Volker Kauder soll helfen, dass auch in Berlin über den Missbrauchsskandal gesprochen wird. Foto: dpa

Die ehemaligen Korntaler Heimkinder haben sich an den Chef der CDU-Bundestagsfraktion gewandt. Für ihn ist die Brüdergemeinde keine Unbekannte.

Korntal-Münchingen - Volker Kauder soll den Betroffenen im Missbrauchsskandal der evangelischen Brüdergemeinde helfen. Sie haben sich am Montag mit einem Brief an den Chef der CDU-Bundestagsfraktion gewandt. In dem vorab per E-Mail an den Christdemokraten versandten Schreiben wird er um Unterstützung gebeten: „In großer Not wenden wir uns heute an Sie persönlich.“ Seit Jahren bemühten sich die Betroffenen um eine unabhängige, betroffenenorientierte Aufklärung. Dies sei „bisher noch nicht gelungen“.

Ihre Hilferufe wie etwa an den Bischof der württembergischen Landeskirche würden ignoriert, heißt es in dem Schreiben weiter. Verfasst hat den Brief das Netzwerk Betroffenenforum um Detlev Zander. Er hatte die Fälle physischer und psychischer Gewalt in den Kinderheimen der evangelikalen Gemeinde publik gemacht.

Kauder hat Sympathien für die evangelikale Bewegung

Die Betroffenen bitten Kauder um Unterstützung, nicht nur, weil er bereits in Korntal zu Gast gewesen sei: „Sie sind ein bekennender evangelikaler Christ und haben Zugang zu den Netzwerken der evangelikalen Christen in Deutschland.“ In einem Interview mit dem Nachrichten-Magazin „Spiegel“ berichtete Kauder vor rund drei Jahren, Sympathie für die evangelikale Bewegung zu haben, also für jene Protestanten, die als besonders bibeltreu gilt.

Die Betroffenen fordern ein offizielles Gespräch aller Entscheidungsträger in Berlin ein. Ihr Brief endet mit einer Bitte: „Lassen Sie uns nicht alleine, geschundene Seelen unter dem Deckmantel der christlichen Werte werden es Ihnen danken.“ Im Büro des Bundespolitikers wird der Eingang des Schreibens zwar bestätigt. Mit einer Reaktion sei in dieser Woche aber nicht zu rechnen, heißt es dort. Volker Kauder hält sich derzeit in Japan auf.

Das Betroffenenforum sucht Unterstützung bei Kauder, obwohl zwischenzeitlich zwei Personen mit der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der Korntaler Brüdergemeinde betraut wurden. Vertreter der Brüdergemeinde und der zweiten Opfergruppierung, der AG Heimopfer, haben sich vor wenigen Tagen auf die frühere Richterin Brigitte Baums-Stammberger und den Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger verständigt. Doch das Netzwerk lehnt die beiden wegen ihrer Nähe zu den Mediatoren und zur Brüdergemeinde ab.

Das Betroffenenforum hat sich vom Mediationsprozess aus Kritik an den Mediatoren distanziert und wird seitdem nicht mehr über den Fortgang informiert. Von den Aufklärern erfuhr das Forum aus den Medien.

Unterstützung in der Kritik

Zander ist mit seiner Kritik an dem Vorgehen der Mediatoren nicht allein. Ursula Enders, die Erziehungswissenschaftlerin, die die Missbrauchsfälle in der evangelisch-lutherischen Nordkirche aufgearbeitet hat, bezeichnet die Benennung der Aufklärer als „Alibimaßnahme der Brüdergemeinde, um das Gesicht zu wahren“. In den vergangenen Tagen hatten nämlich etliche Betroffene Anzeige erstattet, Einzelfälle sollen noch nicht verjährt sein. Enders arbeitet seit rund drei Jahrzehnten wissenschaftlich zum Thema sexueller Missbrauch. „Die Brüdergemeinde kann doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass eine Aufarbeitungskommission von den Betroffenen akzeptiert werden kann, wenn sie davon aus der Presse erfahren.“

Enders’ Kritik beschränkt sich nicht auf die Mediatoren. Sie sieht auch die Landeskirche in der Pflicht. Unverständlich sei ihr „das verantwortungslose Verhalten der Landeskirche, die sich christlich darstellt und ihrer christlichen Verantwortung gegenüber Betroffenen nicht nachkommt“. Die evangelische Kirche organisiere sich in einer Vielzahl unabhängiger juristischer Einheiten, sagt Enders über die Landeskirchen. Es existiere „ein strukturelles Chaos wie bei einem Zusammenschluss hunderter Elterninitiativen“. Gleichwohl nutze die evangelische Kirche „ihre Möglichkeit zur Einflussnahme zum Wohle der Betroffenen nicht“. Einfluss hätte sie, weil sie teils die Personalkosten der Brüdergemeinde trage.