Bezahlen mit dem iPhone - das schmeckt nicht jedem Foto: dpa

Mit einem eigenen Bezahlsystem macht Apple das Smartphone bald zur Geldbörse. Experten rechnen mit einem Siegeszug von Apple Pay in den USA. Setzt sich Apple in Deutschland durch, könnten Banken und Telekommunikationsunternehmen Umsatz verlieren.

Mit einem eigenen Bezahlsystem macht Apple das Smartphone bald zur Geldbörse. Experten rechnen mit einem Siegeszug von Apple Pay in den USA. Setzt sich Apple in Deutschland durch, könnten Banken und Telekommunikationsunternehmen Umsatz verlieren.

Cupertino/Stuttgart - Seit Freitag gehen Apples neue Smartphones, das iPhone 6 und das iPhone 6 Plus, über die Ladentische. Ungewohnt groß sind sie und formschön wie gehabt. Doch Branchenexperten gilt ein kleiner Chip im Inneren als der größte Schatz der neuen Generation: Apple Pay. Mit dem Bezahldienst macht Apple das Handy zur Geldbörse. Ab Oktober soll er in den USA in die Handys integriert sein. Obwohl Apple nicht verrät, wann er in Deutschland mit verkauft wird, sorgt er auch hierzulande für Aufruhr. Schließlich könnte er die Zukunft des mobilen Zahlens mitbestimmen.

Seit einigen Jahren versuchen IT-Giganten wie Google oder Mobilfunker wie die Telekom, das Handy zum Zahlen zu nutzen, hatten aber nur leidlich Erfolg. Auch Apple bietet technisch vor allem Gewohntes: einen NFC-Chip, der aus kurzer Distanz vom Handy zur Ladenkasse funkt. In Verbindung mit dem Fingerabdrucksensor ist die Zahlung sekundenschnell erledigt. Die Kasse funkt den Betrag auf den Handybildschirm, der Kunde bestätigt mit einem Fingerdruck. Außerdem gilt das System als besonders sicher: Im Smartphone sind nur Codes der eigenen Kreditkarte hinterlegt. Die Kartennummer selbst bekommt keiner zu sehen.

Dies und das Kultimage Apples versetzt die Experten in Aufregung. „Apple macht das genau richtig. Wurde das Handy nicht absichtlich mit Trojanern versehen, ist es unmöglich, Transaktionen auszuspähen oder zu manipulieren“, lobt Sebastian Schreiber vom Tübinger IT-Sicherheitsspezialisten SySS. Das System ist einfach und sexy, weil es schnell ist“, sagt Tim Kiesewetter vom Handelsinstitut EHI in Köln.

Die meisten Branchenkenner gehen deshalb davon aus, dass Apple Pay sich in den USA durchsetzen könnte. Dort beherrscht der Konzern aus Cupertino den Smartphone-Markt, wobei Apple-Käufer als überdurchschnittlich technikbegeistert und gut verdienend gelten. Apple kooperiert auch mit Banken und den Kreditkarten-Anbietern American Express, Mastercard und Visa. Diese dominieren den Bezahlmarkt. Auch große Ketten wie McDonald’s und Staples wollen Apple Pay nutzen.

Doch in Deutschland sind die Voraussetzungen anders. Noch immer meidet knapp die Hälfte der Verbraucher im Einzelhandel das bargeldlose Bezahlen, so das EHI. Wer zur Plastikkarte greift, nutzt in der Regel eine Girokarte. „Drei von vier Barzahlern glauben, dass sie so ihre Finanzen besser kontrollieren können“, heißt es beim IT-Branchenverband Bitkom. Mit einer Kreditkarte kauft nur jeder Zwanzigste ein. Und auch die Händler sehen sie nicht gern, müssen sie für die Überweisung deutlich höhere Gebühren als für die Girokarte bezahlen. Und da soll Apple ausgerechnet die digitalisierte Kreditkarte ins Handy bringen?

