Immer mit Cowboyhut unterwegs: Lemmy Kilmister Foto: dpa

Seit ziemlich genau 40 Jahren steht Motörhead für Sex, Drugs und Rock ‚n’ Roll. Jetzt war Lemmy Kilmister wieder einmal in der Nähe von Stuttgart in der ausverkauften Ludwigsburger MHP-Arena.

Ludwigsburg - Es gibt gewisse Gesetzmäßigkeiten im Rock’n’Roll. Nicht unbedingt Gebote, der Rocker an sich ist schließlich frei von Zwängen, doch zumindest die eine oder andere Richtlinie. Eine besagt, dass jeder die Bands hören darf, die er will. Solange man dabei auch Motörhead hört. Seit ziemlich genau 40 Jahren gibt es diese Band, seit ziemlich genau 40 Jahren stehen sie wie keine andere Truppe dieses Planeten für die Worte Sex, Drugs, Rock’n’Roll. Das ist in besonderem Maße ihrem Anführer Lemmy Kilmister zu verdanken, der letzte wirkliche Rockstar dieses Planeten.

Nichts, so schien es in den letzten Jahrzehnten, vermochte ihn umzuhauen. Er lebte von Jacky Cola, Kippen und Spielautomaten, haute alle paar Jahre ein Album raus, war ständig auf Tour, no rest for the wicked. Einem wie ihm ist keine Ruhe vergönnt.

„Motörhead sind mal wieder in der Stadt“ war ein Satz, den man bis vor einigen Jahren zahlreich in Stuttgart hörte. Oft gastierte Lemmy Kilmister in einer der größeren Hallen im Umkreis, regelmäßig machte der Brite, der am 24. 12. 1945 geboren wurde, kurz vor seinem Geburtstag bei uns Station. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass auch ein Lemmy Kilmister nicht unverwüstlich ist. Konzertabsagen, Operationen, vor allem aber sein temporärer Umstieg von Jacky Cola auf Wodka mit Orangensaft drangen an die Öffentlichkeit. Die Rock-Welt bangte (und das ist ausnahmsweise mal deutsch auszusprechen) um ihren größten Helden, um diesen gelebten Exzess auf zwei dünnen Beinen.

Am Mittwochabend in Ludwigsburg stand er dennoch auf der Bühne. Einmal mehr hat der Kerl mit dem Cowboyhut hinter dem heruntergebogenen Mikrofon bewiesen, dass er seinen Job ernst nimmt. Dass Rock’n’Roll so viel mehr ist, als die Verstärker auf elf zu drehen. Ausverkauft ist die Halle, davor drängen sich die Ticketsuchenden, während drinnen ein 69-jähriger Mann zeigt, was es heißt, Rock’n’Roll zu spielen. Laut sind Motörhead immer noch, eigentlich viel zu laut, Lemmys Gesang ist noch unverständlicher als sonst, es wirkt, als würde er sich beinahe an seinem Bass festklammern. Und dennoch spielt er. Das hat nichts mit Demontage oder der Sucht nach Rampenlicht zu tun. Für Lemmy Kilmister ist das eine Frage der Ehre.

Die Songauswahl bei einem Konzert wie diesem verkommt da fast zur Nebensache. Unfassbare 40 Jahre Motörhead werden gefeiert, 40 Jahre in treuen Diensten von Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Das kann keine andere Band vorweisen. Nicht ohne Pause oder Entzug. Schon der Einstieg mit „Bomber“ repräsentiert diese englische Band, ja diese ganze Musik wie nichts anderes. Während über der Band ein Flugzeug aus Stahlträgern schwebt, bellt Lemmy ins Mikrofon, feuert Phil Campbell schnelle, punkige Riffs ab, drischt Mikkey Dee sein Drumkit in Grund und Boden.

Ganz gleich, ob man diese Band seit den Siebzigern, Achtzigern, Neunzigern oder erst seit letzter Woche kennt: Nach jedem Song gehen Tausende Fäuste in die Höhe, ertönt ohrenbetäubender Jubel.

Das Publikum hier weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, Lemmy noch immer dort oben auf der Bühne zu sehen. Umso euphorischer feiert es „Over The Top“ oder „Orgasmatron“, winkt sogar die Gitarren- und Schlagzeugsolos durch, die der Frontmann offensichtlich zum Verschnaufen nutzt. Dennoch ist es keine Show mit angezogener Handbremse. Es scheint sogar, dass Lemmy im Verlauf des Konzerts lebendiger wird, agiler. Als würde ihm die Musik selbst zu neuer Kraft verhelfen. Das mag kitschig klingen und als mythisch verklärter Unsinn abgetan werden. Aber wenn jemand in diesem Business mythisch verklärten Unsinn verdient hat, dann eben Lemmy.

Vielleicht war es das letzte Mal, dass wir in unseren Breiten „Ace Of Spades“ oder „Overkill“ gehört haben. Vielleicht werden wir Lemmy mit über 70 nicht mehr auf Tournee erleben. Es wäre okay. Die Abschiedsgala der Rock’n’Roll-Gralshüter war das erhofft laute Festspiel.