Morrissey lässt sich von den Ärzten nicht das Touren verbieten Foto:  

Nirgendwo ist Deutschland britischer als in Hannover. Hier, in der geheimen Heimat des englischen Königshauses, hat Morrissey sein vorerst einziges Deutschlandkonzert gegeben, wieder einmal über die Windsors geschimpft, seiner Krankheit getrotzt und auch ein paar Nummern der Smiths gespielt.

Hannover - Überall stehen diese mit milch-brauner Flüssigkeit gefüllten Teetassen herum. überall tummeln sich rote Uniformen und spektakuläre Kopfbedeckungen, der Union Jack ist mal Tattoo, mal Tischdecke, mal Handyhülle – und die Queen scheint jeden Augenblick mit ihren Corgis um die Ecke zu kommen. Die Ausstellung „We Love Britain!“ im Sprengel Museum Hannover dürfte ganz nach dem Geschmack von Stephen Patrick Morrissey sein. Zeigen dort die Martin Parrs Fotos doch, wie bizarr es ist, wenn Niedersachsen ihre Begeisterung für das englische Königshaus ausleben.

„The Queen Is Dead“ zur Eröffnung

Auch als Morrissey am Mittwochabend einige hundert Meter weiter jenseits des Waterlooplatzes im Capitol sein vorerst einziges Deutschlandkonzert beginnt, ist die Queen allgegenwärtig: Elisabeth II. ist in einem bösen Fotomontage hinter der Bühne zu sehen, als Morrissey mit seiner fünfköpfigen Band zur Eröffnung die Smiths-Nummer „The Queen Is Dead“ spielt. Später wird der 55-Jährige verraten, dass er zum ersten Mal in Hannover ist, jener Stadt die die eigentliche Heimat der britischen Königsfamilie ist. „Ist das hier eine schöne Stadt?“, fragt er. Und als die meisten im Publikum „Nein“ brüllen, freut er sich ein bisschen. Schließlich hält er die Royals sowieso für „widerliche Parasiten“.

Dieser wortgewandte, bösartig-charmante, herrlich kauzige Unterhaltungskünstler schimpft aber nicht nur über die königliche Familie, er singt auch Lieder, die von Weltfrieden und Prüfungsangst, von Paris und Istanbul, von Allen Ginsbergs Tränen vom umjubelten Tod des Stierkämpfers erzählen, oder die verraten, dass echte Männer keine Tiere essen.

Widerspenstiger kleiner Bruder Frank Sinatras

Mit einer exzentrischen Grandezza tänzelt er über die Bühne, wirft sich das Mikrofonkabel wie einen Schal über die Schulter um sich, betört mit großen kleinen Gesten, mit einer Feinheit des Ausdruck, die sich der Pop sonst nur sehr selten traut. Wie der widerspenstige kleine Bruder Frank Sinatras inszeniert er sich in den Lieder und in dem Auftritt auch stets ironisch selbst. Sein „My Way“ heißt „I’m Not A Man“. Der Song von der aktuellen Morrissey-Platte „World Peace Is None Of Your Business“ ist ein immer lauter aufstampfendes Pamphlet, bei dem sich Morrissey selbst in Rage singt: Ich bin kein Mann, singt er dann: Ich bin viel besser, viel größer als ein Mann, weil ich kein Tier töten und essen und nie die Welt zerstören würde, in der ich lebe.

Seit der 55-Jährige vor einem Monat seine Krebserkrankung öffentlich gemacht hat, hört man diesen Song natürlich ein bisschen anders, schließlich kommt dort auch das Wort Prostatakrebs vor. Doch Morrissey lässt sich live auch in dieser Strophe nichts anmerken. Sein Arzt hatte ihm eigentlich das Touren verboten. Zuletzt waren drei Konzerte abgesagt worden, allerdings wegen eine Grippe-Welle, die Morrisseys Band erfasst gehabt haben soll.

Morrissey ist zwar ein Meister der Übertreibung. Nicht aber, wenn es um seine Erkrankung geht. Als ihm eine Frau aus dem Publikum gute Besserung wünscht, amüsiert er sich über diese Fürsorglichkeit.

Den zarten Song „Oboe Concerto“, der das sentimentale Finale seiner aktuellen Platte bildet, lässt er in Hannover aber doch lieber weg. „All the best one’s are dead“, die Besten sind alle schon tot, singt er in dem Lied, in dem es ums Älterwerden geht und darum, dass das Leben weitergeht, auch wenn man manchmal glaubt, es nicht mehr ertragen zu können.

Immer noch eine Popmusik-Institution

Natürlich ist das Konzert eine Sensation. Nicht nur weil es überhaupt stattfindet. Sondern weil Morrissey immer noch eine Popmusik-Institution ist. Einer, der in den Liverversionen dem Pathos von Songs wie „Kiss Me A Lot“, „I’m Throwing My Arms Around Paris“ oder „Trouble Loves Me“ eine wunderbar affektierte Theatralik der Bühneninszenierung gegenüberstellt. Er spielt den enthusiasmierten Schwermütigen, das sentimentale Großmaul, erweist sich beim Konzert im ausverkauften Capitol in Hannover einmal mehr als der großartigste Misanthrop und Narziss, den der Pop bisher hervorgebracht hat.

Mit The Smiths hat Morrissey gleich mehreren Indiepop-Generationen den Ton vorgegeben, eine zuvor unbekannte Empfindlichkeit und Empfindsamkeit im Pop etabliert, die später auch in Deutschland von Bands wie Tomte oder Kettcar nachgeahmt wurde. Ohne Morrissey wäre einem vielleicht aber auch die weichgelutschte Befindlichkeitsprosa der Sorte Tim Bendzko oder Tiemo Hauer erspart geblieben wäre.

Doch dafür kann Morrissey nicht wirklich etwas. In Hannover spielt er 18 Songs in anderthalb Stunden, flirtet mit Punk, Hip-Hop, Fado und Flamenco, lässt viele Hits sowohl der Smiths-, als auch der Solo-Jahre aus. Und wenn er sich einen Smiths-Klassiker wie „Meat Is Murder“ annimmt, schockiert der Mann, der seit seinem elften Lebensjahr Vegetarier ist, mit SchlachthofVideos und damit, dass er den Song in einen grimmig-dissonanten, gemein flackernden Anti-Walzer verwandelt.

Perfider ist nur noch die Bösartigkeit des sich so lieblich gebenden Songs „Everyday Is Like Sunday“: Zum Konzertfinale wünscht sich Morrissey in dieser Nummer den Weltuntergang, die Atombombe herbei, um der Eintönigkeit der Küstenstadt, der Stille, dem Grau und dem ständigen Teetrinken endlich ein Ende zu setzen. Ja, Martin Parrs Fotos drüben im Sprengel Museum, die das Gewöhnliche so hemmungslos ausstellen, hätten Morrissey ganz bestimmt gefallen.

Die Morrissey-Konzerte am 23. November in Berlin und am 24. November in Essen sind ausverkauft. Die Ausstellung „We Love Britain!“ ist bis zum 22. Februar 2015 im Sprengel Museum Hannover zu sehen. www.sprengel-museum.de