Differenzen beim Thema Fahrverbote: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (re.) und Verkehrsminister Hermann Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält nichts von Fahrverboten in Stuttgart. „Das haben wir erst mal überhaupt nicht vor“, sagte er am Mittwoch beim ersten Mobilitätsgipfel. Stau und Schadstoffe will er mit besserer Verkehrssteuerung bekämpfen.

Stuttgart - Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann kommt mit seinen Plänen, Ende 2017 verbindliche Fahrverbote in Stuttgart einzuführen, in Bedrängnis. Nach seinem Parteifreund OB Fritz Kuhn erteilt ihm auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine Absage. Es gebe zwar keine Denkverbote, so der Regierungschef am Mittwoch bei der Pressekonferenz zum Mobilitätsgipfel, aber „Folterwerkzeuge“ wolle er nicht einsetzen, solange es andere, humanere Möglichkeiten gebe, das Schadstoffproblem der Stadt zu lösen. Stuttgart bestehe außerdem nicht nur aus der Feinstaub-Messstelle am Neckartor, reagierte Kretschmann leicht unwirsch auf die Thematik.

Hermann und Kuhn haben unterschiedliche Zeitziele, bis wann sie die seit 2005 bindende Vorgabe der EU in Sachen Feinstaub- und Stickoxidbelastung einhalten wollen. Hermann peilt 2019 an, Kuhn 2021. „Wir werden uns über den Zeitplan einigen, dazu haben wir noch einen Termin am Montag“, sagte der Verkehrsminister.

Der Rechtsanwalt Roland Kugler, früher Grünen-Stadtrat in Stuttgart, vertritt Feinstabkläger. Kuhns Langmut hält er für nicht sachgerecht. „Wenn gesetzliche Mindeststandards zum Gesundheitsschutz zehn Jahre lang nicht eingehalten werden, sind Verbote gerechtfertigt“, so Kugler. Seine Mandanten würden „mit den Klageverfahren weitermachen“.

Großräumige Lösungen gegen den Stau in der Region

Beim ersten Mobilitätsgipfel ging es nicht um klein-, sondern großräumige Lösungen gegen den Stau in der Region. 45 Vertreter von Gremien, Verbänden und Branchen hatte die Regierung in das Haus der Architekten geladen, 32 kamen. Nicht alle sind mit der Abschlusserklärung, in der einige neue, aber auch sehr viele bereits beschlossene Maßnahmen genannt werden, rundweg einverstanden. Unverhohlene Ablehnung kommt vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Der Gipfel sei „ein Rückschlag für alle Bemühungen, die Region Stuttgart zu einem Vorbild nachhaltiger Mobilität zu machen“, sagt Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender. Sie fordert eine Nahverkehrsabgabe.

Kretschmann und Hermann propagieren die Mobilitäts-Modellregion. 60 Stunden Stau pro Jahr und Arbeitnehmer gingen „an die wirtschaftliche Substanz“, seien ein handfester Schaden für die Unternehmen und beeinträchtigten die Lebensqualität, sagt Kretschmann. Helfen könne neben dem Ausbau von Bus und Bahn die Digitalisierung. Die digitale Revolution werde auch den Verkehr verändern, zum Carsharing trete das „Raumsharing“, also die intelligente Verteilung von Verkehrsraum.

Digitale Lösungen und Verkehrslenkung seien billiger als neuer Straßenbau, sagt Kretschmann, mit Apps beginne ein neues Zeitalter der Lenkung. Dazu wolle das Land den Wettbewerb „Move BW“ ausschreiben, mit dem eine Datenplattforum zur Beeinflussung des Mobilitätsverhaltens geschaffen werden soll.

Alte Debatte um den Nordostring um Stuttgart erledigt

Auf das Thema Straßenneubau reagierte Kretschmann allergisch. Man könne nicht wegen weniger Überlastungsstunden „die Infrastruktur aufmotzen“. Die alte Debatte um den Nordostring um Stuttgart sei erledigt. „Wer soll das bauen, wer soll das zahlen? Ich werde keine heillosen Versprechungen machen!“, sagte er. Die IHK pocht auf diesen Neubau. Straßenausbau solle es an der A 8 und A 81 geben, sagt Hermann. Achsen „in die Stadt hinein“ würden nicht ausgebaut. Mit dem Rosensteintunnel (B 10) geschieht aber zurzeit genau das.

Bis Mittwoch hatten die Teilnehmer um Formulierungen in der Abschlusserklärung gerungen. So wird Mobilität nun nicht „nachhaltiger“, sondern „zukunftsfähiger“. Umweltverbänden wurde spät der Satz zugesprochen, dass aus deren Sicht das Verkehrsvolumen von der Wirtschaftsleistung entkoppelt werden müsse. Die Bedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft müssten mit weniger Verkehr befriedigt werden.

Für die Zukunft haben sich alle Teilnehmer einen Katalog wichtiger Maßnahmen vorgenommen. Beispiele sind die neue VVS-Polygo-Karte, neue Netzbeeinflussungsanlagen an Hauptachsen (B 27, A 8 und A 831), dynamische Beschilderung in Stuttgart und der Aufbau des Informationssystems Feinstaub/Stickoxid zur Warnung vor Überschreitungen. Im schon beschlossenen Pakt für den öffentlichen Verkehr soll es Metropolexpress-Züge, den Ausbau der S-Bahn nach Neuhausen sowie die Ausdehnung des 15-Minuten-Taktes auf der S-Bahn geben. Ende 2016 kommen regionale Expressbusse dazu, Park-and-ride-  sowie Bike-and-ride-Plätze sollen ausgebaut werden. Nach Stuttgart soll es auch in der Stadt und dem Landkreis Ludwigsburg privilegierte Stellplätze für Elektrofahrzeuge geben.

Stuttgart plant mit dem Programm Hauptradrouten den Ausbau des Radwegenetzes, das Land will Radschnellwege entlang der Hauptpendlerachsen unterstützten. Neu ist ein von der IHK unterstützter Pilotversuch zur City-Logistik in Stuttgart, bei dem erstmals Lastenräder eingesetzt werden sollen.

Das Jobticket des Landes ab 1. Januar 2016 ist eine der konkretesten Maßnahmen. Der Zuschuss könnte jährlich 20 Millionen Euro erreichen. Stadt Stuttgart und Land wollen ihren Beschäftigen außerdem ein gemeinsames Mitfahrportal anbieten.