Ein sehr eigenwilliger Mann: Timothy Spall in „Mr. Turner“. Foto: Prokino

 Timothy Spalls Turner, im Alltag ein behäbiger Grimmbär, wird zum behänden Huldiger des Daseins, sobald er einen Pinsel hält. Der Film "Mr. Turner - Meister des Lichts" ist ein grandioses historisches Porträt des Malers J. M. W. Turner.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Mr. Turner - Meister des Lichts"

Köstlich, wie der große Maler J. M. W. Turner brummt und grunzt und schnaubt – das reicht ihm als Kommunikation. Nur wenn Kundschaft erscheint und Bilder begutachtet, wird er zum ausgesprochen eloquenten Meister in der Kunst der höflichen Floskelei, wie sie in England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts exzessiv gepflegt wird. 

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Dabei verachtet Turner Geschwafel: Als der Sohn eines Kunstsammlers selbstverliebt pseudophilosophisch schwadroniert, entlarvt ihn der Maler vor erlesener Runde mit einer simplen Frage: „Was mögen Sie lieber, Schinkenpastete oder Nierenpastete?“Dieser feine Humor zeichnet viele Filme des Engländers Mike Leigh (71) aus. Er liebt Menschen gerade wegen ihrer Schrullen, die chaotischen Familien in „Life Is Sweet“ (1990) oder „Lügen und Geheimnisse“ (1996), die das Leben beharrlich umarmende Lehrerin in „Happy-Go-Lucky“ (2008). Oft hat er den Charakterdarsteller Timothy Spall (57) besetzt, bekannt als „Wurmschwanz“ aus der „Harry Potter“-Filmreihe – in „Mr. Turner“ hat er ihm nun die Rolle seines Lebens gegeben. Am historischen Stoff zeigt Leigh offensiver als sonst, was für ein meisterhafter Bildgestalter er ist. Natürlich sind Turners Gemälde und er selbst bei der Arbeit zu sehen, viel mehr Kraft aber haben die stets lichtdurchfluteten Motive, die diesen inspirieren: Segel über glitzernden Wellen, Sonnenuntergänge auf grünem Hügel vor der See, der sich im Wasser spiegelnde Angler, magisch durchs Geäst brechende Lichtstrahlen. Wer versteht, genau hinzuschauen, dem offenbart sich die Welt als Gemäldegalerie.Nicht minder betörend ist die historische Kulisse, Vehikel für eine Zeitreise. Da pleuelt, raucht und pfeift eine glänzende Dampflokomotive, wenn der Zug kommt, und die Reise mit dem schaukeligen Passagierboot ist noch ein Abenteuer. Leigh lässt das erblühende britische Empire erstrahlen und zugleich vorausahnen, dass es nicht von Dauer sein wird: Ein Schiffsveteran der Schlacht von Trafalgar, in der Großbritannien 1805 seine maritime Vormachtstellung errang, treibt vor den Augen des scharfen Beobachters Turner der Verschrottung entgegen. Diese Welt wird bevölkert von verschrobenen, sehr englischen Figuren. Timothy Spalls Turner, im Alltag ein behäbiger Grimmbär, wird zum behänden Huldiger des Daseins, sobald er einen Pinsel hält. Unter einer Haube versteckt sich die verhärmte Dienerin mit ihrer Krätze und ihrer Sehnsucht, in ausladender Spitzengewandung ruht die fürsorgliche Mrs. Booth, unter Zylindern und Fräcken verschanzen sich die Mitglieder der Akademie der Künste, einer blasierter und missgünstiger als der andere. Und dazwischen dieser Turner, der brummt, grunzt und schnaubt. Köstlich.

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