Eine neue Mitfahrzentrale teilt Fahrer und Mitfahrer nach ihrer Geschwätzigkeit ein - ein Alleinstellungsmerkmal der besonderen Art.

Ein erster Versuch, am Stadtrand von Palma de Mallorca, ging voll daneben. Autofahrer auf der Baleareninsel Mallorca haben höchstwahrscheinlich Angst vor Menschen, die mit ausgestrecktem Daumen auf eine Mitfahrgelegenheit hoffen, oder sie sind mit anderen Dingen beschäftigt. Sollen Touris doch mit dem Taxi fahren! Zwei Stunden dauerte dieser erfolglose Feldversuch, und außer gelangweilten Fahrzeuglenkern, die vor sich hin bzw. auf die Landstraße guckten, brachte er nicht den gewünschten Effekt: in das etwa eine Stunde entfernte und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer erreichbare Santanyi mitgenommen zu werden.

Die Wartezeit hätte sich höchstwahrscheinlich rasend verkürzt, wenn am Straßenrand statt eines langweiligen Mannes mit Jeans und T-Shirt eine langhaarige Frau, möglichst mit Minirock bekleidet, gestanden hätte. Nun ja. Effektiver - und zeitgemäßer - sind da wohl die Mitfahrzentralen im Internet, deren jüngste Ausgabe „Blablacar“ heißt (www.blablacar.de). Der Unique Selling Point, also das Alleinstellungsmerkmal, wie Prokuristen dies heute wohl ausdrücken würden, besteht bei dieser Agentur in der Einteilung der Geschwätzigkeit der Fahrer und Mitfahrer. Unter die Kategorie „Bla“ fallen monotone Zeitgenossen, die sich nur im Notfall einen ganzen Satz abringen. „Blabla“ sollen Menschen sein, die sich bei Interesse gerne in eine Diskussion einklinken, aber auch schweigen können. Und „Blablabla“ sind all jene, die unentwegt und zu allen Themen eine Meinung anbringen. Der Hintergedanke dabei: Fahrer und Mitfahrer mit ähnlich Interessen, was den Small Talk betrifft, sollen so zusammenfinden.

Plötzliche Absage der Fahrt

Klickt man sich jedoch durch die Profile der Fahrer und Mitfahrer, haben sich fast alle der Kategorie „Blabla“ zugeordnet. Dies kann allerdings auch daran liegen, dass das Profil diese Kategorie vorgibt, falls man sie nicht ausdrücklich ändert. Praktisch ist es, dass man bei blablacar den Fahrer in bar bezahlt, umständliche Überweisungen auf Girokonten und etwaige Rückerstattungen entfallen also. Das hat den Nachteil, dass man sich auf die Mitfahrgelegenheiten nicht unbedingt verlassen kann. Ein Praxistest beweist es: Für eine bevorstehende Fahrt von Köln nach Berlin mit einem geräumigen VW Passat entsteht ein reger E-Mail-Austausch. Genauer Treffpunkt, Menge des Gepäcks und Anzahl der Mitfahrer werden hin- und hergemailt. Doch dann, einen Tag vor der Reise, sagt der aus Frankreich stammende Fahrer plötzlich die gesamte Fahrt ab. Angeblicher Grund: Das Auto sei kaputt.

Also schnell einen Ersatz gesucht. Zum Glück ist Köln-Berlin eine recht stark befahrende Route. Eine gewisse Caroline, irische Musikerin, in Lille wohnhaft, fährt ebenfalls von Köln nach Berlin. Für die Fahrt haben sich bereits frühmorgens um 5 Uhr zwei Mitfahrer angemeldet, die von Lille nach Berlin mitfahren möchten. Ein Platz ist im Peugeot 206 noch frei. Caroline trifft mit einer halben Stunde Verspätung in Köln am vereinbarten Treffpunkt ein. Ihr Auto ist allerdings, bis auf ein E-Piano, leer. Die beiden Mitfahrer, die sich in Lille angemeldet hatten, seien nicht erschienen, und Caroline wartete eine halbe Stunde vergebens auf sie. Dafür ist jetzt mehr Platz im Auto, und das E-Piano belegt die ganze Rückbank. Caroline gehört ebenfalls zu den Blabla-Fahrerinnen. Von den Kategorien und der Bedeutung hört sie allerdings zum ersten Mal.

