Sein größter Erfolg außerhalb des Cockpits: Zanardi gewinnt Paralympics-Gold in London. Foto: Getty

2001 verlor Alessandro Zanardi beide Beine bei einem Rennunfall – doch sein Kämpferherz treibt ihn zu immer neuen Leistungen an. Nun will er sich in der Blancpain-Sprint-Serie behaupten.

Nogaro - Der weiße BMW Z4 GT3 hält vor der Box auf dem Adria Raceway. Mechaniker nehmen die Tür ab, der Fahrer reckt den Daumen heraus. Damit signalisiert Alessandro Zanardi für alle sichtbar, dass er zufrieden ist. Dann klappt der Italiener eine Stange, die am Überrollbügel angeschraubt ist, herunter und schwingt sich aus dem Rennwagen. Ein Mechaniker reicht ihm zwei Stöcke, und der Rennfahrer, der im Jahr 2001 bei einem Unfall in einem Champcar-Rennen auf dem Lausitzring beide Beine verloren hat, läuft zu seinem Ingenieur Nicolas Olivan, um anhand der Daten die letzten Runden zu besprechen.

Es waren Runden, in denen Zanardi neue Prothesen getestet hat und seine Lehne etwas weiter geneigt worden war. „Jetzt passt es“, sagt der 47-jährige Italiener, „ich kann mehr Druck aufs Bremspedal bringen.“ Die richtige Position des Sitzes ist für Zanardi wichtig. Wichtiger als für andere Piloten. Beim Blick in den Fußraum fällt auf, dass sich darin nur ein Pedal befindet – das Bremspedal. Nach wie vor bremst Alex Zanardi mit dem rechten Bein. Das Bremspedal, oder besser die Bremsplatte, wurde dafür nach rechts versetzt, dorthin, wo sich normalerweise das Gaspedal befindet. Damit liegt es in der Verlängerung der Hüfte. Wenn er diese nach vorne schiebt, bewegt er die Platte. Je exakter die Position, desto höher der Bremsdruck. „100 Bar schafft Alex nicht“, sagt Roberto Ravaglia, der Chef des Roal-Teams, „aber 75 bis 80 Bar genügen auch. Das ABS hilft.“ Damit die Prothese nicht vom Pedal rutschen kann, ragt aus Zanardis rechtem Schuh ein Sporn heraus. Damit kann er ihn auf der Platte einhaken.

Alle anderen Fahrbefehle erledigt der ehemalige Formel-1-Fahrer und zweimalige Champcar-Meister mit den Händen. Angefangen beim Gasgeben. Hinter dem Lenkrad befindet sich, in etwa fünf Zentimeter Abstand, ein silberner Ring. Je weiter der Pilot diesen mit den Fingern Richtung Lenkrad zieht, desto mehr Benzin wird in die sechs Zylinder des 525 PS starken Rennwagens gespritzt. Die Gänge werden, wie mittlerweile im Rennsport üblich, mit Wippen am Lenkrad gewechselt. Und die Kupplung, die nur beim Start benötigt wird, sitzt unten auf der Sechs-Uhr-Stellung am Lenkrad in Form einer kleinen Platte.

Die Technik ist nicht neu. Als der Mann aus Bologna 2005 sein erstes Comeback in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft WTCC gegeben hat, hatten ihm die BMW-Ingenieure sein damaliges Arbeitsgerät M3 genau nach diesem Muster eingerichtet. Mit einem Unterschied: Zum Start hat ein Kabel die Gaspedalstellung übertragen. „Eine Stunde nach dem ersten Test hat Alex mich angerufen und gesagt, dass man das auch elektronisch hinbekommen kann“, erzählt Ravaglia. Zanardi hatte recht. Und Erfolg. Gleich im ersten Jahr gewann er ein Rennen.

Am 20. April gibt Alessandro Zanardi in Nogaro sein zweites Comeback. In der Blancpain-Sprint-Serie. Bei den einstündigen Rennen müssen sich normalerweise zwei Piloten ein Auto teilen, für Behinderte gilt diese Regel jedoch nicht. Das zweite Comeback deshalb, weil das lebensfrohe Energiebündel auch schon einen erfolgreichen Ausflug in den Behindertensport gemacht hat. Bei den Paralympics 2012 in London gewann der Italiener zweimal Gold – im Straßenrennen und im Zeitfahren. Im Jahr davor hatte er bereits beim New-York-Marathon triumphiert. „Meinen Wunsch, Rennen zu fahren, habe ich jedoch nie verloren“, sagt er, „ich habe ihn nur wegen der Paralympics-Teilnahme unterbrochen.“ Eine neuerliche Unterbrechung mit Blick auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro ist aber nicht ausgeschlossen. „Das ist ein mögliches Ziel, aber kein Traum mehr“, sagt er.

Motorsport dagegen ist das Ein und Alles des Mannes mit dem schwarzen Lockenkopf. „Mit Alex zu arbeiten ist etwas ganz Spezielles“, verrät Roberto Ravaglia, „zum einen, weil er ein großartiger Rennfahrer mit einem großen technischen Verständnis ist, zum anderen, weil er auch mit seiner Behinderung immer positiv gestimmt ist.“ Der ehemalige DTM-Champion gerät dabei regelrecht ins Schwärmen. Wie gut Zanardi immer noch als Rennfahrer ist, beschreibt der Teamchef mit einem Vergleich. In der Blancpain-Sprint-Serie setzt er noch einen zweiten Z4 ein. Mit Stefano Colombo und David Fumanelli am Steuer, zwei Talenten. „Obwohl beide sehr schnell sind – Alex ist schneller“, sagt Ravaglia.

Gedanken, dass Zanardi die Rennfahrerei nur so zum Spaß macht, erstickt der Pilot gleich im Keim. „Wenn ich am Ende der Saison einen 20. Platz als bestes Ergebnis habe“, sagt er klipp und klar, „dann müssen wir uns zusammensetzen und darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, das Projekt auch noch 2015 fortzusetzen.“ Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es dazu nicht kommen, denn relativ schnell konnte er bei seinem ersten Comeback ein Rennen gewinnen. Dazu ist Zanardis Ehrgeiz auch zu groß. Am Ende des Testtages krabbelt Alex Zanardi mit einem breiten Grinsen im Gesicht aus seinem weißen Z4 GT3. Man sieht ihm an, dass er mehr als zufrieden mit dem gefundenen Ergebnis ist. Neben der Sitzposition hat er auch drei unterschiedliche Prothesen ausprobiert. „Ich hab’s gefunden“, sagt er. Sein Chef Roberto Ravaglia schüttelt den Kopf, er muss ebenfalls breit grinsen. „Wir haben bei den zwölf Tests schon fünf oder sechs Sitzeinstellungen ausprobiert. Jedes Mal war Alex zufrieden, hat aber weiter getüftelt.“ So ist er eben, der Alessandro Zanardi – ein nie zufriedener Perfektionist. Aber genau deshalb ist er auch immer wieder erfolgreich. Trotz seines Alters, trotz seiner Behinderung.