Historiker beim Sichten der Akten aus dem Korntaler Kinderheim Foto: Max Kovalenko

Mechthild Wolff, eine 52-jährige Professorin für Erziehungswissenschaften, wird die Geschichte des Kinderheims der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal aufarbeiten. Die Heimopfer kritisieren, dass ihr Vorschlag nicht angenommen wurde: Sie wollten den Kriminologen Christian Pfeiffer engagieren.

Stuttgart - Nach einem längeren Suchlauf hat die Diakonie der Bürdergemeinde Korntal eine Wissenschaftlerin benannt für das Projekt „Aufarbeitung und Prävention im Brüdergemeindewerk“. Der Auftrag wurde erteilt „wegen der Fälle von Gewalt und Missbrauch in unseren Einrichtungen, von denen wir in den letzten Monaten Stück für Stück erfahren haben“, teilte der Vorsitzende Klaus Andersen am Donnerstag schriftlich mit. „Wir sind erschüttert über die Fälle“, und man wolle wissen, welche Konsequenzen zu ziehen sind.

Rund 200 ehemalige Heimkinder werfen der früheren Heimleitung und dem damaligen Personal massive Misshandlungen und sexuellen Missbrauch vor. Deren Sprecher ist Detlef Z., der die Brüdergemeinde auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 1,1 Millionen Euro verklagen will. Seit Z.’s Gang an die Öffentlichkeit ist die Schar der Geschädigten permanent gewachsen. Nun soll Mechthild Wolff die Heimgeschichte von neutraler Warte aus aufarbeiten.

Die 52-jährige Erziehungswissenschaftlerin ist seit 2002 Professorin für das Lehrgebiet Erziehungswissenschaftliche Aspekte Sozialer Arbeit an der Hochschule Landshut und war für die Bundesregierung in Fragen des Kindesmissbrauchs aktiv. Vor sieben Jahren arbeitete sie einen ähnlichen Fall in den Rummelsberger Anstalten auf, einer Ausbildungsstätte für Diakone. Der damalige Leiter der Anstalt soll die Auszubildenden körperlich bedrängt und misshandelt haben. „Jetzt geht es darum, ein tragfähiges Konzept zu erarbeiten, an dem von vornherein ehemalige Heimkinder beteiligt sind“, sagt Wolff. Sie werde von Januar an aufarbeiten, welcher Machtmissbrauch wie stattfinden konnte. Dazu wolle sie die Opfer anhören: „Meine Erfahrung mit Betroffenen ist, dass sie Experten sind.“ Aus dem Ergebnis müsse man schlussfolgern, wie Missbrauch und Misshandlung künftig in der Einrichtung verhindert werden könne. Eine Ombudsstelle für ehemalige Heimopfer hält sie darüber hinaus für unabdingbar: „Wenn Opfer sprechen wollen, muss man hinhören, dokumentieren und Konsequenzen daraus ziehen.“

Die Heimopfer sind, so ihr Sprecher Detlev Z., „sehr entrüstet“ über die Berufung von Wolff „hinter verschlossenen Türen“. Die fachliche Seite wolle er ihr nicht absprechen, aber es sei vereinbart gewesen, dass beide Seiten einen Vorschlag machen. „Wir haben den Kriminologen Christian Pfeiffer vorgeschlagen, jemanden, dem wir vertrauen.“ Manuel Liesenfeld, der Pressesprecher der Diakonie, widerspricht: „Wir haben uns offenbar noch nicht genügend über die verschiedenen Rollen unterhalten, beide Seiten sollten einen Mediator vorschlagen, um zu einer Gesprächsbasis zu kommen.“

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