Teilnehmer der Sondierungsrunde: Klaus Andresen, Mechthild Wolff, Detlev Zander (v. li.) vor Journalisten Foto: factum/Granville

Zwischen 1949–2000 soll es in Kinderheimen der Korntaler Diakonie zwischen 200 und 300 Fällen des sexuellen Missbrauchs an Kindern gegeben haben. Seit vergangenem Jahr melden sich immer mehr Betroffene zu Wort. Jetzt haben sich beide Seiten auf eine gemeinsame Aufklärung geeinigt.  

Stuttgart - Im Landschloss Korntal, einem Hotel im Besitz der Korntaler Brüdergemeinde, sprengte am Dienstag der Zulauf von Presse- und Medienvertretern fast die räumlichen Möglichkeiten des Konferenzsaals. Erstmals wollten sich Betroffene von sexuellem Missbrauch im Kinderheim gemeinsam mit dem seit Monaten unter Beschuss stehenden Träger öffentlich äußern.

Am Ende des langen Tischs zufriedene Gesichter: Detlev Zander, aufgeräumt und sichtlich entspannter als vor einem dreiviertel Jahr, als er mit seiner Millionenklage gegen die Korntaler Diakonie den Stein ins Rollen gebracht hatte; auf der linken Seite Klaus Andresen, der Vertreter der Diakonie, der Trägerin der Kinderheime, auch er erleichterter als in jüngster Zeit. Vielleicht auch deshalb, weil er im aktuellsten Gemeindeblatt schon deutlich geworden ist. Dort steht: „Zum Weg der Aufarbeitung gibt es keine Alternative!“

"Es geht um angemessene Entschuldigungen"

Zwischen Zander und Andresen sitzt die Wissenschaftlerin Mechthild Wolff, die beide zu einem ersten Sondierungsgespräch zusammengebracht hatte – und nun offiziell auch von beiden beauftragt ist. Damit ist die Kritik vom Tisch, Wolff sei über die Köpfe der Heimopfer-IG hinweg zur Koordination der Aufarbeitung eingesetzt worden.

„Dieses erste Sondierungstreffen hat viele Ergebnisse gebracht und war der erste wichtige Schritt für alle Beteiligte“, fasste Mechthild Wolff den Tag im Landschloss Korntal (Kreis Ludwigsburg) zusammen. Eines der Ergebnisse: „Es darf nicht nur eine historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung geben, sondern es geht auch um Entschuldigungen, wie diese angemessen ablaufen können, was sie zum Gegenstand haben“, erläuterte Wolff.

Unrecht sichtbar machen

Auch über Formen der Wiedergutmachung habe man gesprochen; auf eine konnten sich die Beteiligten bereits verständigen; beim Kinderheim soll „Erinnerungskunst“ entstehen, „es muss sichtbar werden, dass an diesem Ort Unrecht geschehen ist“, so Wolff. Über die Struktur für die bevorstehende Arbeit herrscht ebenfalls Einigkeit. Demnach wird es ein paritätisch besetztes Gremium geben. Vereinbart ist, dass die Heimopfer bei ihrem nächsten Opfertreffen im März ihre Delegierten bestimmen.

„Wir werden dazu eine Wahl veranstalten“, sagte am Rande der Veranstaltung Martina Poferl, eine Betroffene. Denn offenbar gibt es innerhalb der Interessengemeinschaft Betroffene, die möglichst alle in das geplante Gremium holen wollen. Wolff, die 52-jährige Erziehungswissenschaftlerin aus Landshut, hält deshalb noch vor dem nächsten Opfertreffen einen Dialog für nötig.

Finanziert werden soll die Aufklärungsarbeit über einen Fonds, den Klaus Andresen vorgeschlagen hat und in den auch externe Interessierte einzahlen könnten. „Ich bin beeindruckt“, sagte Andresen „dass wir uns darauf einigen konnten. Ich sage zu, dass die Brüdergemeinde in die Aufarbeitung investieren wird.“

Ehemaliger Jugendrichter soll Ombudsmann werden

Offen ist die Besetzung der Stelle eines Ombudsmanns als „Sprachrohr“ der Opfer und Heimmitarbeiter. Die Brüdergemeinde schlägt den ehemaligen Jugendrichter Wolfgang Vögele vor. Laut Mechthild Wolff habe der jedoch erstmal sehen wollen, wie die Gespräche am Dienstag verlaufen würden.

Detlev Zander ist trotzdem erleichtert: „Unsere Wünsche und Hoffnungen sind auf Zustimmung gestoßen“, sagt er, „der eingeschlagene Weg wird bei den Opfern viele Narben aufreißen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir den Weg schaffen.“ Auf die Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld, die er wegen seiner Misshandlungen im Kinderheim Korntal gegen die Diakonie der Brüdergemeinde führt, werde er jedoch nicht verzichten. Noch ist offen, ob das Oberlandesgericht seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe zustimmt.

Es soll 200 - 300 Betroffene geben

Von heute an stehen also alle Klagen über Vorfälle in den Jahren 1949–2000 auf dem Prüfstand. Zwischen 200 und 300 Betroffenen soll es geben. Wie lange das Verfahren dauert, vermag noch niemand zu sagen. „Lassen Sie uns Zeit“, sagt Andresen, „mit einem halben Ergebnis ist keiner zufrieden.“