbelstücken zu lieben gelernt, hier haben seither Hexen und Musketiere gehaust, mal wurde zu Queen-Songs in die Zukunft geblickt, mal mit Abba-Songs in die Herzen.

Während heute Jukebox-Musicals wie "Mamma Mia", "We Will Rock You" oder aktuell "Ich war noch niemals in New York" im Trend liegen, Musicals also, die mehr oder weniger virtuos bereits bekannte Lieder zu einer Story verbinden, wagte sich Andrew Lloyd Webber bei "Cats" noch an eine weniger populäre Vorlage. Er vertonte Gedichte des Nobelpreisträgers T. S. Elliot ("Old Possum's Book Of Practical Cats"). Die Katzenshow wirkt damit selbst ein bisschen wie ein Relikt aus früheren Zeiten. Und Grizabellas Lied "Erinnerung" klingt inzwischen auch ein bisschen wie ein wehmütiger Rückblick auf frühere "Cats"-Zeiten, sehnt sich zu den Tagen zurück, als die Katzen noch die Alleinherrscher in der Musicalwelt waren.

Die "Cats"-Originalinszenierung in deutscher Sprache gastiert vom 27. Mai bis zum 12. Juni und vom 16. bis 24. Juli im Theaterzelt am Europaplatz in Mannheim.

www.cats.de