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Geschäftsfeld: Tabu. Der kleine Verlag von Jolanta Gatzanis wird 20 Jahre alt. Den Durchbruch verdankte sie „Fleisch“, das schlapp macht. Ihr humorvoller Umgang mit Sex geht weiter.

Stuttgart - Geschäftsfeld: Tabu. Der kleine Verlag von Jolanta Gatzanis wird 20 Jahre alt. Den Durchbruch verdankte sie „Fleisch“, das schlapp macht. Ihr humorvoller Umgang mit Sex geht weiter.

Der Kampf zwischen Geist und Fleisch ist uralt – mindestens so alt wie die Menschheit. Es gibt Gläubige, für die ist das Fleisch das größte Hindernis, um ein geistvolles Leben führen zu können.

Denn wenn das Fleisch willig ist, wird der Geist schnell schwach.

Das Originalzitat stammt aus der Heiligen Schrift. Einer der bekanntesten Bibelverse (Matthäus 26,41) lautet: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“

Aber was ist, wenn Geist und Fleisch wollen, also alle Beteiligten, auf die es ankommt – und trotzdem nix geht? Dann gibt’s einen Bestseller über Impotenz.

Worüber Männer lieber schweigen. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch macht schlapp“ – so lautet der Titel eines Buches, mit dem vor 20 Jahren die 1961 geborene Stuttgarterin Jolanta Gatzanis zur gefragten „Tabu-Verlegerin“geworden ist, wie eine Zeitung damals schrieb. Im lockeren Plauderton bekennen sich zwei Männer darin zu dem, was sie „Hängerchen“ nennen. Und sie verraten mit Witz ihre Strategien, damit dieses Elend ein Ende hat.

Bei einer Party hatte Gatzanis die beiden Autoren Hanjo Schmidt und Kurt W. Leuze kennen gelernt, die für ihre Buchidee von Verlagen nur Absagen erhalten hatten. Mit einem Startgeld von 10 000 D-Mark gründete die Tochter einer Deutschen und eines Griechen kurzerhand ihren eigenen Verlag. Und lieferte den Beweis: ein guter Buchtitel ist das beste Kapital.

20 000 verkaufte Exemplare im ersten Jahr, Einladungen zu Talk-Shows wie „Schreinemakers“ und eine Sex-Kolumne in der „Neuen Revue“ – dass nicht jeder Mann kann, hat das Leben der gelernten Buchherstellerin grundlegend verändert. Ihr Nischenverlag Gatzanis, der für Bücher rund um Lust, Liebe und Leidenschaft steht, feiert jetzt den 20. Geburtstag.

Was war nur los mit den Männern vor 20 Jahren? Genau in jenem Jahr 1995 kam noch ein Buch zu diesem heiklen Thema heraus: „Suche impotenten Mann fürs Leben“ von Gaby Hauptmann. Es war wohl ziemlich Not am Mann vor der Jahrtausendwende. Manche meinten, dies sei eine der Folgen des Feminismus. Der Mann, auf sich allein gestellt, war vielfach außer Stande, seine Wünsche zu erfüllen. Viagra gab’s nicht. In einer Talksendung, zu der Jolanta Gatzanis eingeladen war, führte ein Gast eine seltsame Pumpe vor, die er vor dem Sex anlegte, um den Al-dente-Zustand zu erreichen.

Sah nicht sehr romantisch aus – eher nach medizinischer Untersuchung. Dabei lag das Problem meist im Kopf. Doch wer bekannte sich schon dazu? „Des brauch ich net“, hörte Gatzanis von Männern oft, wenn sie auf ihr Impotenz-Buch hinwies. Die Verkaufszahlen sprachen eine andere Sprache. Einen Teil ihrer Bücher verkaufte sie über Beate Uhse. Kleine Buchhandlungen nahmen die Titel zunächst nur ungern ins Programm. Es brauchte die Anonymität der Buchkaufhäuser, damit Leute sich trauten, einen der knallbunten Bände auf den Kassentisch zu legen. Tinaaa, was kostet die Impotenz?

Geschäftsfeld: Tabu. Nach der fehlenden Erektion kamen Themen wie Sex im Alter („Wolke 9“ – das Buch zum Film) oder Orgasmusprobleme der Frau (Buchtitel: „klitoral, vaginal, ganz egal!“) hinzu. 28 Bücher sind seit der Verlagsgründung erschienen – nicht viele, dafür aber mit viel Liebe gemacht. „Nebenher“ führt die Verlegerin eine PR-Agentur mit sechs Mitarbeitern. Preisgekrönt wurde ein Aufklärungsbuch für Jugendliche, das die Stuttgarterin ins Land ihres Vaters verkauftet, wo es in griechischer Sprache erschien. Immer stärker gefragt: die E-Books von Gatzanis, deren Anteil bereits bei etwa 50 Prozent liegen.

Was ist aus den Tabus der 1990er geworden? Leben wir nun in einer Zeit ohne diese Barrieren? Das Internet hat uns den Weg zu unzähligen Spielarten der Sexualität eröffnet. Zu dritt, gleichgeschlechtlich, gefesselt, oral, vertikal, total normal. Doch Fantasien sind in Gefahr, wenn wir immer alles rauf und runter sehen. Schon vor 20 Jahren hat der Stuttgarter Gatzanis-Verlag mit seinem ersten Buch klarzumachen versucht: Es sind die Bilder im Kopf, auf die es ankommt. Das wichtigste Sexualorgan befindet sich weit oberhalb der Gürtellinie.

„Viele Frauen und Männer sind überfordert und machen sexuell dicht“, hat der Psychotherapeut Oliver Urban dem Magazin „Fit for fun“ gesagt. Die mediale Überpräsenz habe die Lust oft erschlagen. Der Pornokonsum von Pubertierenden sorge für Impotenz in frühen Jahren. Wer mit der grenzenlosen Bilderflut groß wird, den scheint das wahre Leben zu überfordern.

Wir sehen: Die heiklen Themen für einen eingefleischten Nischenverlag gehen nicht aus. Geistvolle Lektüre ist der Sex des Alters – oder auch nur das Vorspiel dazu.