Ja. Zumindest einige Experten sind sich dessen sicher. Steffen von Blumröder, Fachmann für mobiles Zahlen bei Bitkom, erwartet Rückendeckung von der EU. Denn die versucht derzeit, Kreditkartengebühren europaweit zu deckeln. Schon bald könnten sich die Gebühren denen der Girokarten annähern. Von Blumröder glaubt zudem an die Cleverness made in USA: Apple werde seine Smartphone-Geldbörse mit Zusatzleistungen versehen, etwa Platz für elektronische Gutscheine, Bonusprogramme und Kundenkarte schaffen. „Das könnte für die Verbraucher den Ausschlag geben. Und Apple-Nutzer sind ohnehin an Zahldienste gewöhnt.“

Der Bezahlmarkt verändert sich rasend schnell. Es dürfte lediglich zwei Jahre dauern, bis das mobile Zahlen zur Gewohnheit werden könnte, schätzt von Blumröder. Derzeit seien nur 35 000 von 800 000 Kassenterminals mit dem notwendigen NFC-Chips ausgestattet. Und auch noch mehr Smartphones müssten NFC an Bord haben. „Dass auch Apple auf NFC-Chips setzt, bringt das mobile Zahlen mit Sicherheit nach vorne.“

Neben Apple sieht deshalb Oliver Hommel, Zahlungsverkehrsexperte des Beratungsunternehmens Accenture, die großen Kreditkartengesellschaften Mastercard und Visa als Gewinner beim mobilen Zahlen. „Sie können sich auch ohne Plastikkarten unersetzlich machen.“ Die Banken jedoch sieht er im Nachteil: „Aus Sicht der Kunden werden sie austauschbarer, weil sie in die Apples digitale Geldbörse gepackt werden. Sie verlieren einen Teil ihrer Kundenbindung an Apple.“

Bei der Sparda-Bank Baden-Württemberg ist man sich des „hausgemachten Problems“ bewusst. „Apples digitale Geldbörse bringt die Branche weiter unter Zugzwang“, sagt Sprecher Andreas Küchle. „Wir als Branche haben das Thema insofern verschlafen, weil wir uns nicht auf eine Variante einigen und umsetzen konnten.“ Was Küchle damit meint: Zwar bieten auch Banken Bezahl-Apps für Smartphones an, allerdings nur für das jeweilige Institut. Komfortabel ist das nicht. Auch deshalb steckt die Branche beim mobilen Bezahlen noch in den Kinderschuhen. „Es wird höchste Zeit, dass wir Banken auch eine Lösung finden“, fordert Küchle – und gibt sich kämpferisch. Noch sei nicht sicher, welches System von den Händlern akzeptiert werde. „Diese Schlacht ist noch nicht entschieden.“

Was martialisch klingt, ist nahe an der Realität. Denn die Internetgiganten wie Apple und Google versuchen, in ganzen Branchen neue Standards zu etablieren. Im Grunde geht es darum, wer die Betriebssysteme der Zukunft definiert. Wer zum Beispiel den Zahlungsverkehr abwickelt.

Oder wer die Geschäftsmodelle bei der Telekommunikation prägt. Hier hofften Telekom, Vodafone & Co, neben der Sprachtelefonie und Datenübertragung auch mit weiteren Dienstleistungen Geld zu verdienen und es an eine eigene Bezahl-App zu koppeln. Kiesewetter befürchtet für die Mobilfunker den Apple-Gau – falls die Amerikaner versuchten, statt einer Kreditkarte die in Deutschland populärere girocard in die digitale Geldbörse zu nehmen. Dies könnte in Zusammenarbeit mit den Banken geschehen. „Setzt sich Apple Pay mit girocard durch, braucht man von den Telekommunikationsunternehmen keine Extra-Dienstleistungen mehr. Sie haben dann ein enorm großes Problem, da sie bisher an jeder Zahlung mitverdienen wollen. Sie wären aus der Wertschöpfungskette verschwunden“, sagt Kiesewetter.

Noch einen Schritt weiter geht Accenture-Experte Hommel: Bisher sei die SIM-Karte der Mobilfunker das Sicherheitselement gewesen, das ein Telefon eindeutig identifiziere. „Das bietet Apple mit seinem Sicherheitschip selbst. Im Grunde werden sie für Apple-Geräte in Zukunft physisch nicht mehr benötigt“, betont Hommel. Die Konkurrenz müssen sie dennoch umarmen. „Kein Mobilfunkbetreiber kann es sich vermutlich leisten, Apple-Geräte nicht zu vertreiben.“

Bei der Telekom zeigt man sich dennoch gelassen: „Wir freuen uns, dass das Thema mobiles Bezahlen durch Apple zusätzlichen Schwung bekommt“, sagt eine Sprecherin. Dass Apple auf eine digitale Brieftasche als „Sammelcontainer für Dienste“ setze, bestärke den eigenen Ansatz. Die Fragen, ob Apple das Geschäft mit dem mobilen Zahlen bestimmen werde und mit dem Sicherheitschip die Mobilfunker ausboote, beantwortet sie nicht.