In der Kunstsammlung sind auch Grafiken von Thomas Nägele zu sehen – sein Vater Reinhold hatte die Sammlung angeregt. Foto: Gottfried Stoppel

Die städtische Kunstsammlung Murrhardt
hat seit zwei Monaten eine neue Kuratorin.

Murrhardt - Filigrane Linien ziehen sich durch tiefes Schwarz. Sie schillern silber- und kupferfarben, verästeln sich, bilden rätselhafte Figuren in leuchtendsten Farben. „Bei Glasmalerei denken viele ja, das sei nur Volksfrömmigkeit“, erklärt Gabriele Rösch. Doch dieses Werk, „14th of July Fireworks“ von Reinhold Nägele, ist anders. Rätselhaft, düster, psychedelisch. Es beweist die Vielseitigkeit des Künstlers, der auch Landschafts- und Stadtansichten sowie Porträts beherrschte.

Rösch ist nun die Herrin über viele seiner Werke. Die freie Kunsthistorikerin arbeitet seit zwei Monaten als Kuratorin der Murrhardter Kunstsammlung. Ihre Vorgängerin, die 75-jährige Heide von Berlepsch, hatte im Juni ihre letzte Ausstellung kuratiert. Rund 150 Bilder umfasst jede Schau – „eine sehr qualitätsvolle kleine Sammlung“, findet Gabriele Rösch. Jedes Jahr gibt es eine neue Sonderausstellung. Gerade arbeitet Rösch an einem neuen Konzept. Schon jetzt weiß sie: Ein Schwerpunkt der neuen Schau wird auf dem Werk von Reinhold Nägele liegen. Nicht nur, weil der in Murrhardt geborene Maler und Grafiker im Jahr 1969 die Sammlung angeregt hatte. Rösch ist von seinem Werk und Leben einfach fasziniert.

Künstlerischer Bruch nach Emigration

Die Murrhardter Sammlung gibt Einblicke in die Seele des Künstlers, der ein bewegtes – und bewegendes – Leben geführt hat. Manches, wie seine psychedelisch angehauchten Bilder, bleibt rätselhaft, anderes lässt sich deuten. Zum Beispiel der künstlerische Bruch, den die Emigration nach Amerika mit sich brachte: „Vor seiner Zeit in den USA hat er viele Selbstporträts gemacht – danach nicht mehr. Er hat überhaupt viel weniger Menschen gemalt“, sagt Rösch. Ein Beispiel ist das „Weihnachtliche Gebäude der United Nations“. Nägele malte es als Außenstehender. Kalt und nüchtern wirken die modernen Bauten, von weihnachtlicher Wärme fehlt jede Spur.

Nägele und seine Familie waren 1939 nach New York geflohen, weil seine Frau Alice eine Jüdin war. In Deutschland hatte er sich einen Namen als Künstler gemacht, seine Frau als Ärztin eine eigene Praxis gehabt. Doch in der neuen Welt war er Hilfsarbeiter in einer Siebdruckerei, seine Frau Krankenschwester. In den Nachkriegsjahren wurde die Kunst des von den Nazis als „jüdisch versippt“ gebrandmarkten Nägele in Deutschland wieder gewürdigt. Doch erst im Jahr 1963, nach dem Tod seiner Frau, kam der Künstler nach Deutschland zurück. Neun Jahre später starb er in Stuttgart. Seine künstlerische Ader hat er offenbar vererbt: Die Sammlung umfasst auch Bilder seines Sohns Thomas.

Vertreter des Schwäbischen Impressionismus

Auch die Werke anderer Künstler mit Bezug zur Stadt Murrhardt sind in der Kunstsammlung zu sehen – etwa die von Heinrich von Zügel, nach dem der Saal, in dem die Bilder hängen, benannt ist. „Er ist ein Vertreter des Schwäbischen Impressionismus“, erklärt Gabriele Rösch. Der Unterschied zu den wohl bekannteren französischen Vertretern dieser Stilrichtung: „Die Farben sind erdiger, und das Realistische kommt eher durch als bei den Franzosen.“ Der gebürtige Murrhardter Zügel malte Ochsengespanne, die sich durch den schwäbischen Boden pflügen – aber auch regelrechte Charakterporträts von Tieren, etwa eines Widders.

Ebenfalls zu den schwäbischen Impressionisten zählte Gustav Essig, der lange Zeit in Murrhardt lebte. Sein Malstil war in den 1920er-Jahren beeinflusst von der neuen Sachlichkeit – später fand er aber wieder zurück zu verträumteren, lockereren Werken.

Im Archiv der Kunstsammlung Murrhardt schlummern noch einige Schätze. Man darf gespannt sein, was sich Gabriele Rösch für die neue Ausstellung ausdenkt.

Die Städtische Kunstsammlung Murrhardt

Sammlung:
Die Städtische Kunstsammlung Murrhardt wurde 1969 auf Anregung von Reinhold Nägele ins Leben gerufen. Die Kunstwerke sind im Heinrich-von-Zügel-Saal neben der Stadtbücherei ausgestellt, noch bis 1. November sind Neuzugänge aus Dauerleihgaben zu sehen.

Öffnungszeiten:
Die Sammlung ist sonn- und feiertags von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos. Nach Vereinbarung sind Gruppenführungen auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Am 28. September, 19. Oktober und 30. November finden jeweils von 19 Uhr an Kunstgespräche statt.

Sehenswertes:
Direkt neben dem Gebäude liegt der idyllische Murrhardter Stadtpark. Auch an der dortigen Stadtkirche und der daran angebauten spätromantischen Walterichskapelle haben Kunstfreunde sicher ihre Freude. Außerdem steht in der Umgebung die Villa Franck – seit 1907 war sie die Sommerresidenz der Fabrikantenfamilie Franck. Heute finden in dem denkmalgeschützten Jugendstil-Ensemble immer wieder kulturelle Events statt – zum Beispiel am 30. September die „Jazznight American Dream“, oder Führungen durch das Anwesen am 1. Oktober.

Endspurt
Nur noch bis Ende Oktober läuft die Aktion „Museum besuchen – Stempel sammeln – erlebnisreiche Preise gewinnen“. Einige der in den vergangenen Wochen vorgestellten Museen haben nur noch bis Anfang Oktober geöffnet. Bis Anfang November sind dann die Stempelkarten beim Naturparkzentrum in Murrhardt oder den beteiligten Museen abzugeben.