Tabak und Zigarettenpapier liegen griffbereit

Sie habe alles so übernommen, wie es auf der Internetseite vorgegeben war, sagt sie. Am Ende der Fahrt soll sich herausstellen, dass sie eher als „Blablabla“ einzustufen wäre. Doch es wird eine vergnügliche Fahrt. Erst nach zwei Stunden, als die Rede auf ihre Musik und ihr bevorstehendes Konzert in Berlin zur Sprache kommt, rückt sie mit ihren CDs heraus und fragt, ob man sie hören möchte. Bombastische Gothic-Klänge aus dem Synthesizer wabern durch das kleine Auto. Eigentlich sei sie ja Lehrerin, verrät die rothaarige, ganz in Schwarz gekleidete Frau, doch Konzerte seien ihre Passion. Und dafür nimmt sie auch die weiteste Anreise gerne in Kauf. Autofahren sei ihre zweite Passion, sie stamme aus einer Familie von Truckern. Autos putzen zählt hingegen augenscheinlich nicht zu den Passionen der jungen Irin. Im Inneren steht der Staub zentimeterhoch, und auf dem Fußboden liegen Papierschnipsel und andere Dinge. Tabak und Zigarettenpapier liegen griffbereit, kommen jedoch nur während der einzigen Pause unterwegs zum Einsatz.

An der Raststätte zeigt sich, dass auch zierliche Personen riesige Mengen verdrücken können: Ein Teller mit einer riesigen Currywurst und einem Haufen Pommes frites wird innerhalb von zehn Minuten verspeist. Mit Begleitung im Auto seien die Fahrten auf jeden Fall angenehmer, meint Caroline offen, man könne ja schlecht mit sich allein plaudern. Am Endpunkt in Berlin sind alle ihre CDs abgespielt, Caroline schon etwas nervös, weil der Soundcheck in Friedrichshain bald beginnt. Sie ist die „Vorgruppe“ einer bekannteren Band, ihre CDs verkauft sie für zehn Euro. Die Fahrt kostet 37 Euro - günstig im Vergleich zum ICE, der mit mehr als 100 Euro zu Buche geschlagen hätte.

Fan werden auf Facebook: https://www.facebook.com/fernwehaktuell

Mitfahren

Adressen
Blablacar, www.blablacar.de , ist eine gebührenfreie Mitfahrzentrale, bezahlt wird nur der Fahrer. Europaweit.

Mitfahrzentrale, www.mitfahrzentrale.de . Hier können sowohl einmalige Mitfahrgelegenheiten als auch Fahrgemeinschaften inseriert werden. Ein Fahrpreisrechner gibt Auskunft über den ungefähren Preis, der von den Mitfahrern verlangt werden kann. Rund 700 000 Nutzer, viele Angebote. Um die Telefonnummer eines Fahrers zu erfahren, müssen Gebühren ab 1,49 Euro entrichtet werden. Mitfahrzentrale, www.mifaz.de .

Weniger Angebote, dafür werden die Kontaktdaten der Fahrer nach Registrierung kostenlos weitergegeben.

Citynetz Mitfahrzentrale ( http://citynetz-mitfahrzentrale.de ): Sehr wenig Angebote, relativ hohe Vermittlungsgebühr. Mitfahrgelegenheit, www.mitfahrgelegenheit.de : Ständig über 900 000 Fahrten im Angebot, Kooperation mit dem ADAC, Verlässlichkeit durch Bewertungsprofile.